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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Stadt, jetzt schlafe ich jede Nacht Grube Nr. 5 parterre, auf dem Friedhofe!

Der Graf wurde bleich wie der Tod, und stützte sich mit der Hand auf eine Stuhllehne.

Evviva Austria!“ rief Giorgio, ein frisch gefülltes Glas leerend.

L. nahm seine ganze Geistesgegenwart zusammen, und wandte sich mit einem nach Sicherheit strebenden Tone an mich.

„Da man mich hier nicht verstehen zu wollen scheint, so werde ich anderswo die Anzeige machen!“ Mit diesen Worten schritt er der Thür zu. Ich vertrat ihm den Weg.

„Verehrter Herr Graf,“ sagte ich, „es thut mir leid, Sie verhaften zu müssen!“

„Mich?“ fragte er insolent.

„Ja, Sie,“ entgegnete ich, „da ich sicher bin, in Ihnen eher einen Hochverräther zu verhaften, als in Ihrem Herrn Bruder.“

Giorgio blickte mich ob dieser Wendung erstaunt an, verhielt sich aber ruhig. L. aber machte einen Schritt vorwärts, und als ich ihm noch einmal decidirt bemerkte, daß er hier bleiben müsse, versetzte er mir einen Stoß auf die Brust, daß ich gegen die Wand taumelte. Giorgio blieb ruhig.

L. hatte die Thür in dem Augenblicke erreicht, in welchem mein Diener, ein handfester Bursche, eintrat. Dieser mußte den letzten Theil unseres Gespräches gehört haben, denn er warf den Grafen ohne Umstände und mit Leichtigkeit zu Boden, und band ihm mit einem Riemen die Hände auf den Rücken. Es geschah so schnell, daß der Graf an Gegenwehr gar nicht denken konnte. Ich schickte nach der Wache, und L. wurde abgeführt. Giorgio blieb ruhig. Ich ersuchte ihn, in meiner Wohnung zu bleiben.

„Ich bleibe,“ sagte er, „aber meinst Du, daß ich meinen Bruder denuncirt habe?“

„Nein!“ entgegnete ich, „er hat sich selbst verrathen!“

Meine Vermuthung bestätigte sich.

Man fand in dem Hause des Grafen einen großen Vorrath von Waffen, auch Documente, die mehrere Theilnehmer an einem Complote entlarvten.

Broglio und noch drei andere Bürger theilten das Geschick des Grafen. Die Frau und Tochter des Letzteren, die ebenfalls verhaftet worden waren, erhielten bald ihre Freiheit wieder. Der Graf, Broglio und die andern drei Bürger aber wurden verurtheilt und 48 Stunden später – erschossen.


Giorgio wohnte nach der Verhandlung bei mir, aber er hatte sich sehr verändert. Er sprach oft Tage lang kein Wort und gab mir über sein Benehmen keine Rechenschaft. Als ich ungefähr acht Tage nach dem Tode des Grafen spät in der Nacht nach Hause kam, fand ich ihn unter den heftigsten Schmerzen – sterbend!

Doch sprach er auch jetzt kein Wort bis zu dem Augenblicke des Verscheidens, in welchem er laut ausrief: „Vergib mir, Herr, ich war kein Christ!“ – „Rosina“ war sein Amen!!

So viel ich aus seinem ganzen Wesen entnehmen konnte, hielt er sich für den Mörder seines Bruders.

In einem Stadium von Wahnsinn hatte er von seinen Schwefelhölzern die Köpfe abgeschnitten, sie in rothen Wein geworfen und diesen getrunken. Dieses Gift tödtete ihn wenige Stunden nachher.

Friede und Ruhe seiner Asche, Grube Nr. 5., Souterrain auf dem Friedhofe. –


Blätter und Blüthen.

Die Haselstaude Libussa’s. Jedermann kennt die Geschichte der Königin Libussa von Böhmen, der Tochter Krog’s, die sich den Gatten Premisl vom Pfluge erwählte und so die Stammmutter des großen Herrschergeschlechtes der Premisliden ward. Manche Geschichtsforscher wollen sie ganz in das Reich der Sage verweisen, aber ihnen zum Trotz setzt ihr der Böhme ein herrliches Denkmal und zeigte vor Kurzem noch die tausendjährige Haselstaude als ein lebendes Denkmal jener Begebenheit, welche die Nüchternheit der Gegenwart vielleicht nur darum aus der Geschichte verbannen will, weil sie zugleich poetisch schön ist.

Es ist das Schicksal jenes Haselstrauches, das ich erzählen will, ehe auch dieser selbst zur Mythe wird. – Der Schauplatz ist eine der herrlichsten Gegenden des reich gesegneten Böhmens. Etwa anderthalb Stunde von der an der Elbe malerisch gelegenen industriellen Stadt Aussig befindet sich nahe an der Landstraße, unweit des Dorfes Czochau, ein vor einigen Jahren von Graf Erwin von Nostitz, Herrn der Herrschaft Czochau, errichtetes Denkmal. Mitten im Felde ist ein kleiner freier Platz mit Bäumen umpflanzt, etwas höher als die Straße gelegen, geebnet und mit Sand bestreut, in dessen Mitte sich auf einigen granitnen Stufen das Denkmal in Altarform erhebt. Ein kolossaler, von Eisen gegossener und vergoldeter Pflug ruht darauf. Die deutsche und böhmische Inschrift, wie die in den Stein gehauenen Basreliefs erzählen von Libussa und Premisl und geben als Zeit der Handlung das Jahr 831 an. Wie Libussa dem Drängen ihres Volkes sich zu vermählen, nachzugeben beschloß, sandte sie einen Schimmel aus und gelobte, demjenigen ihre Hand zu reichen, den das Pferd aufsuchen und mit Wiehern begrüßen würde. Das edle Roß eilte unaufhaltsam weit davon aus der alten Königsburg und stand erst hier auf dieser Stelle bei einem jungen Landmanne still, der sein Feld mit dem Pfluge bestellte. Darauf kamen Libussa’s Diener zu diesem Landmanne, Namens Premisl, brachten ihm Krone und Purpur und begrüßten ihn als den Erwählten ihrer Herrin. Diese Scene ist auf der einen Seite des Denkmals dargestellt, die andere zeigt den Empfang Premisls bei Libussa.

