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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

nahen Tischen. Und ohne Umstände bot er Frau von Liebheld den Arm und redete leicht und gewandt von der Bühnendarstellung des Leopoldstädter Theaters vom vorigen Abend, als wären sie zusammen darin gewesen. Doctor Liebheld führte Lieschen dicht hinter dem erstern Paar und ging eben so ungezwungen auf das Gespräch ein. Somit schritten sie den nach der Donau sich ausbreitenden Partien des Parkes zu. Als sie aus dem Menschengewühl waren, sagte der Fremde:

„Jetzt, meine Damen, haben Sie gefälligst Acht, daß Niemand uns zu nahe kommt oder uns überhaupt beobachtet, während ich mit dem Herrn spreche.“

Er nahm nun des Doctors Arm und die Doctorin und Lieschen führten sich. Die Letztere glaubte wirklich, die Männer von den Nebentischen einige Zeit hinter sich zu sehen.

„Mein Herr,“ nahm der Fremde leise das Wort, „Sie suchen seit einiger Zeit die Familie eines in Ungarn geborenen Griechen, Namens Georg Theodoro.“

„So ist’s, und Sie haben mir durch meinen Agenten Hoffnung gemacht, durch Sie Nachrichten über diese Familie zu erhalten.“

„Nun wohl, ich will nicht leugnen, daß ich der einzige Mensch bin, welcher Ihnen genaue Auskunft über besagte Familie ertheilen kann. Doch muß ich durchaus erst wissen, zu welchem Zweck Sie diese Nachrichten so sehr wünschen, mit solcher Beharrlichkeit erstreben?“

„Auf diese Frage werde ich Ihnen erst dann genügend antworten, wenn Sie mich überzeugt haben werden, daß Sie selbst ein Glied dieser Familie sind, welches bei den ihr zu machenden höchst wichtigen Mittheilungen selbst wesentlich interessirt ist.“

Der Fremde schwieg einen Augenblick nachdenkend, während sein scharfes Auge mißtrauisch in den Zügen des Advocaten forschte, dann sagte er zögernd:

„Ihr Agent hat Sie mir als einen königlich baierischen Rechtsanwalt genannt. Ich habe zu diesem Stande kein sonderliches Vertrauen. Der Name Georg Theodoro ist verschollen. Niemand kann sagen, was aus dem Träger desselben geworden ist. Ein Ihnen unvorsichtig allzurasch entgegengebrachtes Vertrauen könnte die Familie Theodoro in Gott weiß welche Rechtsverwickelungen stürzen. Wir sind das in Ungarn so gewöhnt.“

„Darüber kann ich Sie vollkommen beruhigen,“ entgegnete Doctor Liebheld lächelnd. „Ich setze Ihnen das Ehrenwort eines deutschen Mannes, der niemals von der wächsernen Nase des Rechts zu seinem persönlichen Vortheil Gebrauch gemacht hat, zum Pfand und gebe Ihnen, wenn Ihnen dieses Ehrenwort zu Ihrer Sicherheit nicht genügen sollte, jede nur gewünschte Garantie, daß die Eröffnungen, welche ich der Familie Theodoro zu machen habe, dieser nicht nur keinen Nachtheil, sondern im Gegentheil Vortheil, großen Vortheil, Glück und Freude bringen werden. Ich habe die Familie Theodoro seit Jahr und Tag nicht gesucht, um einen Rechtsstreit mit ihr zu contrahiren, sondern um eine ihr schuldige Verbindlichkeit zu lösen.“

Der Fremde hatte mit steigender Spannung zugehört, strich sich den Bart nachdenklich und sagte dann:

„Nun wohlan, mein Herr, ich selbst bin nicht sowohl ein Glied der Familie Theodoro, sondern ich bin vielmehr in meiner Person die ganze Familie selbst. Es gibt außer mir keinen Verwandten des Georg Theodoro. Wenigstens ist er bis zu der Zeit, wo er sich aus Ungarn entfernte und bald darauf verscholl, nicht verheirathet gewesen. Das sind nun fast einundzwanzig Jahre. Ob er sich im Auslande später verheirathet und Leibeserben erzielt hat, darüber kann ich nichts sagen; denn ich habe nie wieder von ihm gehört. Es ist auch nicht wahrscheinlich, weil er ein Weib in Ungarn liebte und dieses zu ehelichen beabsichtigte. Die Auserwählte seines Herzens hat von ihm nie wieder etwas gesehen, noch gehört.“

„Er hat sich später wirklich auch nicht verheirathet,“ sagte Liebheld. „Wenn nicht Kinder von ihm aus der früheren Lebenszeit am Leben sind, so gibt es überhaupt keine von ihm. In welchem Verwandtschaftsgrade stehen Sie zu ihm?“

„Ich bin sein einzig Geschwister, sein jüngerer Bruder. Er war mein Ernährer und Erzieher. Als er sich entfernte, war ich erst sechzehn Jahre alt.“

