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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Ein hochherziger Mann aus dem Volke.
Von Ludwig Storch.[1]

J. A. Stumpff.

Goethe über Stumpff. – Stumpff’s Erscheinung, seine erste Jugend und sein erster Ausflug. – Sein Brief darüber an Goethe. – Stumpff in London und seine Ernennung zum königlichen Harfenmacher. – Seine Rückkehr nach Deutschland und erstes Zusammensein mit Goethe. – Ein Brief von Mozart’s Gattin.

Goethe sagt in einem Briefe an Zelter (vom 30. Oktober 1824): „So eben verläßt mich J. A. Stumpff, Harpmaker to His Majesty, aus London, gebürtig aus der Ruhl, als Knabe nach England versetzt, jetzt als tüchtiger Mechanikus daselbst wirkend, eine stämmige Gestalt von bedeutender Größe, an der Du Dich erfreuen würdest; zugleich vom herzlichsten Patriotismus für unsere Sprache und Schrift, durch Schiller und mich zu allem Guten geweckt, höchlich entzückt, unsere Literatur nach und nach gelaunt und geschätzt zu sehen.

Es war eine merkwürdige Erscheinung.“

Von wem ein Goethe auf diese Weise zu einem Zelter spricht, der muß ohnstreitig ein edler und in die Augen springend ausgezeichneter Mensch gewesen sein. Und in der That, Goethes Ausspruch trifft auch hier wie so oft den Nagel auf den Kopf, der aus der Ruhl gebürtige Harfenmacher Sr. Majestät des Königs von Großbritannien war eine in mehrfacher Hinsicht merkwürdige Erscheinung.

Es ist nicht ohne Bedeutung, daß Goethe an Johann Andreas Stumpff die „stämmige Gestalt von bedeutender Größe“ rühmt, an welcher er sich erfreut hat, und von der er voraussetzen muß, daß auch Zelter sich an ihr erfreuen würde; denn wie Goethe und Zelter war auch Stumpff eine jener hohen, markigen, kraftgesättigten, edlen Gestalten, wie die Alten ihren Zeus modellirten, von welchen man gleich beim ersten Blick weiß, das sind auch geistig bedeutende Menschen. Wahrhaft große geistige und seelische Eigenschaften verlangen immer einen großen, festen, strotzenden, lebenausströmenden Körper von edlem Ebenmaße. Geist und Körper sind ja nicht so verschiedene Dinge, wie die von der Theologie abhängige Naturlehre vergangener Zeiten behauptete. Ich wollte, Goethe hätte auch von dem ungemein schönen und starken Ausdrucke des wohlgeformten Kopfes unseres Harfenmachers aus der Ruhl, vorzüglich aber von seinem seelenvollen, dunkelblauen, liebelachenden Auge gesprochen. Der Ausdruck dieser edeln Gesichtszüge war so überwältigend, daß gleich Jedermann wußte, daß der Träger derselben ein warmes Herz voll reiner Menschenliebe, Wohlwollen, Opferfähigkeit, voll hingebender Bewunderung für alles Gute hatte, mit einem Worte, daß Stumpff ein Mann von wahrer Tugend sei. Nie sah ich an einem Manne ein freundlicheres, liebenderes Auge; man war gefangen vom süßen Zauber desselben, und eh’ noch der Mann gesprochen, war man vom Liebesstrahl dieses herrlichen Seelenspiegels besiegt. Und wenn er nun sprach mit der weichen, sonoren, herzigen Stimme, dann vermochte ihm Niemand zu widerstehen; er eroberte

  1. Die Denkwürdigkeiten Ludwig Storch’s, die wir bei Gelegenheit des daraus mitgetheilten Auszugs seiner Biographie (Nr. 15. 1856) besprachen, haben durch eine nicht kleine Anzahl einzelner Aufsätze und Besprechungen von interessanten Persönlichkeiten, mit welchen der Dichter in irgend welcher Beziehung gestanden hat, einen ganz eigenthümlichen Reiz. Der Verfasser hat diese kleinen Bilder, die er dem großen Bilde beigegeben, „Medaillons“ genannt. Wir werden einige davon mittheilen, da an den Druck des ganzen Werks vor der Hand nicht zu denken ist.
    D. Redact.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 437. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_437.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)