Als Premisl, von den Gesandten begrüßt, den Pflug verlassen mußte, erschien ihm ihre Botschaft so unglaublich, daß, als er zuvor in seine Wohnung nach dem nahen Staditz ging, er den alten Haselstecken aus seinem Pfluge zog, in seinen Garten in die Erde steckte und sagte:

„So wenig ich glaube, daß dies dürre Reis Wurzeln und Blätter treiben kann, so wenig glaube ich Euere Mär’.“

Aber der Haselstock wurzelte und ward grün und gedieh, wie das Geschlecht der Premisliden. Ja, er überdauerte es weit. Im Garten der Mühle von Staditz stand der riesenhafte Haselstrauch, der seines Gleichen nicht hat im Lande Böhmen und dessen Früchte Jahrhunderte hindurch, noch bis in dies Jahrhundert hinein, an die kaiserliche Tafel in Wien, wie zuvor an die königliche Tafel in Prag abgeliefert werden mußten. Der alte Haselstrauch war zwar abgestorben, aber der alte Stamm stand noch und war platt abgesägt in Form eines runden Tisches von wohl drei bis vier Ellen Durchmesser. Ringsum hatte er aus den alten Wurzeln neue Schößlinge getrieben. Leider ereignete es sich im vorletzten Winter, daß die Biela, an welcher die Mühle liegt, aus ihrem Bett trat, den Garten überschwemmte und auch das Spalier desselben, wie dasjenige mit wegriß, welches der vorsorgliche Besitzer der Mühle um die ehrwürdigen Haselsträuche gezogen. Ein paar Arbeiter, welche nach der Verwüstung den Auftrag erhalten hatten, wieder Ordnung im Garten herzustellen, verstanden den Auftrag falsch und machten auch mit ungeheuerer Anstrengung den alten Haselklotz mit aus! Was nützt es nun, daß der Besitzer, der zu spät das Geschehene erfuhr, auch wieder Haselsträuche pflanzte – der alte ehrwürdige Haselstrauch ist nicht mehr und mit doppelt ungläubigem Lächeln wird nun der Wanderer hier die Geschichte seiner früheren Existenz vernehmen. Was man von demselben auch denken mag, fabeln oder spötteln, eins ist doch gewiß – nämlich, daß hier wirklich ein solcher Strauch stand, der durch die Thatsache, daß seine Früchte an das Herrscherhaus geliefert werden mußten, einen geheimen Zusammenhang mit demselben bekundet, und daß ein Haselstamm von diesem Durchmesser, wenn man auch sein tausendjähriges Alter bezweifeln mag, doch nur in Jahrhunderten eine solche Größe erreichen konnte. Darum wollt’ ich, ehe man seine Existenz ganz bezweifelt, jetzt noch an dieselbe erinnern, wo Jedermann in der Aussiger Gegend davon zu erzählen weiß, auch wenn die Touristenschaar der Teplitzer Gegend jene sagenreichen und wundervollen Punkte vernachlässigt. Das Letztere ist überhaupt zu verwundern.

Die Umgegend von Aussig ist nach allen Seiten hin ein Paradies, und die böhmische Schweiz verdient den Vorzug vor der sächsischen; gleichwohl wird jene wenig durchstrichen, weil es in ihr an bequemen Wegen fehlt, an Führern und an dem Comfort; selbst die kleinsten wirthschaftlichen Etablissements in Sachsen sind dem Schmutz einer böhmischen Dorfschenke freilich vorzuziehen. Die Teplitzer Badereisenden besuchen bei Aussig höchstens den „Schreckenstein“, die prachtvolle Elbruine, und eilen dann weiter, um nur von Teplitz aus bequeme Partieen zu machen, deren Gipfelpunkt der Milleschauer ist. Unweit von ihm, aber dennoch nicht mit besucht, liegen Czochau und Staditz und zwischen beiden das vorhin beschriebene Denkmal. Majestätisch grüßen der große und kleine Milleschauer zu ihm herüber, und all die andern Kuppen des Mittelgebirges scheinen es einzuschließen. Eine üppige Vegetation ringsum auf den Feldern, nach allen Seiten hin Alleen prachtvoller Nuß- und Kastanienbäume, im Hintergrund düstere Wälder, in denen noch kräftiges Hochwild haust – so scheint diese Stelle, in welcher der goldene Pflug auf erhabenem Piedestal weithin in der Sonne funkelt, recht eigentlich dazu gemacht, an die Vorzeit eines Landes zu mahnen, dessen weise Herrscherin den Gemahl sich nicht aus stolzen Königsgeschlechtern, sondern aus den geringsten Arbeitern des eigenen Volkes wählte. Immerhin ist die Pietät zu ehren, mit welcher der Böhme an den alten Erinnerungen seines Landes hängt.


Nicht zu übersehen!

Alle Einsendungen von Manuscripten, Büchern etc. etc. für die Redaction der Gartenlaube sind stets an die unterzeichnete Verlagshandlung zu adressiren. – Ernst Keil.


Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 328. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_328.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)