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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Seiten schwellend hervorquoll. Der rührende Ausdruck keuscher Unschuld lagerte über die ganze Gestalt der Schlummernden, welche in einfach häuslicher Kleidung jetzt dem Beschauer in einem früher nie gekannten Reiz erschien. Sie war augenscheinlich im Lesen vom plötzlichen Schlummer überrascht worden. Zu ihren Füßen lag ein herabgefallenes Buch, das Theodor aufhob. Es waren „Uhland’s Gedichte“ in welchen sie gelesen hatte. Mit einem eigenen Gefühle von Verwunderung und Verlegenheit betrachtete er den schlafenden Gast, von dem er nicht wußte, wie er in sein Zimmer gekommen war. Es wollte sie nicht wecken, weil er sie durch seine plötzliche Erscheinung zu erschrecken fürchtete; auch hätte er ihr gern die natürliche Beschämung erspart. Aber eben so wenig durfte er zögern, wenn er nicht sich und das Mädchen, welches in dem Hause seiner Mutter die untergeordnete Stellung einer Wirthschaflerin oder Gesellschafterin einnahm, der üblen Nachrede aussetzen und in einen zweideutigen Ruf bringen wollte. Sie war seit wenig Wochen erst in die Dienste der Commerzienräthin getreten und Theodor, dessen Sittlichkeit keinem Zweifel unterlag, hatte sie kaum beachtet und höchstens einmal flüchtig angesehen. Nur selten war sie ihm begegnet, da sie den größten Theil des Tages in der weitläufigen, großen Wirthschaft beschäftigt war, so daß sie nur bei ganz besonderen Gelegenheiten zum Vorschein kam. Auch war ihm am Tage keineswegs die Schönheit ihres Gesichtes ausgefallen, da er sie bisher wenig oder gar nicht beachtet hatte. Dazu kam, daß sie durchaus nicht jene siegreichen Reize besaß, welche er an Clementinen bewunderte, die ihn für jede andere weibliche Erscheinung vollkommen blind machten. Ihre Züge waren nicht regelmäßig, nicht eigentlich schön zu nennen; nur eine gewisse Lieblichkeit und treuherzige Unschuld verlieh ihnen erst den besonderen Reiz. Der Schlaf, welcher oft unser innerstes Wesen Preis gibt und darum auch die unschuldigen Kinder so rührend schön erscheinen läßt, verklärte auch das kindliche Wesen des jungen Mädchens mit seinem ruhig süßen Zauber.

Trotz seiner Liebe zu Clementinen konnte er sich des holden Eindruckes nicht erwehren und nur ungern riß er sich von dem ihm gebotenen Schauspiel los; aber er mußte einen Entschluß fassen und unter jeder Bedingung der peinlichen Lage, in der er sich befand, ein Ende machen. Zu diesem Zwecke näherte er sich der Schlummernden mit Geräusch, ohne daß sie davon erwachte. Er war ihr so nahe gekommen, daß ihn der warme Hauch ihres duftenden Athems streifte; sie schlief so fest, daß sie keine Ahnung von seiner Nähe zu haben schien. Es blieb ihm nichts übrig, als sie laut bei ihrem Namen zu rufen, der ihm nach einigem Besinnen beifiel.

„Gertrud!“ rief er laut, um sie zu erwecken.

Noch regte sie sich nicht, da sie überaus fest schlief, von der Arbeit des Tages ermattet.

Befangen ergriff er ihre Hand und rüttelte sie leise. Jetzt erst schlug sie schlaftrunken, in lieblicher Verwirrung ihre Augen auf. Das Licht schien sie zu blenden, so daß sie gar nicht wußte, wo sie sich befand; sie mußte sich erst besinnen, bis sie ihn erkannte. Ein Schrei der Ueberraschung entschlüpfte ihrem Munde.

„Mein Gott!“ rief sie erschrocken, „wo bin ich denn?“

„Auf meinem Zimmer,“ entgegnete Theodor verlegen. „Wie sind Sie denn hierher gekommen?“

Sie erröthete und eine flammende Gluth überzog das Gesicht bis zu dem weißen, durchsichtigen Nacken. Schamhaft hielt sie beide Hände vor, um den entblößten Nacken zu bedecken. Bangigkeit und Beängstigung kämpften in ihren Zügen; die Sprache versagte ihr, so daß sie kaum ein Wort hervorzubringen vermochte. Theodor empfand das innigste Mitleid mit ihrer peinlichen Lage und bemühte sich, die Trostlose aus der Verlegenheit zu reißen.

