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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

schön gleich einer Statue von würdevollem Anstand; es war Fräulein Waldheim, dieselbe, welche Madame Alster für Arthur bestimmt hatte.

Ruhig sah der Besuch mit dem Augenglase auf die ohnmächtige Bernhardine, wandte sich dann voll Grazie ab und sagte, wie Madame Alster selbst schon geäußert hatte: „Wie unpassend!“

Arthur erröthete, um bald darauf wieder todtenbleich zu werden.

„Gut,“ sagte Madame Alster grausam lächelnd zu sich, „der erste Schlag hat sicherlich getroffen.“

Während das Kammermädchen der Ohnmächtigen beisprang, leitete Madame Alster ihren Besuch in die innern Gemächer. An der Thür blieb sie stehen und, zu Arthur sich wendend, der sich ebenfalls mit Bernhardinen beschäftigte, sagte sie:

„Ueberlaß Deine Frau meinem Mädchen.“

Arthur jedoch wollte davon nichts hören; er blieb und bemühte sich, seine ohnmächtige Frau wieder zu sich zu bringen.

„Was für ein Muster von einem Gatten!“ sagte Fräulein Waldheim, aber mit einer so ruhigen Stimme, daß Niemand wissen konnte, ob sie bewundernd oder ironisch gesprochen hatte. Arthur war in schlimmer Stimmung und geneigt, Alles im schwärzesten Lichte zu betrachten. Er nahm ihr Wort als schneidende Satire auf und Bernhardine gewann bei diesem Glauben nicht. Zum ersten Male stieg in ihm der Gedanke auf: „ich wollte, ich hätte gewartet.“

Madame Alster verstand die Kunst – Niemand wußte genau wie – jede Person unverständig, lächerlich, unangenehm und schlecht erzogen erscheinen zu lassen. Das ging jedoch nicht daraus hervor, daß jede andere Person neben ihrer Verständigkeit, würdevollen Haltung und guten Erziehung verlieren mußte, sondern von dem geraden Gegentheile. Ihre Manieren zeigten den unverhüllten Hochmuth und eine Anmaßung von Superiorität, die durch nichts erschüttert zu werden schien. Sie war ohne Zweifel eine hübsche Frau, aber nicht von der Art, welche andere Schönheiten in Schatten stellt. Sie war von blutloser Blässe mit einem abschreckenden Blick und einem Grausamkeit andeutenden Kinnbacken. Ihr Haar war schon weiß; dagegen waren ihre dicken geraden Augenbrauen noch schwarz wie Ebenholz. Die graublauen Augen lagen tief in ihren Höhlen und hatten nichts von ihrem Feuer verloren. Die Linien zwischen den Augenbrauen gingen tief und die Runzel in der Mitte hatte etwas Abschreckendes. Ihre Nase war scharf, hoch und hübsch, und ihre dünnen Lippen schlossen sich leicht über kleine gerade, aber nicht weiße Zähne; ihr Kinn, ein Viereck bildend, wie die Stirn, war massiv und etwas hervorstehend.

Demnach kam ihre eigentliche Kraft, moralisch zu unterdrücken, nicht von ihrem Aeußern oder ihrer Grazie her, sondern von ihrer grausamen Gemüthsart. Sie sagte genau, was sie dachte, mochte es für den Hörenden noch so schmerzlich sein. Nie hatte Jemand bemerkt, daß sie ihre Worte aus Erbarmen oder Delicatesse gemildert hätte. Sie war stolz auf ihr Geradezusein, ihre Ehrenhaftigkeit und ihren gänzlichen Mangel an falschem Zartgefühl. Kam sie zum ersten Male mit einer Person zusammen, so machte es ihr Vergnügen, deren Kraft zur Selbstvertheidigung zu prüfen. Gab diese entweder aus Furchtsamkeit oder Artigkeit nach, so setzte sie gleichsam ihren Fuß auf des Fremdlings Nacken und zog ihn nie freiwillig wieder zurück. Opponirte man ihr, so haßte sie wohl, aber sie achtete doch auch ihren Gegner. Das Einzige, was sie achtete, war Kraft und die einzige Person aus ihrer Nachbarschaft, gegen welche sie sich nie insolent zeigte, war Fräulein Waldheim. Denn diese, obschon von verschiedener Natur, war ein furchtloses, sich geltendmachendes Wesen, gerade wie Madame Alster, das es von Keinem litt, daß man ihr zu nahe kam. Sie waren nicht Rivale, sie waren, jede in ihrer Weise, Königinnen, die ihre beiderseitigen Rechte respectirten.

Bernhardine würde, hätte diese nicht ihren Sohn geheirathet, nur von ihr gründlich verachtet worden sein, so aber ward sie mit überlegtem Haß beehrt. Da die Heirath geschehen war und nicht ohne Zustimmung ihres Sohnes aufgelöst werden konnte, so ließ sie wenigstens ihren vollen Mißmuth an dem armen Kinde aus, das stets fühlte, als ob es unaufhörlich mit Nadeln gestochen würde. Die arme junge Frau verlor unter diesen Peinigungen ihre körperliche Grazie, die einst nicht wenig dazu beigetragen hatte, daß sie ihres Gatten Herz gewann. Auch Arthur entging nicht dem Einflusse seiner Mutter durch deren ewiges Besingen der Mängel seiner Frau. Zuerst lernte er diese zu entschuldigen, dann sie zu kritisiren – und die Kritik fiel nicht immer zu ihren Gunsten aus – und endlich fing er an, sich ihrer ein wenig zu schämen. Tiefern Fall verhütete glücklicher Weise noch sein Stolz und sein männlicher Sinn, aber eine schwere Gefahr lag vor ihm, die um so gefährlicher war, als er sie sich nicht eingestand.

