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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

„Ja, das ist leicht möglich,“ murmelte der alte Müller, indem er sich zugleich einige Schritte entfernte, denn er hörte drinnen die Stubenthür gehen. Gleich darauf öffnete sich die Hausthür und er sah die Gestalt eines Mannes herauskommen und in dem Nebel verschwinden. Herr Müller wartete noch einige Augenblicke und zog dann die Klingel. Die alte Margarethe öffnete. Er schritt durch die Hausflur in das Wohnzimmer, wo er Barbara antraf, die gedankenvoll am Ofen saß und ihre Näharbeit halb fertig auf einem kleinen Tische neben sich liegen hatte. Ihr Vater bemerkte Spuren von Thränen auf ihrem Antlitz, sagte aber nichts. Barbara sprach wenig über dem Abendessen und der Alte nahm sich vor, nichts von dem zu sagen, was er gehört, sondern zu warten, bis sie ihn von der Erklärung des Schullehrers in Kenntniß setzen würde.

„Jemand dagewesen, Barbara?“ fragte er endlich, um sie an ihren Vorsatz zu erinnern. Die arme Barbara bedurfte keiner Erinnerung. Sie hatte während des ganzen Essens daran gedacht, aber bis jetzt noch nicht Muth genug zusammenraffen können, um davon anzufangen.

„Niemand, als Herr Friedrich, lieber Vater,“ gegenredete Barbara mit unsicherer Stimme.

„Friedrich kommt seit einiger Zeit sehr oft,“ meinte der Alte. „Was will er nur immer?“

„Heute brachte er Dir und mir einen schön geschriebenen Text zu der Musik, die am Neujahrsfeste in der Nikolaikirche aufgeführt werden wird,“ antwortete Barbara immer noch zögernd.

„Und das war Alles?“ fragte ihr Vater.

„Nein, lieber Vater, es war nicht Alles,“ antwortete Barbara, indem sie sich ein Herz faßte. „Ich will Dir nichts verschweigen. Er sagte noch, er liebe mich.“

„Und was hast Du ihm denn darauf zur Antwort gegeben?“ entgegnete der Alte, bleich vor Zorn.

Barbara ließ den Kopf hängen und fing an zu weinen.

„Monsieur Friedrich soll einen Brief von mir bekommen, den er nicht hinter den Spiegel stecken wird,“ sagte der Alte. „Gib mir ein Licht!“

Barbara that, wie ihr geheißen ward und ihr Vater verließ sie, während sie weinend sitzen blieb und das Gesicht mit den Händen bedeckte.

Herr Müller ging aus dem Wohnzimmer quer über die Hausflur in seine Arbeitsstube. Dieselbe war ungemein lang, breit und hoch, denn sie hatte früher, als er noch Handelsgeschäfte betrieb, zugleich mit zum Waarenlager gedient. Jetzt aber, wo Herr Müller sich nur noch mit Häuservermiethungen und Geldgeschäften befaßte, war sie bis auf ein kleines Schreibpult an dem einen Fenster mit einer danebenstehenden, großen eisernen Geldkasse vollständig geräumt, und gewährte mit ihren moderfleckigen, kahlen Wänden und langen von der Decke herabhängenden Spinnweben einen öden, trostlosen Anblick. Hier saß Herr Müller oft Stunden lang allein und brütete über seinen Rechnungsbüchern bei einem einsamen Lichte, welches nur die Ecke erhellte, in welcher er saß, aber sonst das ganze übrige Zimmer dunkel ließ.

An diesem Abende schloß er sich wie gewöhnlich ein, steckte das im Ofen von der alten Margarethe schon in Bereitschaft gelegte Holz in Brand und setzte sich nieder, um den Brief an den unglücklichen Schulmeister zu schreiben. Er beendete diese Aufgabe zu seiner eigenen großen Zufriedenheit, und wollte sich eben an das weit angenehmere Geschäft machen, die an diesem Tage einkassirten Zinsen in sein großes Buch einzutragen, und die Gelder selbst in Rollen zu packen und in die eiserne Kasse zu legen, als die alte Margarethe an die Thür pochte und meldete, daß der junge Herr von Schönberg mit ihm zu sprechen wünsche.

Der junge Herr von Schönberg, ein Sprößling dieser altadeligen, vielverzweigten Familie, war Studiosus der Rechte. Seine Eltern waren schon vor mehreren Jahren gestorben, und hatten ihm ein nur mäßiges Vermögen hinterlassen, welches dem jungen flotten Manne nicht gestattet haben würde, so zu leben, wie er lebte, wenn ihn nicht eine alte, reiche, unverheirathete Tante, die er später beerben sollte, durch namhafte, regelmäßige Zuschüsse unterstützt hätte. Diese Zuschüsse erhielt er gewöhnlich durch Herrn Müller ausgezahlt, welcher mehrere in der Nähe von Leipzig gelegene, dem alten reichen Fräulein von Schönberg zugehörige Grundstücken zu verwalten hatte.

Daher rührte die Bekanntschaft zwischen zwei so ganz verschiedenen Naturen, wie der alte reiche Geizhals und der junge flotte Musensohn.