„Beruhigen Sie sich nur,“ sagte er freundlich. „Die Sache hat ja nichts zu bedeuten.“

„Nein!“ antwortete sie betrübt. „Was werden Sie von mir denken, was wird die gnädige Frau dazu sagen, wenn sie es erfährt? Ich bin nur in Ihr Zimmer gekommen, um nachzusehen, ob auch Alles in der gehörigen Ordnung sei und ob das Feuer auch im Ofen brenne. Der Bediente hat schon mehrere Male vergessen, einzuheizen, wenn Sie aus waren. Ich fürchtete, daß Sie vom Balle erhitzt nach Hause kommen und sich erkälten könnten. Deshalb wollte ich mich selbst überzeugen. Ich konnte dabei nicht der Versuchung widerstehen, eines der schönen Bücher in die Hand zu nehmen. Entschuldigen Sie nur meine Dreistigkeit; aber die Müdigkeit überkam mich mit einem Male; ich hatte den ganzen Tag so viel zu thun und ehe ich mich versah, war ich in Ihrer Stube eingeschlafen. Verzeihen Sie mir, aber es soll gewiß nicht wieder vorkommen.“ Dabei richtete sie die dunkelblauen, frommen Taubenaugen so kindlich bittend zu ihm empor, daß er ihr nicht zürnen konnte, selbst wenn er gewollt hätte.

(Fortsetzung folgt.)




Der Holzsturz im bayerischen Hochgebirg.

Nichts ist imposanter, als die Gebirgskette der baierischen Alpen, welche sich als eine gigantische blaue Krystallisation vor dem smaragdgrünen Bande der Niederung in unabsehbarer Ausdehnung vom „Zugspitz“ bis zum „wilden Kaiser“ und noch weiter hinlagert.

In der Nähe betrachtet, erwecken die Hochgebirge wohl die Sehnsucht des Beschauers, sie mit Adlerflügeln umschweben zu können und sich auf ihre höchsten Zinnen, vor grauenvollen Abgründen nieder zu lassen, dann in die endlose Ferne zu spähen, dann die zahllosen Seen zu entdecken, und den Silberbändern der Flüsse zu folgen, wie sie sich schlängelnd in den Horizont verlieren. Aber die Firnen und Gipfel der Berge zu erklimmen, über ihre Kämme zu kriechen – rechts und links tiefe Schluchten – an ihren Felswänden auf und nieder zu klettern, jeden Schritt und Tritt mit Lebensgefahr, wie wir es in unsern Illustrationen von den Gemsjägern in Nr. 1 ersahen, dazu gehört mehr als das dreifache Erz, das nach Vater Homer die Brust jenes Mannes, der zuerst sich auf die unermeßliche See in schwacher Barke hinauswagte, umpanzerte. –

Doch für sie, welche daran gewöhnt sind, ist ein solches Leben voll Gefahr, wenn auch nicht immer eine Lust, doch selten eine Calamität, und es möchten nicht viele Gemsjäger und Holzfäller im Hochgebirge, deren Väter, Groß- und Urgroßväter sich in den Rissen „derstürzten“, d. h. verunglückten, zu finden sein, die nicht die bekannte Antwort jenes Seemannes geben würden, welcher der Verwunderung, daß man, wenn alle seine Vorfahren auf der See verunglückt wären, sich noch auf dies gefährliche Element wagen könnte, seinerseits die Verwunderung entgegensetzte, wie man noch ein Bett besteigen könnte, wenn fast alle Leute vom Festlande darin stürben.

Doch wie auf der See meist mit periodischen Lustfahrten, so verhält es sich auch im Hochgebirge mit dem Bergsteigen der Touristen, die unter den Fittigen eines tüchtigen Bergführers, wohl versehen mit Allem, was den Gaumen und Magen labt und wieder frische Kräfte gibt, mit Zeit und Muße eine Bergspitze ersteigen, meistens ohne alle Gefahr. Eine solche Bergfahrt gibt kein Bild von den Gefahren des Gebirgslebens. Von ihnen können nur die berechtigten Jäger und Wildschützen erzählen, nur jene, welche nach Enzianwurzel, nach heilsamen Bergkräutern, Alpenröschen und Edelweiß suchen; am besten wissen die Holzfäller des Gebirges davon zu erzählen.

Es ist wunderbar, welche Triebkraft die Gebirgs-Vegetation, namentlich der Gebirgs-Nadelhölzer, besitzt. Mächtige Tannen schwingen sich aus Felsenritzen auf, als hätten sie mit studirtem Eigensinne sich das sterilste Plätzchen für ihr Dasein aufgesucht. Alle diese Baumindividuen, ist irgend eine Möglichkeit, sie zu erreichen, sind vor der tödtlichen Axt nicht sicher, selbst wenn die Aussicht, Gewinn daran zu haben, d. h. sie transportabel zu machen, mit der Mühe und Gefahr nicht im Einklange steht.

Aber nirgends häufiger, als im Hochgebirg, schrieb die Natur ihr gebieterisches „Bis hierher und nicht weiter.“ Tausend und aber tausend mächtige Stämme, im Laufe der Zeiten vom Blitzstrahle getroffen, vom Orkan entwurzelt, vom Waldbache untergraben, vermodern am Platze, wo sie niederstürzten. Zahlreicher noch als diese sind die Leichen jener Baumriesen, welchen das Alter den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 488. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_488.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)