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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Tizian, wünschtet ihr mein Bild zu malen, ich hatte Gründe, Euch dieses Begehren, obgleich es meiner Eitelkeit schmeichelte, abzuschlagen, ich komme, um Euch zu bitten, dieses Bild jetzt zu schaffen.“

„Ihr sollt in mir Eueren gehorsamen Diener finden, Signora. Bestimmt mir nur den Tag und die Stunde, denn ich mache diesmal nur einen kurzen Aufenthalt in Rom.“

„Laßt es morgen in der Frühstunde sein.“

„Wohl. Ihr wünscht doch ein Bildniß?“

„Nicht das allein. Ihr sollt mich in Verbindung bringen mit der Madonna und dem Christkinde, und zwar will ich als Reuige und um Vergebung Flehende vor der Mutter Gottes erscheinen.“

Tizian glaubt seinem Ohre nicht trauen zu dürfen, als er diese Worte hört. Die stolze Junia eine Fromme! Die Freundin Aretin’s eine Devote! Diese Gedanken müssen in dem offenen und freien Antlitz des großen Mannes zu lesen gewesen sein, denn die Dame schlägt verwirrt und finster die Blicke von Neuem zur Erde, und von Neuem entsteht eine Pause beiderseitiger Befangenheit.

„Wollt Ihr?“ fragt sie.

„Gewiß,“ erwidert er, „nur laßt mich über diese Aufgabe nachdenken. Ich habe schon mehr als eine galante Dame vor den Thron der jungfräulichen Gottesmutter gebracht, aber es war nicht gerade nöthig, sie in Reue und Zerknirschung darzustellen. Ich habe diese schönen Frauen dargestellt, wie sie eine anständige und respectvolle Verbeugung vor der Mutter Gottes machen, dies ist, dünkt mich, genug. Wozu ein Weiteres? Soll die Weit unnützer Weise Dinge erfahren, die sie nichts angehen? Wenn ich Euch als Magdalena male, mit Thränen im Auge, und zaghaften Schrittes dem Throne der Madonna sich nähernd, so wird alle Welt fragen, was hat die Fürstin verbrochen, warum kommt sie in solcher Gestalt vor die Gottesmutter? Aber dies sind nur meine besonderen Ansichten, Signora, thut was Euch gefällt, ich bin nur froh, daß Euere erhabenen Züge sich endlich einmal meinem Pinsel anvertrauen.“

Den andern Tag wurde das Bild begonnen. Der Künstler hatte eine Skizze mitgebracht. Auf dieser sah man die Mutter Gottes in der Hütte sitzen, das Kind auf dem Arme, und mit dem Gepränge einer Fürstin, gefolgt von einer Dienerschaar, trat die schöne Frau in ihrem weltlichen Glanze in diesen bescheidenen Raum.

„So will ich’s nicht,“ rief die Dame etwas heftig, „die Madonna soll auf dem Throne sitzen und ich will als niedere Magd vor ihr stehen. Seht her, in diesem Gewande!“

Und damit warf sie den langen schwarzen Schleier ab und stand in einem einfachen weißen Kleide vor dem Künstler, der, geblendet von der Schönheit und dem wundersamen Ernste dieser Gestalt, mit langen prüfenden Blicken auf dieser Form weilte. Es war allerdings nicht die Demuth und Zerknirschung einer Magdalena, wie man sie gewöhnlich darstellt, es lag zu viel Trotz, zu viel finstrer Unmuth in diesen Zügen, aber es war dennoch eine irdische Größe, die sich vor der himmlischen beugte. Das wundervolle Gemälde, das Tizian geschaffen, zeigt uns den Seelenzustand, dieses stolzen, nicht gebeugten, nur gebrochenen Weibes.

Dieses Bild fesselte unsern Künstler so sehr, daß er statt der Tage, die er bleiben wollte, Wochen blieb. In dieser Zeit wurde er mit der Marquise so vertraut, wie es überhaupt möglich war, mit ihr vertraut zu werden. Allein das finstere Geheimniß, das ihre Seele einschloß, erfuhr er nicht. Den Verlust ihres Vaters beklagte sie innig, von ihrem Gemahl, den sie vor wenigen Jahren verloren, sprach sie nicht, ebensowenig von zwei Kindern, die bald hintereinander gestorben. Diesen Umstand erfuhr der Künstler durch Andere. Aber ein Gespräch hatte er eines Tages mit ihr, dessen Inhalt ihn mit einem namenlosen Grausen erfüllte und, wenn er die einzelnen Andeutungen, die in den Worten dieser Frau lagen, weiter zu verfolgen versuchte, ihn vor ihr zittern machten.

