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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

„Aber auch er wußte nicht, wer das gethan, was geschehen war. Wir riethen Beide vergebens.

„Aber wir müssen handeln,“ sagte er. „Der Verdacht des Mordes wird auf Sie fallen; der rechte Mörder wird sich nicht melden oder er wäre schon hier. Aller Schein ist gegen Sie. Die Wahrheit werden Sie nie beweisen können. Die mächtige Familie des Ermordeten wird Sie als Opfer fordern und Sie verurtheilen. Ich könnte Sie retten –“

„Ich errieth ihn.

„Nie, Anton! Sie wollten den Mord auf sich nehmen!“

„Darf ich?“ bat der treue Mensch.

„Nie, nie, Anton, so lange ich noch ein Wort sprechen könnte, würde ich es sagen, daß Sie nicht der Mörder sind!“

„Ich fürchtete es. So bleibt nur ein Mittel. Der Tod des Grafen muß verborgen werden. Aber wie?“

„Er sann nach. Sein erster Gedanke war, daß er die Leiche in den Wald tragen wollte; aber das war gefährlich, kaum ausführbar. Er war mit einem der Bedienten zusammen auf dem Anstande gewesen; sie hatten die Hunde zurückgebracht, diese waren des Nachts frei und das geringste Geräusch hätte sie herbeigerufen. Sie hätten die Leiche mit Gebell, Geheul verfolgt; sie hätten die Stelle aufgesucht, wohin sie gebracht, und die Grube aufgewühlt, in die sie gelegt worden wäre. Der Leichnam mußte im Hause bleiben; und hier konnte er nur in dem Zimmer verborgen werden, in dem wir uns befanden. Das Getäfel des Fußbodens war leicht auszuheben und wieder einzusetzen. Die Nacht war noch lang genug, um bis Tagesanbruch eine Grube zu graben, denn es war erst elf Uhr. Selbst bei Tage war keine Störung darin zu befürchten. Das Bibliothekzimmer wurde nur von mir besucht, und außerdem manchmal von Fremden, die zum Besuch da waren. Die Gräfin war seit meiner Anwesenheit im Schlosse nie darin gewesen. Domestiken waren gleichfalls niemals hineingekommen, wenn ich ihnen nicht Auftrag dazu gegeben hatte.

„Auch die Blutspuren, so wie die Spuren des Verbergens der Leiche waren daher ohne Gefahr einer Störung zu vertilgen. Wir arbeiteten die ganze Nacht. Als der Tag anbrach, waren wir fertig, Hier unter meinen Füßen liegt die Leiche.

„Die blutige That blieb unentdeckt. Ob die Gräfin nicht eine Ahnung hatte, weiß ich nicht. Sie zeigte keinen Verdacht. Manchmal kam mir der Gedanke, sie wolle keinen zeigen; in ihrem Gewissen mochte Veranlassung genug dafür sein. Wenn sie in der That an einen Mord glaubte, wenn sie dabei mich und Anton für die Thäter hielt, wie großen Antheil trug sie selbst!“

Das war die Erzählung der jungen Dame.

Wie nahe hatte jener eben so feine als frivole russische Diplomat, der Graf Alexander Ruthenberg, die Wahrheit getroffen! Es sollte ihm in der That die Genugthuung werden, Menschen und Verhältnisse richtig taxirt und daraus richtige Folgerungen gezogen zu haben. Nur etwas zu frivol war er noch gewesen. Aber hatte er denn wirklich auch gerade in der Hauptsache die Wahrheit so nahe getroffen? War die unglückliche Dame die Mörderin? War sie nicht die Mörderin?

Der Name mag hier beibehalten werden. Nach strengen criminalistischen Begriffen lag allerdings, wenn die Dame die Thäterin war, kein Mord, sondern nur ein Todtschlag vor. Und auch bei diesem konnte, nach gegenwärtiger Lage der Sache, die Frage aufgeworfen werden, ob nicht gerechte Nothwehr vorhanden gewesen sei. Indessen kam es darauf für jetzt nicht an. Zunächst mußte festgestellt werden, wer der Mörder, wer der Thäter war.

Auch der Jäger Anton sollte es nach der Versicherung des Fräuleins – auch ich nannte sie so – nicht sein. Die Sache wurde dadurch sowohl in ihren Thatumständen, wie psychologisch, dunkler, verwickelter. War sie, das Fräulein, die Mörderin, und sie hatte noch immer die Hoffnung, durch eine Unwahrheit sich frei zu machen? War der Jäger der Thäter, und sie wollte auch ihn durch eine Unwahrheit retten?

Hatte sie in der That die Wahrheit gesprochen und hatte einer jener Zufälle, die auch in Criminalacten zuweilen, wenn freilich selten genug, hervortreten und bewiesen werden, auch hier sein wunderbares Spiel gespielt? Aber konnte er auch hier bewiesen werden? Und was nicht bewiesen wird, was Niemand weiß, das ist gar nicht dagewesen. Bis jetzt aber wies keine Spur, nicht die Ahnung einer Spur auf einen solchen Zufall hin. Nichts, gar nichts sprach dafür, als die bloße, nackte Versicherung einer schwer Verdächtigen, die sich oder einen treuen Diener, gar einen Mitgenossen ihres verdächtigen Thuns, retten wollte.

