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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

„Arthur, theurer Arthur! was soll aus mir werden, wenn Deine Mutter nicht mild gegen mich wird!“ rief Bernhardine, als sie mit ihrem Gatten allein war.

„Habe Geduld mit ihr, Geliebte, nur auf einige Tage Geduld,“ erwiderte Arthur beschwichtigend. „Sie hat viele Sorgen in ihrem Leben gehabt, und das hat sie härter gemacht, als sie von Natur ist. Es ist mir nicht möglich zu glauben, daß sie stets so sonderbar sein werde, Bernhardine; Deine Herzensgüte, Dein gewinnendes Wesen werden ihre Härte überwinden, ja zwingen, die zu lieben und zu achten, die nur gekannt zu werden braucht, um gewiß geliebt zu werden.“

„Ach, Arthur, nie habe ich Deine Worte so hoch geschätzt als heute!“ rief das junge Weib mit einem Blicke und einer Bewegung voll rührender Zärtlichkeit. „So lange Du mich liebst, an mich glaubst und Dich meiner nicht schämst, mag die ganze Welt spotten — ich werde doch stolz und selig sein.“

„Die ganze Welt soll Dich ehren,“ sagte Arthur lachend, „doch komm und bade Deine großen, blauen Augen, vergiss die Außenwelt, und sei glücklich in unserer Liebe. Begegne meiner Mutter künftighin mit mehr Ruhe und ohne alle Gezwungenheit. Laß sie so wenig als möglich in die Welt Deiner Gefühle blicken. Einen siegreichen Feind wird sie ehren, wenn sie es auch nicht zeigt, und zwar vielleicht mehr, als sie Erbarmen haben würde mit einem überwundenen. Sie achtet tugendhafte Willensstärke und Entschiedenheit selbst dann, wenn sie gegen sie selbst gerichtet sind; dagegen verachtet sie Furchtsamkeit, Gehorsam, der nur dulden kann, und Reizbarkeit in solchem Maße, daß sie unwillkürlich die Tyrannin dieser Eigenschaften wird. Fürchte sie nicht, vertheidige Dich und es wird sich Alles ganz gut machen. Wird Deinem Herzen der Kampf schwer, so bin ich da, Dir beizustehen.“

„Arthur, ich wollte, ich müßte für Dich etwas Entsetzliches thun. Ich fühle, als ob ich für Dich und Deine Liebe das grausamste Martyrthum überstehen könnte; ich könnte sterben für Dich —“

„Aber meiner Mutter wagst Du nicht zu widerstehen? Ist es so? Mein süßes Lieb, ich weiß etwas Besseres als sterben, Du sollst für mich und mit mir leben. — Mich soll’s doch wundern, ob Du nach einigen Jahren unserer Verheirathung eben so reden wirst. Laß sehen, wie viele Tage sind wir verheirathet? Sechsundzwanzig, richtig, sechsundzwanzig. Wir sind also fast am Ende unseres Honigmonats, meine holde Bernhardine.“

II.

„Bernhardine scheint mir seit ihrer Ankunft wirklich schon etwas vorgeschritten zu sein,“ sagte Madame Alster eines Morgens zu ihrem Sohne; „sie ist weniger tölpisch und unmanierlich, als sie war.“

„Tölpisch ist wohl nicht das Wort, das ihr jemals zukam,“ entgegnete lebhaft Arthur. „Sie ist blos scheu und von ihrer Kindheit dem Weltleben fremd gewesen. Ich halte sie für sehr anmuthig.“

Madame Alster zog die Augenbrauen.

„Bedenken Sie ihre Jugend!“ fuhr Arthur fort, indem er seiner Mutter Blick beantwortete. „Sie ist noch nicht zwanzig und war nie vorher in so ausgewählter Gesellschaft.“

„Wie sonderbar!“ begann von Neuem die Mutter, und gleichsam zu sich selbst sprechend, „ja, es ist ein eigenthümlicher Anblick, Männer von Geist, Reichthum. Erziehung, Rang mit Frauen verheirathet zu sehen, die in allen diesen Beziehungen unter ihnen stehen. Man sollte glauben, Geist, Reichthum, Erziehung und Rang müßte ihren Geschmack so verfeinert haben, daß sie in der Wahl einer Lebensgefährtin sehr wählerisch sein müßten. Aber gerade diese Männer heirathen so oft unter ihrer Sphäre. Statt ein Weib zu wählen, das den Anforderungen ihrer socialen Stellung zu entsprechen vermöchte, sind sie blos darauf bedacht, das zu wählen, was ihrem Auge gefällt, und das nennt man Liebe. So thatest Du, Arthur, als Du Bernhardine wähltest. Um wie viel besser würde für Dich Fräulein Waldheim gepaßt haben.“

„Fräulein Waldheim?! Ei, da hätten Sie eben so gut fordern können, ich hätte eine Statue heirathen sollen. Sie ist ein schönes Mädchen, das gestehe ich, doch ohne alles Leben, ohne einen Tropfen Blut in ihren Adern.“

