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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Da links 1000 Betten mit 1000 kleinen Commoden daneben, worin die Sonntagskleider glatt und reinlich liegen, dahinter die Spielsäle mit unzähligen deutschen Spielwaaren – ein Anblick, als wär’s eben Weihnachten; rechts der hohe, lustige, heitere Speisesaal, drüber drei Schulanstalten für Knaben, Mädchen und Kinder (die blos spielen, tanzen, singen u. s. w. nach Fröbel’s Princip), herrliche, herzige, rothbäckige Kinder ohne Spur von dem gedrückten, hungrigen „Waisenblick“ (Dickens), dahinter Bäckerei, Wasch- und Badeanstalten, Speise- und Vorrathskammern mit Mehl, Brod, Fleisch, Reis, Hafermehl u. s. w., wie für eine Armee, große Säle mit Kleidern und Schuhen, Seife, und Gefäßen, Vorräthe von Spielsachen, um die verbrauchten zu ersetzen, Lehrer-, Arbeiter-, Diener- und Ammenwohnungen, Arheitslocale zum Stricken, Sticken, Flicken, kindlichem Fabriciren und Manufacturiren – kurz eine fabelhafte, wirkliche, blühende Kinderwelt aus der tiefsten Hefe, aus Kerkern und Verwahrlosung – Alles geschaffen und erhalten und entwickelt und blühend und leuchtend durch Georg Müller aus Thüringen.


Der Wilderer.[1]
Von Fried. Gerstäcker.

„Sehn Sie die Laatsche da drüben?“ nahm da Ragg das Gespräch, das aber jetzt mit unterdrückter Stimme geführt wurde, wieder auf – „gleich die da drüben; die, wo das Dickicht bis zum Abgrund hinläuft, hinüberhängt?“

„Ja, Ragg – aber ich kann da drüben Nichts erkennen.“

„Ist auch jetzt nichts mehr da zu sehen,“ sagte er, leise dabei vor sich hin lachend, „fünf Jahre sind’s aber jetzt, da hat die eine Laatsche, die dort über die steile Wand hinüberhängt, einem Malefizkerl von Wilderer einmal einen großen Gefallen gethan.“

„Einem Wilderer?“

„Ich und der Wastel,“ erzählte Ragg jetzt weiter, nachdem er erst noch einmal einen vorsichtigen Blick nach unten geworfen, ob der Bock noch dastände, „waren drüben am Scharfreuter gewesen, und an der Grenze hingegangen, theils zu sehen ob das Wild dort viel herüber wechsele, theils auch umzuschauen ob wir keine fremde Fährten finden könnten, denn daß hier Wilddiebe von Baiern herüberkämen hatten wir schon gehört. Den Morgen um neun Uhr etwa war ein leichter Schnee gefallen, und es schneite noch in dünnen, einzelnen Flocken, als wir oben an der Luderstauden, gerade wo die erste Klamm gegen das Joch vorläuft, eine ganz frische Mannsfährte fanden, die keiner von uns kannte. Das konnte Niemand anders als ein Wilderer sein, und während Einer die Fährte hielt, während der Andere scharf umherschaute, ob er den Burschen nicht vielleicht so aus freier Hand entdeckte, folgten wir so rasch und leise wir konnten.

„Das ging nun allerdings gut, so lange wir oben am Joch blieben, denn dort lag wenigstens Schnee genug zum Spüren, der Malefizkerl hatte das aber auch wohl bedacht und war in eine der nächsten Klammen hinein und, Gott weiß wie, darin herum gestiegen, so daß wir auf den kahlen Steinen zuletzt die Spur verloren, und nun nicht wußten wo er geblieben war. Wastel wollte nun zwar, wir sollten uns trennen und nach verschiedenen Seiten suchen. Hatte er sich aber irgend wo eingedrückt und sah uns anpirschen, so wäre ein Einzelner verloren gewesen; auf zwei schießen die Schufte aber nicht sogleich.“

„Hanthiert nur nicht so mit den Händen, Ragg, Ihr liegt überhaupt zu nahe an der Wand, und wenn der Bock einmal den Kopf hier heraufdreht, muß er ja die helle Hand in der Sonne herumfahren sehen.“

„Der steht noch baumfest“ erwiderte der Jäger, indem er einen Blick hinunterwarf, und dann einen halben Schritt von dem Rande des Hanges wegrutschte.

„Und der Wilddieb?“

„Warten Sie nur – die Fährten nahmen im Ganzen die Richtung nach dem Leckbach zu. Wastel glaubte nun freilich nicht, daß er sich so weit von der Grenze weggemacht hätte. Das blieb sich aber ganz gleich, Grenze oder nicht, denn drüben auf königlichem Gebiet hatte er jedenfalls eben so wenig Recht, zu jagen wie hier, und erwischten ihn die Jäger, so ging’s ihm nicht um ein Haar besser, als wenn wir ihn kriegten. Wir äugten also aus dem Wald heraus, die ganze Leckbach sorgfältig ab, spürten noch einmal über das Joch hinüber, auf dem Schnee, und mußten endlich glauben, er habe uns vielleicht irgendwo auf seiner Spur gesehen, und sei wieder in das andere Revier, wohin wir ihm nicht folgen durften, zurückgewechselt. Viel Zeit hatten wir übrigens auch nicht mehr zu verlieren, denn wir wollten die Nacht noch nach der Grasberg Alm und mit dem Umhersuchen war der Tag ziemlich draufgegangen. So stiegen wir denn rasch hintereinander her aufwärts, als mich der Wastel plötzlich, ohne ein Wort zu sagen, am Arme packt, und dort hinauf zeigte, etwa in die Gegend, wo der dürre Baum da oben auf der schmalen Lanne steht. Ich guckte hin, und kauerte da nicht der verdammte Hallunke so ruhig auf einem umgefallenen Baum, und kaute an einer Brodrinde oder irgend etwas Anderem, als ob er daheim in seiner Hütte, und nicht mit der Büchse auf einem fremden Reviere säße?

„Der kann nicht mehr fort,“ flüsterte mir dabei der Wastel zu – „ich springe hier unten herum. Du von der Seite hinauf und dann haben wir ihn in der Mitte – vorn ist die Klamm und da kann nicht einmal ein Gemsbock hinunter!“

„Wie wir ihn nur erst gewahr wurden, hatten wir uns gleich hinter einen Laatschenbusch gedrückt und, ohne ein Wort zu reden, rutschte der Wastel ein Stück auf der Erde fort, bis er in einen kleinen Graben kam. Den annehmend, schnitt er dem Wilderer den Weg von jener Seite ab, denn hätte der’s erzwingen wollen, braucht’ er ihn ja nur über den Haufen zu schießen. Mir konnt’ er auch nicht mehr wegkommen, und wie ich sah daß der Wastel war wo er sein sollte, pirscht’ ich mich noch vorsichtig auf etwa hundert Schritt von dem Burschen an, legte dann meinen Hut,

  1. Aus Gerstäcker’s bei Ernst Keil erschienenen Werke: „Eine Gemsjagd in Tyrol.“
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_138.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)