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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Beide ganze Tage im Bette, weil sie kein Holz zum Heizen hatten; oft fehlte das Mittagsessen und am Tage vermochten sie wegen der Durchsichtigkeit ihrer Kleidungsstücke nicht auszugehen. Nicht dreißig Jahre später war ganz London in Bewegung, als derselbe Mann am 4. April 1822 auf englischem Boden landete; diesmal nicht der arme, unbekannte Flüchtling, sondern der weltberühmte Dichter, der Pair von Frankreich, der Gesandte des allerchristlichsten Königs! – Zu jener Zeit war es auch, wo Chateaubriand’s literarische Laufbahn begann; seine Atala, René, die Natschez und der historische Versuch waren die Früchte jenes Aufenthaltes und der reichen Erfahrungen des jungen Dichters. Der „historische Versuch“ erschien zuerst 1798 zu London und löst mehrere Fragen über die Revolution Frankreichs.

Als Bonaparte im November 1799 das Direktorium gestürzt hatte, da hielt man die Revolution für geschlossen. Der Adel kehrte wieder zu den Ruinen und Herden seiner Schlösser und auch Chateaubriand kam nach siebenjähriger Abwesenheit, 1800, nach Paris zurück. Obgleich Royalist aus Vernunft, erwarb sich der junge Autor doch bald die volle Gunst des Konsuls, um so mehr, als dieser aufrichtig die Bewunderung für jene jetzt weltberühmten Werke „Atala“ (1801), „René“ (1802) und besonders „der Geist des Christenthums“ (1802) theilte. So war es denn nichts Auffälliges, daß der junge Edelmann 1803 zum ersten Gesandtschafts-Sekretair beim Kardinal Fesch in Rom ernannt wurde. Von da aus sollte er als bevollmächtigter Minister nach Wallis gehen, als die Hinrichtung des Herzogs von Enghien bekannt wurde. Chateaubriand schickte darauf seine motivirte Demission an Napoleon und wies alle Anerbietungen zu anderen Würden, sowie die aufrichtige Achtung des großen Kaisers mit männlicher Offenheit zurück, so daß Napoleon von seinem Gegner immer mit Achtung und unverhohlener Neigung sprach.

Der Verfasser „vom Geiste des Christenthums,“ welches Buch damals ganz Europa entzückte, zog sich 1804 in’s Privatleben zurück und sammelte die Mittel zu seiner projektirten Reise nach Jerusalem. Im Juli 1806 trat der Vicomte diese durch seine später erschienenen Werke „die Märtyrer“ und den „Itineraire“ berühmt gewordene Reise an, durchwanderte Griechenland, die Cykladen, die Türkei und gelangte endlich nach Jerusalem, bei dessen Anblick der fromme Schwärmer voller Inbrunst auf die Knien sank. Von Palästina durchwanderte er darauf Egypten und endlich Spanien. In der Alhambra von Granada dichtete er die köstliche Dichtung von dem letzten der Abenceragen, welche erst zwanzig Jahre später erschien und von der das Manuskript jahrelang verpfändet war, gleich einem Edelstein, den die Könige in schweren Zeiten in fremde Hände als Pfand niederlegen. Arm kam Chateaubriand nach Frankreich zurück, wenn auch der Ertrag der „Martyrs,“ die 1809 erschienen und des „Itineraire,“ welches nach zwei Jahren folgte, einen reichlichen Ersatz für die Reisekosten gab.

Die Sonne von Austerlitz fing an zu erbleichen und der kalte Eiswind Rußlands wehte Napoleon den Tod in die Glieder. Da begann die politische Laufbahn Chateaubriand’s, welcher furchtbare Anklagen gegen den gestürzten Cäsar in seiner berühmten Flugschrift „Bonaparte und die Bourbonen“ aufgehäuft und mit der glühenden Beredsamkeit in diesem Pamphlet, wie Ludwig XVIII. sagte, dem Könige eine Armee geliefert hatte. Mit dem unglaublichen Erfolg dieser an Beredtsamkeit erhabenen Broschüre begann der Vicomte eine politische Macht mit dem Dichterruhm zu verweben. Der König ernannte ihn zum Gesandten in Schweden. Bevor aber Chateaubriand sich auf den Weg begeben, hatte der Napoleonische Adler von Elba aus seinen Flug von Thurm zu Thurm mit Zauberkraft bis zu den Thürmen von Notredame gemacht. Auf dem Kirchweiler von Waterloo sang er sein Schwanenlied und erst siebenunddreißig Jahre später sah man ihn stolz auf den Zinnen der alten Tuilerien wieder. Chateaubriand war Ludwig XVIII. nach Gent gefolgt und zog hundert Tage später als Staatsrath mit der Bourbonendynastie wieder nach Paris. Nach seinem heftigen Angriff gegen die Verwaltung des Ministeriums Richelieu wurde er 1816 als Staatsrath entlassen.