Inmitten aller dieser gefährlichen Anfänge mußte Arthur Geschäfte halber, die kluger Weise für ihn aufgespart worden waren, verreisen und Bernhardinen dem Schutze seiner Mutter überlassen. Kaum war Arthur’s Wagen verschwunden, als Madame Alster sich niedersetzte und einen Brief an ihren Cousin Alphons schrieb, den Bruder Liederlich der Familie, den hübschesten Gardeofficier und, wie man behauptete, den glücklichsten Damenfänger seiner Zeit.

III.

Bernhardine, welche nicht wenig erschrocken war, als sie vernahm, sie werde mit ihrem Quälgeiste, ihrer Schwiegermutter, allein sein müssen, erstaunte höchlichst, als plötzlich diese eine ganz Andere wurde. Madame Alster legte ihre harte, insolente Manier bei Seite, ward gütig, freundlich, bedachtsam, hörte auf Fehler zu finden und wurde sogar einschmeichelnd. Bernhardine, die gar gern ihre Schwiegermutter eben so sehr zu lieben wünschte, als sie diese fürchtete, fing an ruhig, heiter und kindlich zu werden, ja sie tadelte sich wohl gar, daß sie in ihrem Urtheil zu voreilig und wohl zu empfindlich gewesen sein dürfte. So hatte sie einige Tage recht glücklich verbracht, trotz der ihr bisher fremd gewesenen Betrübniß, welche jede junge Frau beschleicht, wenn sie sich zum ersten Male von ihrem geliebten Gatten trennen muß, – als eine Kutsche vorfuhr, aus welcher ein feiner, hübscher junger Mann mit blauen Augen, mit wohlgehaltenem Schnurrbart, weißen Zähnen und mit militairischem Anstand und Lustigkeit heraussprang. Dieser küßte Madame Alster fast so feurig, als ob er eine schöne junge Dame vor sich hätte, und schien überhaupt so im Hause zu Haus zu sein, als ob er Herr von Allem wäre, was sich darin befand, obschon er eben die Schwelle überschritten hatte. Cousin Alphons war es.

Niemals gab es einen angenehmern Gesellschafter, als dieser Cousin Alphons war. Scherze und belustigende Anekdoten flossen von seinem immer heitern Munde. Voll Ritterlichkeit gegen die Damen, soweit diese mit dem modernen Behaben vereinbar ist, war er voll Achtung bei aller Vertraulichkeit, und selbst seine Familiarität so voll Wohlwollen und männlich, daß er nie mit Jemand in Streit gerieth. Viele liebten ihn, weil sie wußten, er besitze die beste Seele von der Welt. Alle diese Eigenschaften machten ihn zu einem gefährlich angenehmen Gesellschafter für die meisten jungen Damen. Aber wenn auch Alphons ein Bruder Liederlich war, so hatte er doch das Herz am rechten Flecke. Liebte er auch Unfug, so war er doch fern von Bosheit und Laster.

Anfangs benahm sich Bernhardine scheu gegen ihn. Sie wollte matronenhaft und würdevoll erscheinen. Aber Cousin Alphons lachte ihr das alles heraus, und in unglaublich kurzer Zeit, setzte er sich mit ihr auf den denkbar bequemsten Fuß. Tante Alster, wie er sie nannte, übergab das junge hübsche Weib seiner Fürsorge, und zwar auf eine etwas stark auffallende Weise für Jeden, der sie kannte, da sie selbst so sehr auf Alles hielt, was Anstand hieß. So zum Beispiel fand es Bernhardine bedenklich, mit ihm allein auszureiten. Denn sie legte sich immer die Frage vor: Würde das wohl meinem Arthur recht sein? und nach der von ihrem Gefühle gegebenen Antwort entschied sie. Doch ihre Schwiegermutter schlug ihre Bedenken mit den Worten nieder: „Wer ist wohl der beste Beurtheiler dessen was anständig ist, ich oder Sie? Und wenn ich sage, daß Sie mit Ihrem Cousin ausreiten dürfen, so sagt Ihre entgegenstehende Aeußerung nichts Anderes, als daß ich ein unsicherer Führer für Sie bin, und daß meine Gewohnheiten und Ansichten sich nicht für Sie so eignen, um sie annehmen zu können.“ Solche Autorität schlug jedes Bedenken nieder.

Bernhardine schrieb täglich an ihren Gatten. Sie hatte eigentlich wenig zu sagen, außer ihrer Liebe für ihn, und wie angenehm sich Cousin Alphons mache. Er war das einzige Factum, das sie für jetzt zum Gegenstande ihrer Erzählungen machen konnte. Nun aber bestand zwischen Cousin Alphons und Arthur seit langer Zeit eine bedeutende Spannung, obgleich Jeder von ihnen es vermied, die Feindseligkeiten offen ausbrechen zu lassen. Arthur nannte Alphons frivol, dieser Arthur’n einen ehrwürdigen, geistlichen Herrn etc.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_003.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2019)