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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Ein Besuch im Brester Bagno.

Auf meinen Reisen durch Frankreich kam ich auch nach Brest, wo ich nicht versäumte, den traurigen Aufenthalt der Galeerensclaven zu besuchen, der für psychologische Studien ein so großes Interesse bietet.

Das Brester Bagno, welches einen Theil des Kriegshafens bildet, ist ein großes, fast zweihundert Fuß langes Gebäude. Es hat drei Abtheilungen, von denen die mittlere, bei weitem die größte, aus vier langen Sälen besteht; in jedem derselben können sechshundert Sträflinge untergebracht werden. Sie befinden sich im ersten Stockwerke, zu welchen eine breite steinerne Doppeltreppe führt. In den beiden Seitenflügeln wohnen die zahlreichen Beamten und Aufseher der Anstalt, so daß die Sträflinge rechts und links von tausend Augen bewacht werden. Kaum hatte ich mich der Treppe genähert, als ich ein wahrhaft betäubendes Kettengerassel vernahm, und bald kam mir ein Trupp Sträflinge entgegen, die, je zwei aneinander gekettet und von ihren Aufsehern begleitet, zu der Hafenarbeit abgingen. Es mochten ihrer ungefähr zweihundert sein und ich merkte zu meinem Erstaunen, daß in ihren wilden, sonnenverbrannten Gesichtern keine Spur von Trauer oder Bestürzung zu lesen war. Mehrere von ihnen schienen sogar heiter und aufgeräumt. Vielleicht waren sie froh, das Gefängniß verlassen und mehrere Stunden, wenn auch bei der härtesten Arbeit, unter freiem Himmel zubringen zu können. Nach einigen Augenblicken befand ich mich in einem der Säle. Beim ersten oberflächlichen Anblick scheint ein solcher Saal viel heiterer, als ein gewöhnlicher Casernensaal. Er ist sehr hoch, breit und die Sonnenstrahlen dringen ungehindert durch die Fenster. Betrachtet man ihn aber etwas genauer und erfährt man die strengen, furchtbaren Vorschriften, welchen die Bewohner desselben gehorchen müssen, so wird man von Schauder und Mitleid und zugleich von Bewunderung der menschlichen Natur ergriffen, die sich auch an die fürchterlichsten, an die entsetzlichsten Qualen gewöhnt und das Unerträglichste ertragen lernt. Alles, was der menschliche Scharfsinn erfinden kann, um die Flucht unmöglich zu machen, ist hier angewendet. Der Boden eines solchen Saales ist weder gedielt, noch mit Quadern belegt, sondern asphaltirt; und diese dicke, glatte Asphaltdecke wird stets bewacht und die geringste Spalte oder Ritze in derselben sogleich wieder ausgebessert. Daß die Mauern von einer ungeheuern Solidität, versteht sich von selbst; die Fenster aber sind nicht nur sieben Fuß über dem Boden erhöht und mit einem dicken Eisengitter versehen, sondern oberhalb eines jeden Fensters befindet sich auch noch eine Laterne, welche die ganze Nacht hindurch brennt. Würden diese Laternen ausgelöscht, so wäre dies ein Zeichen der Empörung. Die Empörungen im Bagno sind indessen sehr selten und werden auch, wie man sich leicht denken kann, sogleich und mit der furchtbarsten Energie unterdrückt.

In jedem Saale zieht sich auf der den Fenstern zugekehrten Seite eine Reihe von Pritschen hin, welche die Schlafstätten der Sträflinge bilden. Zur bestimmten Zeit des Abends werden diese je zwei aneinander gekettet. Durch sämmtliche Ketten läuft eine dicke eiserne Stange, die an der Pritsche befestigt wird, so daß jeder Sträfling während der Nacht nicht nur an seinen Cameraden, sondern auch an seine Schlafstätte gefesselt ist. Seine eigene Kette ist indessen so lang, daß er sich etwa zwei Schritte von der Pritsche entfernen kann, sobald ihn ein unabweisliches Bedürfniß dazu nöthigt. Auf dieser Pritsche stehen die Sträflinge eine wahre Höllenqual aus. Sie haben dort nicht mehr Raum, als eine Leiche in ihrem Sarge und können sich nur mit Mühe von einer Seite auf die andere wenden. Im Sommer werden sie von der furchtbarsten Hitze, im Winter von der entsetzlichsten Kälte geplagt. Die Kälte ist um so empfindlicher, als sie nur eine dünne schmale Matratze zur Decke haben. Früher gab man ihnen auch eine Matratze zur Unterlage; diese wurde ihnen aber 1823 abgenommen. Eine Empörung brach deshalb im Bagno aus; sie wurde indessen auf der Stelle unterdrückt und seit jener Zeit müssen die Sträflinge auf der bloßen Pritsche zubringen.