„Und wie alt war damals Ihr Bruder?“

„Wohl ein hoher Zwanziger.“

„Ich will es Ihnen genau sagen: er war zweiunddreißig Jahre alt. Und nun werden Sie mir die Bemerkung erlauben, daß es etwas unwahrscheinlich ist, daß ein Mann von zweiunddreißig Jahren noch einen Bruder von sechzehn Jahren habe.“

„Das ist doch so unwahrscheinlich nicht, und um so weniger, als ich das Kind einer zweiten Frau unseres Vaters bin. Dieser war kurz vorher aus dem Leben geschieden und hatte Georg sterbend die Pflicht auferlegt, für mich und meine Mutter zu sorgen.“

„Womit können Sie mir beweisen, daß Sie Georg Theodoro’s einziges Geschwister sind?“

„So viel als möglich durch obrigkeitliche Atteste, doch muß die Sache auch der Mühe lohnen. Sie werden mir nicht zumuthen wollen, daß ich ohne Grund und Zweck und blos um Ihnen, dem mir gänzlich Unbekannten, einen solchen Beweis zu führen, Reisen und Ausgaben mache, Zeit aufwende.“

„Gewiß nicht. Können Sie sich mir nicht vor der Hand durch Legitimationspapiere überhaupt als Träger des Namens Theodoro aufführen?“

„Nichts leichter.“

Der Fremde zog ein Papier aus der Brusttasche und überreichte es dem Advocaten, der es voneinanderschlug. Es war der in Oesterreich unentbehrliche Reisepaß. Liebheld las: Philipp Theodoro, Handelsmann aus Kremnitz in Ungarn.

„Dies genügt vor der Hand zu den ersten Mittheilungen, die ich dem Erben Georg Theodoro’s zu machen habe. So erfahren Sie denn, mein Herr, daß Ihr Bruder nicht mehr am Leben ist und ein nicht unbedeutendes Vermögen hinterlassen hat, welches Ihnen ausgeantwortet werden wird, sobald Sie sich mir genügend als einzigen Verwandten des Verstorbenen legitimirt haben werden. Die Auszahlung der Hinterlassenschaft wird dann noch an eine von Ihnen leicht zu erfüllende Bedingung gebunden sein, über die ich mich jetzt noch nicht näher auslassen kann.“

„Und Sie hätten sich ganz allein und aus keinem Grunde weiter ein Jahr und länger in Ungarn aufgehalten, um mir ein bedeutendes Vermögen auszuliefern, auf das ich keinen Rechtsanspruch erhoben habe?“ fragte der Fremde, ungläubig mit dem Kopfe schüttelnd.

„Dieses anscheinende Räthsel soll Ihnen gelöst, dieses Mißtrauen in menschliche Gerechtigkeit benommen werden, sobald Sie sich mir als alleinigen Erben Georg Theodoro’s werden documentirt haben. Ich versichere Sie hoch und theuer auf Treue und Glauben, daß die strengste Rechtlichkeit hier zu Ihrem Vortheil handelnd auftritt, wenn Sie wirklich der sind, für welchen Sie sich eben ausgegeben haben und daß durchaus keinerlei Hintergedanke dabei im Spiele ist.“

„Sie bleiben so lange in Wien, bis ich Ihnen den verlangten Beweis geliefert?“

„Das versteht sich. Hier ist meine Karte. Sie sollen nicht bereuen, mir vertraut zu haben.“

Der Fremde schien nichtsdestoweniger nicht sonderlich erfreut über die erhaltene Nachricht. Sein Benehmen war und blieb zurückhaltend und zweideutig und deshalb wenig geeignet, der Familie des Advocaten Vertrauen einzuflößen. In diesem Sinne sprachen sich auch die beiden Frauen gegen Liebheld aus, als der Fremde sich nach kurzem und ziemlich frostigem Abschied mit dem Versprechen, er werde den Beweis so schnell als möglich beibringen, entfernt hatte. Die drei zusammengehörigen Personen, welche sich von der endlichen Entdeckung des lang gesuchten Menschen Freude und Erheiterung versprochen hatten, waren verstimmt, ja selbst die Kinder waren schweigsam geworden; der Fremde hatte auf Alle einen gleich starken und unangenehmen Eindruck gemacht.




IV.
Polizeiverhör.

Die achte Stunde des folgenden Morgens brachte der kleinen Familie eine unangenehme Ueberraschung in ihre Wohnung, und zwar in der Person eines Polizeicommissairs und zweier Polizeidiener. Vom Ersteren wurde Doctor Liebheld auf’s Höflichste ersucht, sich anzukleiden und ihm auf das Bureau seines Chefs zu folgen. Doch habe er den Befehl, auch sämmtliche Papiere des Herrn Doctors mitzubringen. Der artige Beamte versicherte die Damen, sie brauchten keinerlei Besorgniß zu hegen; er sei überzeugt,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_142.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)