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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Sie war mit jedem meiner Worte unruhiger geworden.

Und dies war eine Unruhe, die für meine individuelle Ueberzeugung immer mehr zu ihren Gunsten sprach. Es war die Unruhe, die Angst der von dem Scheine der Schuld erdrückten Unschuld.

Aber meine individuelle Ueberzeugung war nichts und galt nichts, gegenüber der Ueberzeugung des Gesetzes. Und das Gesetz sah diese Unruhe und ihren besondern Charakter nicht, sondern zählte nur jene Indicien auf.

„Mein Gott,“ rief sie in ihrer Angst, „was soll ich denn beweisen?“

Ich sann nach.

„Kann Jemand von den Leuten der Frau von Waldheim irgend einige Auskunft geben?“

„Niemand. Sie sprach nur mit mir und nur heimlich.“

„Auch Niemand von ihren Bekannten oder Freundinnen?“

„Sie hielt die Sache im höchsten Grade geheim.“

„Hat die Kammerjungfer nicht etwa eine Veränderung an dem Schmuck wahrgenommen oder darüber gesprochen?“

„Niemals.“

„Hat die Majorin den Verwandten genannt, dem sie das Geld leihen wollte?“

„Sie hütete sich.“

„Können Sie einen der Gläubiger bezeichnen, die Sie nach Ihren Annahmen mit dem für die Juwelen erhaltenen Gelde befriedigt hat?“

„Ich bin dazu nicht im Stande,“

„Sie wissen auch nicht, wo sie die Juwelen verkauft haben mag?“

„Auch das nicht.“

„Ihre Sache steht schlimm, um so schlimmer, als man nur zu geneigt sein muß, von diesem Diamantendiebstahle zugleich auf die übrigen Diebstähle zurückzuschließen.“

Sie hatte keine Erwiderung hierauf.

Sie saß wieder grübelnd, unruhig, ängstlich, wie vernichtet.

Auf einmal sprang sie auf. Aus ihrem flammenden Auge leuchtete ein fester Entschluß hervor.

„Mein Herr,“ sagte sie, rasch die Worte hervorschleudernd, „fragen Sie den Prinzen Ottokar.“

„Wen?“ rief ich.

Sie antwortete nicht.

„Den Prinzen Ottokar?“

„Ja.“

„Und was soll er Ihnen bezeugen?“

„Er weiß –“

„Sprechen Sie sich bestimmt aus.“

Sie antwortete mir nicht mehr.

So wie sie den Namen des Prinzen ausgesprochen hatte, war sie wieder leichenblaß geworden. Sie mußte sich schnell auf einen Stuhl setzen, wenn sie nicht umsinken sollte. Sie konnte mir nur noch mühsam jene wenigen, kurzen, weiteren Antworten geben. Dann fiel sie, völlig erschöpft, ineinander, schloß die Augen und schien einer Ohnmacht nahe zu sein.

Ich ließ ihr Zeit, sich zu erholen.

Sie schlug die Augen wieder auf.

„Darf ich mit Ihrer Vernehmung fortfahren?“ fragte ich sie.

Sie nickte mit dem Kopfe.

„Was soll der Prinz Ottokar bekunden?“

Als ich den Namen aussprach, zuckte ihr ganzer Körper zusammen.

„Habe ich den Namen genannt?“ rief sie. „Nein, nein! Ich habe im Wahnsinn gesprochen. Fragen Sie ihn nicht, er weiß nichts. Fragen Sie auch mich nichts mehr; ich weiß nicht mehr, was ich sage. Es ist mir Alles wirr im Kopfe. Ich beschwöre Sie, brechen Sie das Verhör ab. Seien Sie menschlich.“

Ich brach das Verhör ab und ließ sie in das Gefängniß zurückführen.

Was war das gewesen? Welche neue Phase? War es eine neue Phase unmittelbar für die Untersuchung? Oder nur für die Kenntniß des Innern, des Herzens der Angeschuldigten?

Der Prinz Ottokar war ein entfernter Anverwandter des Hofes, nicht so häufig am Hofe selbst, als in den höchsten Adelsgesellschaften der Residenz gesehen. Er war hier, wie überall, gern gesehen, denn er war ein schöner, sehr angenehmer Mann in der Mitte der dreißiger Jahre, und Wittwer. Seine Gemahlin hatte ihm zwei Kinder hinterlassen. Er hatte ein selbst für seinen hohen Stand bedeutendes Privatvermögen und lebte auch unabhängig vom Hofe. Er machte gern den Damen den Hof. Zur Regierung konnte er nie gelangen, auch schwerlich seine etwaige fernere Nachkommenschaft, So war ihm eine anderweite, auch unebenbürtige Vermählung nicht verwehrt. Manche schöne adlige Dame mochte sich in dem süßen Traume wiegen, als Prinzeß Ottokar am Hofe wie eine Cousine empfangen zu werden.