Der weltberühmte Dichter war nun genöthigt, selbst seine Bibliothek zu verkaufen und zum Theil, um seinen Lebensunterhalt zu gewinnen, zum Theil, um seinen Groll gegen die herrschende Politik auszulasten, gründete er das Ultrablatt „Les Conservateur.“ Gefürchtet als Oppositionsmann, entfernte man den Vicomte aus Paris, indem man ihm die Gesandtschaft in Berlin 1821 gab, welche er durch seine berühmten Verse auf das Grab der Königin Louise verewigte. Im nächsten Jahre wurde er zum Gesandten am Londoner Hofe ernannt und mit Enthusiasmus von der gebildeten Welt des alten Albions begrüßt.

Die reaktionäre Bourbonenherrschaft genügte schon lange nicht mehr dem genialen Geiste, obgleich er noch kurz zuvor, beim Tode Ludwig XVIII. die berühmte Flugschrift „Le roi est mort, vive les roi“ herausgegeben hatte und selbst ein Mitglied des Ministeriums Billéle bildete. Der verdrießliche Minister des Auswärtigen beschloß sich zu der Partei der Liberalen hinzuschlagen und mit Eclat seine Verdrießlichkeiten mit dem bestehenden Regime an den Tag zu legen. Billéle schlug die bekannte Rentenreduktion vor, Chateaubriand hatte das Septennalitätsgesetz zu vertheidigen. Billéle wurde geschlagen und Chateaubriand dachte gar nicht daran, den Mund in der Deputirtenkammer aufzuthun, um seinen Collegen zu unterstützen. Am nächsten Sonntage wurde der Vicomte abgesetzt, und zwar auf eine höchst unhöfliche Weise. Er brauchte nur zwei Stunden Zeit, um sein Hotel zu räumen und Billéle die Schlüssel zu überschicken. Chateaubriand wurde von nun an eine liberale Celebrität; das mächtige Journal des Débate zog mit klingendem Spiele dem Vicomte nach; die ganze Jugend Frankreichs schaarte sich um ihn, und niemals erlitt die Herrschaft der Lilien wohl einen gewaltigeren Stoß, als mit Chateaubriand’s Entlassung 1824. Noch einmal diente er den Bourbonen als Gesandter in Rom, doch nahm er schon 1829 wieder seine Entlassung, als Polignac Minister wurde.

Die Julirevolution veränderte das Gesicht der Welt. Eine neue Zeit und eine frische Jugend kam überall auf den Thron. Nach einem kurzen Kampf hatte in ganz Europa der Fortschritt der Geister gesiegt. Chateaubriand eilte nach Paris; das Volk erkennt ihn und trägt ihn im Triumph nach der Pairskammer, wo der Gefeierte seine berühmte glänzende Rede zur Verherrlichung der eben gestürzten Dynastie hielt und seine Würde als Pair niederlegt. Das war die sonderbare Antwort, welche Chateaubriand dem Triumphe hielt, den ihm das Volk im Jubel über den Sturz der Bourbonen bereitet hatte. Der Vicomte dachte gar nicht an eine dritte Restauration, sondern prophezeihte vielmehr die Republik; aber er blieb Legitimist aus reiner Gefälligkeit und ahmte Kato nach, indem er sich für eine besiegte Sache erklärte und in die Dürftigkeit seines Privatlebens zurückkehrte. Man hat mit Recht Chateaubriand wie den Januskopf geschildert. Mit dem einen Gesicht sieht er zurück, mit dem andern nach vorwärts; er war ein Universalgeist, an dem eine neue Zeit sich emporgerankt hatte. Mit seinem Kopfe preist er die „Frömmigkeit“ Karl’s X. und rühmt die Tugend der Herzogin von Berry, der er mit galanter Emphase zuruft: „Madame, Ihr Sohn ist mein König!“ Mit seinem Herzen liebt er die Republik und verspricht einen allgemeinen Sieg der Demokratie. Dies hat er deutlich in seinen bekannt gewordenen Fragmenten der Memoiren bewiesen.

Einer der ausgezeichnetsten Geister aller Zeiten, repräsentirt er seine ganze Zeit. Mit den Füßen in dem Boden der alten edelmännischen Königstreue, ragt er mit seinem greisen Haupte bis in die Ideenwelt der neuen Epoche hinein, die er mit vorbereitet hatte. Er war Alles und Alles ganz; Historiker, Dichter und Philosoph; Diplomat, Staatsmann und Publizist; Republikaner aus Neigung, Legitimist aus Pflicht und Royalist aus Vernunft. So starb er, zurückgezogen, im Jahre 1848, nachdem er die neue Zeit noch durch das Victoriageschrei des Volkes gekrönt gesehen. Wie diese neue Zeit wiederum vom Throne gestürzt worden, das war vielleicht eins der Ereignisse von seinen Mémoires d'outr-tombe!

E. Schmidt-Weißenfels.




Eine nicht anerkannte Königin von England.

Es hat wohl kaum je ein Prozeß so großes und allgemeines Aufsehen erregt und zu gleicher Zeit so skandalöse Dinge zu Tage gebracht als der, welcher im englischen Parlamente wegen der ehelichen Verhältnisse des Prinzen von Wales (später Georg IV.)

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