Seite:Die Gartenlaube (1858) 116.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)


Der Dichter nahm mit einer Verbeugung die kleine in den Scherz gekleidete Zurechtweisung hin.

Die Landgräfin hatte die Schwelle der Gärtnerwohnung erreicht und wollte sie eben verlassen, als sie noch einmal den Schritt anhielt und, Goethe anblickend, sagte:

„Meine stille Grotte, deren Hüter bisher Minette und ihr Vater waren, und die außer diesen nur von meiner guten Schwarzenau gekannt wurde, ist nun nicht mehr ein Geheimniß für die übrige Welt …“

„O fürchten Sie nichts,“ versetzte Goethe, „was einem Dichter vertraut ist, das ruht auf einem tiefen, stillen Grunde, so sicher, wie auf dem Schooß des Meeres. Höchstens wird er seine Geheimnisse dem Liede anvertrauen, und da sind sie gerade am sichersten, weil die Welt des Dichters Lieder für gedichtet hält, nicht für gelebt. Ihr Geheimniß wird heilig und unverletzt bleiben, hohe Frau!“

Und Goethe hat Wort gehalten. Die Grotte selbst ist der edeln Landgräfin heimlicher Versteck, die stille Klause geblieben, wo sie ihren Träumen und ihren Gedanken lebte.

Als Caroline von Hessen, die ihrem Volke durch einen vorzeitigen Tod zu frühe entrissen wurde, ihr Ende herannahen fühlte, am letzten Tage ihres Lebens, schrieb sie ihrem Gemahle: „Noch einen Wunsch habe ich, den letzten auf der Welt. Lassen Sie mich mitten in der großen Baumgruppe des englischen Gartens beerdigen. Man wird dort eine Grotte finden, die außer mir nur wenigen vertrautesten Dienern bekannt ist. In ihr ist die Stelle, wo ich ruhen will, und die ich größtentheils mit eigener Hand zugerichtet, mit einigen Steinen bezeichnet. Hier an der Stelle, wohin ich mich vor dem Geräusche des Hofes flüchtete, wo sich meine Seele mit Gott unterhielt, dem ich bald von meinem Leben, das ich mit Ihnen, mein Gemahl, theilte, Rechenschaft geben soll, hier, wo ich so oft Sie und meine Kinder dem Herrn befahl, hier, wo der Allmächtige alle meine Wünsche erhörte, hier will ich auch ruhen!“ –

Die Landgräfin wurde nach ihrem Wunsche in ihrer Grotte bestattet. Noch heute erhebt sich über derselben, von hochwipfeligen Bäumen und dichtem Gebüsch beschattet, das kleine Denkmal, gekrönt von einer Urne aus weißem Marmor, welches Friedrich der Große, der königliche Freund der edlen Frau, ihr errichten ließ. Die Inschrift des Denkmals lautet: Femina sexu, ingenio vir!




Der sibirische Steinbock und die Bezoarziege.

Der Geschichtsforscher, welcher gläubig die bunte Mannichfaltigkeit des Menschengeschlechts von einem Paare ableitet, müht sich, für dieses eine Wiege zu finden. Der Zoologe sucht eben so vergeblich nicht nur nach der Wiege, sondern nach den Ureltern beinahe aller unserer Haus- und Zuchtthiere. Pferd, Esel, Stier, Schaf, Hund, Katze, ja das befiederte Völkchen unserer Hühnerhöfe – alle hüllen ihre Abkunft in ein urzeitliches Dunkel und Niemand weiß mit Sicherheit, von manchen selbst kaum mit einiger Wahrscheinlichkeit, wo ihr ursprüngliches Vaterland sei. Es beweist dieses wenigstens, daß die Allianz dieser Thiere mit dem Menschen älter ist, als die Geschichtswissenschaft, ja selbst als die Mythe, denn schon in dem mythischen Theile der Geschichte wird dieser Thiere, wenn ihrer Erwähnung geschieht, einfach als Genossen der Menschen gedacht. In den dunkelsten Partien der egyptischen Geschichte erscheint die Katze schon als hochgeschätztes Hausthier. Fügsam gegen die Macht der Einflüsse, welche Klima und Bodenbeschaffenheit, Zucht und Pflege, Arbeit und Fütterung ausüben, haben jene Thiere bald mehr, bald weniger von ihrem ursprünglichen Charakter der Gestalt und des Naturells aufgegeben und sind Andere geworden, Andere im Vergleich zu dem, was sie waren, so lange sie noch nicht unter dem Alles verändernden Einflusse des Menschen standen.