Das war von dem Prinzen Ottokar allgemein bekannt.

Aber in welcher Beziehung stand er zu der Angeschuldigten? Oder der Frau von Waldheim? Oder zu Beiden? Ich hatte nie etwas davon gehört; auch nicht das Geringste. Ich wußte nicht einmal, daß er die Gesellschaften der Frau von Waldheim besuche, obwohl ich es voraussetzen konnte.

In irgend einer Beziehung mußte er zu einer von Beiden stehen; wahrscheinlich zu Beiden, weil er über Thatsachen Auskunft geben sollte, welche Beide betrafen; jedenfalls zu der Angeklagten oder aber sie zu ihm. Und jedenfalls mußte wenigstens auf ihrer Seite das Verhältniß ein durchaus eigenthümliches sein, weil es ihr eine so große Anstrengung gekostet hatte, seinen Namen zu nennen. Er sollte, er konnte ihre Ehre retten; aber wie heftig hatte sie mit sich kämpfen müssen, bevor sie ihn als Zeugen benannte! Und nur erst, als sie gar kein anderes Mittel mehr sah, und nur in einem Zustande halber Verzweiflung war der Name mehr unwillkürlich plötzlich ihren Lippen entfallen, als daß sie ihn mit klarem Vorsatze ausgesprochen haben mochte.

Hier lag ein neues Räthsel vor, das freilich mit manchem bisher beobachteten Geheimnißvollen in Verbindung stehen konnte. Ob es sich aufklären, vollständig aufklären werde, stand dahin. Auf alle Fälle mußte durch die Vernehmung des Prinzen sich herausstellen, ob die Angeschuldigte eine Diebin oder die Frau von Waldheim eine falsche Anklägerin war.

Ich konnte gleichwohl sofort nichts weiter veranlassen. Den Prinzen konnte ich nicht wohl vernehmen, bevor die Angeschuldigte bestimmte Thatsachen, über die er Auskunft ertheilen solle, angegeben hatte. Erst, wenn sie diese verweigerte, durfte ich ihn blos allgemein befragen. Ich mußte sie also vorher noch einmal verhören, und dies sofort zu thun, erlaubte ihr Zustand nicht. Ich beschloß daher, für den heutigen Tag in der Sache nichts mehr zu veranlassen.

Aber es kam anders.

Ich hatte sie des Vormittags verhört. Ich hatte darauf meine übrigen Arbeiten auf dem Criminalgericht erledigt und stand im Begriff, mich zu Mittag nach Hause zu begeben, als mir noch die Majorin von Waldheim gemeldet wurde. Sie konnte mir neue Mittheilungen für die Untersuchung zu machen haben. Es kam mir auch auf einmal der Gedanke, ihr in Betreff des Prinzen eine Frage vorzulegen, um zu beobachten, welchen Eindruck die Nennung des Namens auf sie machen werde, um danach meine weiteren Fragen an die Angeschuldigte einrichten zu können.

Ich ließ sie vorkommen.

Sie trat mit einer Ruhe ein, die mir mehr eine gemachte zu sein schien.

„Ich komme blos,“ hub sie an, „mich zu erkundigen, ob die Person auch jetzt noch kein Geständniß abgelegt hat?“

Feines Gefühl zeigte diese Frage nicht. Zu einer weiteren Conjunctur konnte sie mich nicht berechtigen, einen wie unangenehmen Eindruck sie auch auf mich machte.

„Nein,“ antwortete ich kalt.

„Was hat sie denn gesagt?“ fragte die Dame nun rasch weiter.

„Gnadige Frau,“ erwiderte ich ihr, „meine amtliche Stellung verbietet mir, wenigstens für den Augenblick, Ihnen darüber Auskunft zu ertheilen.“

Sie blieb ruhig.

„Ah, entschuldigen Sie, Herr Criminalrath.“

„Indeß,“ fuhr ich fort, „einen Punkt darf ich Ihnen jetzt gleich mittheilen. Die Angeschuldigte hat sich auf das Zeugniß des Prinzen Ottokar berufen.“

War vorhin die Angeschuldigte, als sie den Namen aussprach, einer Ohnmacht nahe gewesen, so flog die Frau von Waldheim, als sie den Namen hörte, plötzlich in die Höhe, gleich einer wüthenden Schlange, die auf ein Opfer losstürzen will.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_126.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2018)