Das Inquiriren selbst ist ein Beweisverfahren. Ich mußte mit meinem Inquiriren fortfahren.

Zunächst mußte ich Gewißheit darüber haben, mit wem ich es überhaupt zu thun hatte. War sie eine Abenteurerin, die mir einen Roman erzählt hatte, oder hatte sie über ihr früheres Leben mir die Wahrheit gesagt? Ihr Aeußeres, ihre Worte, ihre Sprache, das Alles redete für sie, stellte sie gar als ein ungewöhnliches, als ein edles Wesen dar. Aber wie oft hat das Aeußere eines Menschen schon betrogen, auch schon Inquirenten!

„Sie sind verheirathet?“ fragte ich sie. „Sind Sie im Besitze eines Trauscheines?“

„Ja, mein Herr; der Geistliche, der uns traute, stellte auf Harry’s Verlangen uns jedem einen Schein darüber aus.“

„Haben Sie auch Briefe Ihres Gemahls?“

„Ich kann Ihnen seine ganze Correspondenz vorlegen.“

Wir begaben uns in ihr Wohnzimmer. Sie schloß in diesem eine Commode, dann ein in dieser befindliches Mahagonikästchen auf. Sie übergab mir Trauschein und Briefe. Die Briefe sprachen die zärtlichste, die innigste Liebe aus.

Ich hatte es mit keiner Abenteurerin zu thun; ich athmete in der That für sie auf.

Jetzt kam es zunächst auf den Jäger Anton an. War er der Thäter und bekannte er sich als solchen, so war sie ganz gerettet. Und wenn er der Thäter war, so zweifelte ich keinen Augenblick daran, ohne große Mühe das Bekenntniß von ihm zu erhalten. War er nicht der Thäter, so kam Alles darauf an, was die Dame, als er sie zuerst nach der That getroffen, zu ihm über diese gesagt hatte. Hatte sie ihm das Nämliche gesagt, wie mir, so war das gleichfalls ein erheblicher Beweis für ihre Unschuld und es war Hoffnung da, daß weitere Ermittelungen diese ganz herausstellen würden.

Vor allen Dingen mußte ich indeß nunmehr, da ein Verbrechen und ein Verdacht gegen einen bestimmten Thäter vorhanden war, den Formen des Gesetzes in Betreff des Untersuchungsverfahrens Genüge leisten. Ich schrieb ein Billet an die Kreisärzte in Tilsit, in dem ich sie aufforderte, zur gerichtlichen Obduction einer Leiche sofort nach Turellen zu kommen; ich rief dann meinen Kutscher und befahl ihm, nach Tilsit zu fahren und die Aerzte in meinem Wagen abzuholen, auf dem Hinwege aber in dem nächsten Dorfe vor Turellen die dort wartenden Criminalbeamten schleunigst zu mir zu bescheiden. Darauf ließ ich mir von dem Fräulein ihren Dolch vorzeigen. Sie übergab ihn mir. Es war eine feine und starke englische Arbeit. Nicht die leiseste Spur von Blut war daran zu finden. Aber auch in dem Bibliothekzimmer, in das ich mich wieder begab, konnte ich durch das sorgfältigste, aufmerksamste Suchen keine Spur entdecken, daß hier jemals nur ein einziger Blutstropfen verspritzt sei. Und doch war noch vor wenigen Wochen das Blut hier geflossen.

Die Unglückliche hatte das Zimmer ja für ihr Leben gereinigt. Unter welcher immerwährenden Todesangst!

Die Criminalbeamten trafen ein. Ich nahm kurz die Geständnisse der Dame zu Protokoll und forderte sie dann auf, in ihrer Wohnstube zu bleiben; ich selbst aber wollte mich in das Bibliothekzimmer begeben, um dort die weiteren Verhandlungen vorzunehmen. Zuerst die Vernehmung des Jägers Anton. Ich befahl einem Criminalbeamten, mir den Jäger vorzuführen. Auf einmal wurde die Dame unruhig.

„Den Jäger Anton wollen Sie vernehmen?“ fragte sie.

„Gewiß. Auf seine Aussage kommt Alles an.“

„Aber er ist nicht hier.“

„Und wo ist er?“

„Ich habe ihn fortgeschickt.“

„Sie?“

„Ich hatte vorhin in meiner Angst nicht daran gedacht, es Ihnen zu sagen.“

„Erzählen Sie.“

„Hier konnte ich nicht länger mehr bleiben. Daß die Gräfin vor Ende der Contractszeit mich entlassen werde, war zweifelhaft. Es fehlte mir also an Reisegeld. Ich konnte, bei der Armuth meiner Mutter, mir es nur von Harry verschaffen. Ich mußte ihm den Grund meiner Bitte wenigstens andeuten, und das konnte ich nicht schriftlich. So mußte denn nun Anton zu ihm reisen.“

„Und er ist noch nicht zurück?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_318.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)