Wir sind geneigt, uns darüber ganz besonders zu wundern, daß wir nicht einmal Heimath und Abstammung des Pferdes, des Hundes und des Schafes kennen, weil uns jetzt gerade diese Thiere unentbehrliche Begleiter geworden sind. Aber gerade eben deswegen, weil sie dies sind, hat der Mensch schon lange vergessen, wie und woher sie ihm einst zugeführt wurden. Am meisten müßten wir uns eigentlich über die völlig dunkle Urgeschichte der Katze wundern, die trotz ihrer weiten Verbreitung über den ganzen Erdkreis doch überall in allen wesentlichen Kennzeichen wie in ihrem Naturell unverändert geblieben ist, so daß wir davon eben den Schluß ableiten dürfen, daß sie sich auch wenig von ihrem Urtypus entfernt haben möge, es also leicht sein müßte, diesen als solchen zu erkennen, wenn man ihn irgend vorfinden sollte – aber man hat ihn eben noch nicht gefunden, Denn die wilde Katze in unseren Waldungen ist in wesentlichen Merkmalen viel zu sehr verschieden von unserer Hauskatze, als daß sie die Stammmutter der letzteren sein könnte. Bei Hund, Schaf und Ziege ist das anders. Die zahlreichen, wenigstens bei den ersten Beiden, unter sich so sehr abweichenden Racen berechtigen zu der Vermuthung, daß sie auch ihren Urtypen sehr unähnlich geworden sein mögen und daß man daher ihre Abstammung von dem oder jenem wild angetroffenen Thieren vermuthen dürfe, wenn anders trotz der Racenabweichung eine Annäherung in wesentlichen Kennzeichen nachzuweisen ist. Das dritte der genannten Thiere, die Ziege, ist von unseren gewöhnlichen Haussäugethieren das einzige, dessen Urbild und Urheimath nur geringen Zweifel zulassen.

Wir erblicken das erstere auf der linken Seite unseres Bildes in einem Pärchen der Bezoarziege, Capra aegagrus Gmelin, welche von unserer Hausziege sich eigentlich nur dadurch unterscheidet, daß sie in ihrer Heimath sich nicht in Racen verläuft, wie es die Hausziege thut, sondern in Gestalt, Färbung und Naturell sich treu bleibt. In denjenigen Ländern, wo große Ziegenheerden in freier Haltung gezogen werden, auf rauhen Bergen herumkletternd sich ihr Futter suchen müssen, wie es z. B. im südlichen Spanien der Fall ist, da gewinnt aber auch sie schnell durch alle Generationen hindurch einen festen und unveränderlichen Typus in allen einzelnen Thieren, und nähert sich manchmal bedeutend ihrer Stammmutter, der Bezoarziege, welche wenigstens von der Wissenschaft als diese angesehen wird, wenn auch hierüber noch keine Gewißheit besteht. Die Bezoarziege lebt auf den rauhen Bergen des Kaukasus und Taurus, in Persien und im Lande der Kirgisen und Tataren. Sie gleicht in ihrer kräftigen Gestalt und ihrem Naturell sehr dem Alpensteinbock, gibt sich aber durch die an der Vorderseite nicht breit abgeflachten und knotigen, sondern scharf gekanteten knotenlosen Hörner als echte Ziege zu erkennen. Die beim Bocke über zwei Fuß langen Hörner krümmen sich in weitem Bogen, ohne nach oben weit auseinander zu treten, und nähern sich mit den Spitzen wieder etwas. Bekanntlich sind es die in ihrem Magen sich bildenden harten Ballen unverdauter Nahrungsreste, was der Bezoarziege den Namen gegeben hat. Die Zeit ist aber vorbei, wo man den Bezoar für ein kräftiges, ja fast für ein wunderbares Heilmittel hielt. Ist die Genealogie der Ziege richtig, so ist die Bezoarziege auch die Urquelle jener kostbaren Shawls, nach denen als letztem Zielpunkte das Sehnen der weiblichen Salonwelt gerichtet ist; denn die Kaschmir- und Angora-Ziege, Verwandte unserer Ziegen, sind dann auch Descendentinnen der Bezoarziege, wie sie den Stoff zu jenen kostbaren Tüchern liefern.

Neben dem so eben noch als so wichtig für den ehelichen Frieden vornehmer Neuvermählter erkannten Pärchen dehnt der sibirische Steinbock, Capra sibirica Pallas, seinen plumpen langgestreckten Leib aus, um von dem Felsen eine Spur des namentlich den Wiederkäuern so unentbehrlichen Salzes zu lecken. Wir sehen um so besser die fast mähnenartige Behaarung des Nackens und das auffallende Verhältniß der Beine, welche für den langen Leib fast zu kurz erscheinen, aber dafür mit besondere kräftigen Schenkeln begabt sind. Die mächtigen Hörner erreichen bei alten Thieren eine Länge von fast drei Fuß und haben dann 16 Knoten, die aber an den Seiten keine Wülste bilden. Vorn sind die Hörner platt, wie es allen echten Steinböcken zukommt. Man unterscheidet deren außer dem gemeinen Alpensteinbock und dem sibirischen noch sechs weitere Arten, von denen zwei in Spanien leben, der eine auf der spanischen Seite der Pyrenäen, da er auf der französischen Seite bereits ausgerottet ist, der andere auf der

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_116.jpg&oldid=- (Version vom 5.10.2020)