„Das mag sein. Doch sie war das rechte, für Dich ganz passende Weib. Sie paßte zu Deinem Alter, zu Deinem Range; ist ganz geeignet die Tonangeberin ihrer Gesellschaft zu sein, wie es sich geziemt für Dein Weib; dazu ist sie reich, von guter Herkunft und besitzt kurz und gut alle Eigenschaften, welche die einstige Besitzerin von Distelfeld haben sollte. Du mißachtest solche offenbare Harmonie der Umstände, und für was? für einen guten, kleinen blauäugigen Niemand, der nicht weiß, wie er eine Edeldame zu empfangen hat, ja nicht weiß, mit welchem Fuße man in den Wagen steigen soll.“

„Aber dieser kleine, blauäugige Niemand besitzt Güte, Liebe, Unschuld und Beständigkeit —“

„Sei kein Thor, Arthur!“ unterbrach Madame Alster. „Ich bitte Dich, was hast Du an dieser excessiven Naturplastik? Es wäre Alles ganz schön, wenn diese Eigenschaften nur für Dich da wären und glänzten, so lange Du an ihrer Seite bist und sie beeinflussest. Wie aber, wenn Du fern bist, wird nicht dieselbe Fügsamkeit, die Dich so anzieht, sie auch gar bald unter den Einfluß eines Andern bringen? Thörichter Junge, Du hast Dich mit der unerträglichsten aller Bürden – mit der Schwäche und Unfähigkeit einer lebenslangen Gefährtin beladen. Widersprich nicht! oder Du machst mich ärgerlich. Ich weiß, sie ist liebenswürdig, bezaubernd und gut von Herzen, aber sie hat nicht mehr Kraft, Selbstvertrauen, gewöhnlichen Menschenverstand und Manier, als ein Kind. Und das weißt Du so gut als ich. Da ist sie. – Ich sprach so eben von Ihnen, Bernhardine. Sind Sie heute wohl?“ fragte sie plötzlich.

„Ja wohl, ich danke Ihnen, ich bin gesund,“ entgegnete Bernhardine, die jedes Mal nervös wurde, sobald sie mit ihrer Schwiegermutter zusammen sein mußte oder gar zu sprechen gezwungen war.

„Das schien mir nicht. Ihre Augen haben einen blauen Rand und Ihr Haar, wie hängt das so matt herab! Wollen Sie heute mit mir ausfahren?“

„Wenn es Ihnen gefällig ist,“ sagte Bernhardine.

„Oder mit Ihrem Gemahl?“

„Wie es Ihnen oder Arthur lieber ist.“

„Meine liebe junge Dame,“ sagte Madame Alster mit einem ihrer steinharten Blicke, „wann werden Sie lernen einen eigenen Willen zu haben!“

„Ja, Bernhardine, ich wünsche, Du sagtest stets das, was Du wirklich vorziehst, sobald Du gefragt wirst,“ sagte Arthur mit einem leisen Anfluge von mürrischem Wesen.

„Ich fürchte, ich bin selbstisch und unbedachtsam gegen Andere,“ rief Bernhardine hastig. „Aber wenn Sie erlauben, so fahre ich lieber mit Arthur.“

„Du weißt, ich fahre heute nach Blenheim, um das junge Pferd zu sehen, welches mein Freund kürzlich gekauftt hat, dahin kann ich Dich füglich nicht mitnehmen,“ sagte Arthur noch immer etwas gereizt.

„Da sieh, was hab’ ich davon, wenn ich wähle!“ rief fast weinerlich Bernhardine und machte einen unglücklichen Versuch, zu lächeln und heiter zu scheinen. Dagegen entfielen ihren Augen Thränen; denn während der drei Wochen, während welcher sie mit ihrer hochmüthigen Schwiegermutter zusammen gewesen, hatte sie sich in einem Zustande chronischer Niedergeschlagenheit befunden.

„Würde es nicht weit anständiger sein, wenn Sie nicht weinten, sobald man zu Ihnen spricht?“ sagte die mitleidlose habichtäugige Dame.

„Ich weine nicht!“ rief kühn Bernhardine.

„Nicht? Was ist denn das an Ihrer Hand? Ist das keine Thräne? Pfui! Sie müssen nicht lügen; es ist das das gewöhnliche Laster der Schwachen.“

Arthur begab sich an’s Fenster, blaß von unterdrückter Aufregung. Diesen Augenblick haßte er Bernhardine. Die junge Frau hatte eine schlaflose Nacht gehabt, kein Wunder, wenn sie unter dem Drucke ihrer Schwiegermutter sich nervöser fühlte, denn sonst. Sie versuchte, sich zu beruhigen. allein es gelang ihr nicht; sie fühlte, wie Etwas in ihr nachgab, und leise seufzend sank sie kraftlos auf die Kissen der Ottomane, auf welcher sie saß; eine tiefe Ohnmacht umfing sie.

In diesem Augenblicke hörte man Besuch ankommen.

„Bernhardine!“ rief Madame Alster, „Bernhardine! Bei Gott, Arthur, das Kind ist ohnmächtig!“

Ehe man Befehle ertheilen oder zu Hülfe eilen konnte, riß der Diener die Flügelthüre auf und herein trat eine junge Dame,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_002.jpg&oldid=- (Version vom 30.4.2018)