Welch’ eine Welt von Stolz, von Eigenmacht, von wilder Rachgier und kalter Grausamkeit lag in diesem Weibe? Welche Verbrechen belasteten ihre Seele!

Es war von dem Geschick der Frauen im Allgemeinen die Rede gewesen, plötzlich fuhr die Marquise auf und sagte:

„O, nennt mir irgend ein Schreckniß in der Welt, eine entsetzliche Qual, eine die Seele zerreißende Demüthigung, es ist alles nichts gegen das Geschick eines Weibes, das von einem Manne, den sie haßt, die Pfänder einer schmachvollen Ehe unter dem Herzen tragen muß! Da ist alles beisammen, was Erniedrigung und Elend heißt. Von dem ein Leben zu hegen, der unseres Lebens Feind! O, ihr ewigen himmlischen Gewalten, kann es da anders kommen, als daß in der Hand dieses niedergetretenen Weibes Dolch oder Gift ihre willkommenen Dienste leisten?“ – Nach einer Welle setzte sie hinzu: „Ihr habt mich auf meiner Höhe gesehen, ich bin von dieser Höhe vor der Welt nicht hinabgestiegen, und wenn mir ein solcher Sturz drohte, so würde ich ihm rasch zu entgehen wissen. Daß ich mich mit dem Himmel versöhnen will, ist nur allein mein Entschluß, keine äußere Gewalt bringt mich dazu. Ich will dieses Bild, das ihr auf mein Geheiß malt, in meinem Gemache aufstellen, und wenn es mir gelingt, mein Herz zu bezwingen, so will ich, demüthig, wie ich hier im Bilde stehe, vor die Gebenedeite hintreten und ihr sagen: Bereuen kann ich nicht, was ich gethan habe; ich konnte nicht anders! Doch gib mir Frieden, heiligste und reinste der Frauen – gibt mir Frieden – Frieden!“

Diese letzten Worte wurden mit einem herzzerreißenden Tone gesprochen, der in diesem stolzen Munde ganz besonders erschütternd klang. –

Wenige Jahre nach diesen Vorfällen erfüllte Rom die Kunde von einer entsetzlichen That, die Thäterin selbst war nicht mehr unter den Lebenden. Die Marquise Pescara, so hatten jetzt die Nachforschungen ermittelt, hatte ihren Mann und ihre Kinder vergiftet. Der Verdacht war bereits einmal schon rege geworden, doch hatten die Stellung der Verbrecherin und ihre mächtigen Verwandten ihn niedergehalten, es kam jetzt zur öffentlichen Anklage. Aretin – hatte diese Anklage erhoben. Die Marquise fand man eines Morgens todt in ihrem Gemache. Rom hatte sein schönstes, aber auch sein verbrecherischstes Weib verloren.

Das Bild Tizian’s von ihr gewann an großer Bedeutung, just da die Schicksale dieser Frau bekannt wurden. Auch wir, die ferne Nachwelt, stehen mit ganz anderm Gefühl vor diesem Bilde, da wir seine Geschichte kennen, als wenn wir nur die Meisterschaft des großen Künstlers zu bewundern hätten.

Ueber Tizian selbst fügen wir kein Wort weiter hinzu. Sein Leben und seine Werke sind weltbekannt.




Wüsten-Bilder.[1]
II.
Natur- und Menschenleben in der Sahara.

Es gibt keinen Tod. Gerade der Tod ist ein kräftiger Schöpfungs- und Auferstehungs-Proceß. Auch die Wüste, in der gewöhnlichen Vorstellung das endlose, rahmenlose Bild des Todes, ist Leben und just sehr energisches Leben. Der tödtliche Samum, der giftige, glühende Chamsin-Sturm, ganze Karavanen in kochenden Sandwolken begrabend und dann die verdorrten Gebeine wieder aufdeckend und höhnisch dem großen Allah zeigend, zu dem jeder Wüstensohn drei Mal des Tages inbrünstig im Staube betet, sie kämpfen schon vergebens gegen die grünen, quelligen Oasen und Wadis, und ihr europagroßer Gluthofen wird, in Gemeinschaft mit dem Golfstrome, zur belebendsten, schöpferischen Treibhauswärme für das halbe westliche Europa. Ohne diese Winde und geheizten Strömungen des Oceans würden Italien, Frankreich, Spanien, Portugal, England, Holland, das nordwestliche Europa bis Schweden und Norwegen hinauf eine viel niedrigere Temperatur und für Millionen Menschen weniger Nahrungsmittel haben. Die Sahara ist nicht nur der Gewächshausofen für Europa, sondern auch für sich selbst der riesigste Titanenkampf des Humus und der Vegetation

  1. Nr. 1. siehe Jahrg. 1856. Nr. 23.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_244.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)