Herr Müller erhob sich sofort, um die Thür zu öffnen, denn mit einem jungen Manne von so glänzenden Aussichten, von dem es in der Folgezeit gewiß manchmal ein schönes Stück Geld zu verdienen gab, durfte er es keinesfalls verderben.

„Treten Sie gefälligst ein, mein werther junger Herr von Schönberg,“ sagte er. „Es ist freilich etwas dunkel und kahl hier, aber ich sitze gern ruhig und ungestört.“

„Donnerwetter, ist das eine gewaltige Scheune!“ rief der junge Mann, indem er sich verwundert umschauete, denn er sah dieses Heiligthum des Geizhalses jetzt zum ersten Male. „Wenn dieses Zimmer mein wäre, so verwandelte ich es binnen wenigen Stunden in einen ganz allerliebsten Tanzsaal. Die Spinnweben ließ ich herunterkehren, die Wände sodann mit grünem Tannenreisig tapezieren, rings herum ein paar Dutzend Lichter aufstecken und in der Mitte an der Decke einen Kronleuchter aufhängen, so groß ich ihn bekommen könnte. Dann ließ ich zum Sylvesterabend eine fidele Gesellschaft einladen, und es müßte hier lustiger zugehen, als irgendwo in ganz Leipzig.“

„Sie scheinen heute auf ganz vorzüglich guter Laune zu sein, mein werther Herr von Schönberg,“ sagte Herr Müller.

„Sehr richtig bemerkt, mein weiser Salomo,“ entgegnete der junge Mann, „und ich habe auch Ursache dazu. Hören Sie und staunen Sie: Fräulein Johanna Friederike Sophia Adelgunde von Schönberg hat gestern das Zeitliche gesegnet. Hier ist der Brief, den mir vor einer Stunde ein reitender Bote überbracht hat.“

Herr Müller überflog hastig den dargebotenen Brief.

„Ich condolire und gratulire,“ entgegnete er mit einer tiefen Verbeugung vor dem jungen Manne, der jetzt, als nunmehriger Besitzer eines großen Vermögens, in seinen Augen eine weit höhere Bedeutung gewonnen hatte. „Hoffentlich werden Sie mir die mir von dem seligen Fräulein zeither übertragen gewesenen Administrationen auch fernerhin belassen.“

„Ei, das versteht sich, mein bester Herr Müller,“ antwortete, der junge Mann. „Doch das sind Geschäftssachen, über welche wir später ausführlich sprechen werden. Was ich heute mit Ihnen verhandeln möchte, ist etwas Anderes, obschon ich durch den Glückswechsel, der mich, wiewohl längst erwartet, dennoch ganz unverhofft betroffen, ebenfalls darauf geführt worden bin.“

„Nun, womit kann ich Ihnen denn dienen, mein werther Herr von Schönberg?“ sagte Herr Müller in immer devoterem Tone. „Sie wissen, Sie haben mir zu befehlen.“

„Herr Müller,“ äußerte der junge Mann, indem er sich rittlings auf einen Stuhl setzte und die Arme auf die Lehne legte, „ich glaube, es fehlt in Leipzig nicht an armen Leuten.“

„Ja, leider haben wir deren mehr, als wir wünschen,“ sagte Herr Müller.

„Ich glaube, es gibt darunter nicht wenige, die ganz ohne ihr Verschulden in Armuth gerathen, und daher einer Unterstützung wohl würdig sind.“

„Meistentheils ist es faules, liederliches Gesindel,“ entgegnete Herr Müller.

„Na und wenn auch,“ hob der junge Mann wieder an, „da wir einen so strengen Winter haben, und jetzt die festlichen Tage sind, wo vorzugsweise jedem Menschen eine Freude zu gönnen ist, so glaube ich, ich kann die mir zugefallene Erbschaft nicht bester antreten, als wenn ich ein paar hundert Thaler unter die Armen vertheilen lasse. Leben und Lebenlassen!“

„Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, mein werther Herr von Schönberg,“ sagte der Alte, „so würde ich mein Geld anders anzuwenden wissen. Indessen, ich habe Ihnen keine Vorschriften zu machen, und wenn Sie das faule Bettelvolk unserer Stadt in seiner Faulheit noch mehr bestärken wollen, so kann ich es weiter nicht hindern. Wie viel wünschen Sie denn?“ setzte er hinzu indem er zugleich den Schlüssel zu seiner großen Kasse aus der Tasche zog.

„Lassen Sie stecken,“ entgegnete der junge Herr von Schönberg mit abwehrender Geberde. „Ich selbst will das Geld nicht austheilen, sondern wollte Sie eben ersuchen, dieses Geschäft für mich zu besorgen.“

„Mich?“ fragte Herr Müller verwundert.

„Ja, Sie; erstens möchte ich nicht wissen lassen, daß die Geschenke von mir kommen, weil ich eines Theils nicht prahlen, andererseits mich aber auch nicht der Gefahr aussetzen möchte, von dem gesammten Proletariat Leipzigs überlaufen zu werden; zweitens aber auch, weil ich die hülfsbedürftige Einwohnerschaft nicht

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