Sobald sie auf die eben beschriebene Weise an ihr Lager befestigt worden, ertönt ein Peitschenknall. Das ist das Signal zur Ruhe. Nach diesem Signal muß Todesstille in allen Sälen herrschen und kein einziges Wort darf mehr bis zum folgenden Morgen gesprochen werden. Ein solches Nachtlager ist viel mehr ermüdend, als erquickend, und wer von den Sträflingen nicht eine eiserne Constitution hat, siecht bald hin und wird ein Opfer dieses Pritschenbettes; so wie umgekehrt diejenigen, welche die ersten Jahre im Bagno überstanden, die Aussicht auf ein sehr hohes Alter haben. Diese Aussicht ist aber unter solchen Umständen gewiß mehr betrübend als erfreulich; denn kein Tod ist schrecklicher, als ein solches Leben.

Das Brester Bagno bildet, wie bereits erwähnt, einen Theil des Kriegshafens, der bekanntlich erst unter dem Cardinal Richelieu, dem Schöpfer der französischen Marine, angelegt wurde. Noch bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts wurden die Galeerensträflinge nicht unmittelbar von der Regierung nach dem Bagno gesendet. Diese Sendung geschah vielmehr durch einen Speculanten, der den Titel Capitaine de la Chaine trug und für eine bestimmte Summe die Sträflinge nach den Galeeren beförderte. Unter ihm standen ein Lieutenant und ein Unterlieutenant, so wie mehrere Sergeanten und eine gewisse Anzahl Soldaten, die zusammen aus den verschiedenen Gefängnissen die Verurtheilten abholten und nach Brest transportirten.

Im Bagno angelangt, wurde ihnen sogleich die „Toilette“ gemacht. Die alte Kleidung wurde ihnen nämlich ausgezogen und nachdem sie am ganzen Körper gewaschen worden, schnitt man ihnen die Haare ganz kurz ab und steckte sie in die Galeerenkleidung. Diese bestand und besteht noch heute aus weiten Drillhosen, aus einer rothen Jacke von grobem Tuche und aus einer rothen oder grünen phrygischen Mütze. Die grüne Farbe der Mütze zeichnet die auf Lebenszeit verurtheilten Galeerensclaven von denen aus, die blos auf eine bestimmte Zeit verurtheilt sind. Außerdem ward und wird noch heute an die Mütze des Sträflings eine mit einer Nummer versehene Blechplatte befestigt. Der Sträfling hat keinen Namen mehr, er wird eine Ziffer. Aber damit ist die traurige „Toilette“ noch nicht vollendet. Es wird ihm jetzt um den Fuß der eiserne Ring geschmiedet, den er bis zum Ende seiner Gefangenschaft, oft bis zum Ende seines Lebens tragen muß. An diesen Ring wird die Kette befestigt, welche ihn an den Mitsträfling knüpft. Ring und Ketten haben ein Gewicht von vierzehn Pfund. Früher wurden die Sträflinge, nachdem sie am Pranger ausgestellt gewesen, auch gebrandmarkt. Der Sträfling wurde auf einem öffentlichen Platze ausgestellt und der Henker brannte ihm mit einem glühenden Eisen ein Zeichen auf der Schulter ein. Diese Strafe wurde aber im Jahre 1832 abgeschafft. Seit 1835 werden die Sträflinge in Zellenwagen nach dem Bagno gebracht und seit 1848 hat die provisorische Regierung auch die Ausstellung am Pranger unterdrückt. Sonst ist es so ziemlich beim Alten geblieben.

Werfen wir nun einen Blick auf das Leben des Sträflings im Bagno. Von dem Augenblick an, da ihm die Galeerenkleidung angethan worden, wird seine Kette an die eines Andern befestigt und er ist verdammt, Tag und Nacht unzertrennlich mit einem Menschen zu leben, den er früher nie gesehen, dessen Namen er vielleicht niemals erfährt und der nicht selten körperlich und geistig gleich abstoßend. Unter den dritthalbtausend Individuen im Brester Bagno sind alle Stände der Gesellschaft vertreten. Man findet unter ihnen Aerzte, Advocaten, Richter, Priester, Künstler, Schriftsteller, Kaufleute, Soldaten und Handwerker. Welche furchtbaren Qualen muß also derjenige Sträfling dulden, der noch vor Kurzem mit den gebildetsten und geistreichsten Menschen verkehrt hat und jetzt, nachdem er in einem Augenblick der Selbstvergessenheit eine dunkle That begangen, gezwungen wird, Jahre lang gleichsam die andere Hälfte eines Menschen zu bilden, der, ohne Geist, ohne Bildung in den Lastern jeder Art verhärtet, nur darauf sinnt, wie er sich an der menschlichen Gesellschaft, die ihn ausgestoßen, am empfindlichsten rächen kann. Diese Zusammenkoppelung ist einer der furchtbarsten Mißbräuche. Sie ist grausam, unbarmherzig, unvernünftig. Sie erfüllt den Sträfling mit unversöhnlichen Rachegefühlen, und statt seine Vergangenheit zu bereuen, hält er sich bald für den Märtyrer einer ungerechten Justiz.

Hat der Sträfling sich Morgens zur bestimmten Stunde von seinem Pritschenlager aufgemacht, so muß er zur Arbeit. Diese ist sehr hart und zwar so sehr, daß sie nach einigen Stunden auch den Allerstärksten erschöpft. Er muß die Schiffe bemasten, das Hafenbett baggern, helfen sprengen und ungeheuere Lasten ziehen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_007.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)