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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

da er, bereits vom Felde heimkehrend, dort einen halbwüchsigen Hasen verspeist hat. Er ist deshalb auch in bester Laune. Hätte er Arme, um sie auf den Rücken zu legen, er würde es jetzt thun, mit solcher Behaglichkeit bewegt er sich vorwärts. Kein Mausloch entgeht ihm dabei; in jedes steckt er seine raffinirte Nase hinein, um es dann aufzuscharren, daß das Erdreich hinter ihm herumstiebt. Kein Vogel fliegt dahin, dem er nicht einen giftigen, verlangenden Blick nachsendete. Jetzt hüpft er wie im Muthwillen auf einem alten Stock, der im Gehau steht, und bleibt ein Weilchen sitzen, um nach Allem, was sich um ihn regt, sei es ein Bienchen, ein Käfer oder Schmetterling, zu schnappen. Nachdem er sich in dieser Weise hinlänglich vergnügt, geht’s wieder fort. Bald trabt er, bald schleicht er ein Stück dahin, sichert und duckt sich und geht dann spielend weiter. Rasch aber fährt er plötzlich herum, und hinter einem Büschchen verschwindend, braucht er dasselbe als Deckung, um dem nahen Dickicht zuzueilen. Wohlbehalten erreicht er es auch, obgleich zwei schnell auf einander folgende Schüsse beweisen, daß er diesmal keiner eingebildeten Gefahr entronnen. Ein leider nicht ganz ruhiger Schütze hatte am nahen Holzrande mit pochendem Herzen all die Manöver vom Graben her bis fünfzig Schritt an sich heran mit angesehen und, seines Zieles nun schon ganz gewiß, durch eine unglückliche Bewegung des Fuchses Vorsicht erregt, um das leere Nachsehen zu haben.

Aber „heute mir, morgen dir,“ sagt das Sprüchwort. Ein andermal muß der Schelm selbst als Jäger ein getäuschtes Gesicht machen, was ihm nicht selten bei der Jagd und namentlich mit Federwild, besonders aber mit Wassergeflügel, begegnet, obwohl er einen solchen Jagdzug nicht ohne verdoppelten Aufwand von Schlauheit unternimmt. Die Gelegenheit, ihn zu belächeln, findet sich, wenn wir uns dort nach dem im Morgenscheine spiegelblank ausgebreiteten stillen Waldteiche begeben.

Ein Bild der Verschmitztheit tritt unser lüsterner Patron aus dem Waldesdunkel hervor und schleicht nach dem Wurzelstocke einer vom Sturme umgeworfenen alten Tanne, die sich mit ihrem mächtigen Gezweig halb in den Teich versenkt hat, heran, um diesen vorerst von hier aus recognosciren zu können. An den Stamm geschmiegt, hebt er den Kopf nur eben so weit empor, als sein Auge im Stande ist, zuvörderst die entferntest liegenden Ränder des schilfbewachsenen Wassers zu überstreichen und sich für den weitern Gang zu orientiren. Dann läßt er unmerklich sein edles Haupt höher und höher auftauchen, um die ihm zur Seite liegenden Ufer zu durchspähen, bis endlich sein Blick unmittelbar unter seinem Versteck das Terrain zu sondiren vermag. Nichts hat sich für den augenblicklichen Fang gezeigt; nur ein Paar Bläßenten rudern, mit ihrem melancholischen Tone die Stille unterbrechend, in der Mitte des Teiches dem Schilfrande zu, lange silberne Furchen durch die spiegelglatte Blänke[1] ziehend. Aber außerdem hat der Schelm hinter einem bemoosten Steine in der Nähe etwas plätschern gehört und gleichzeitig davon Wind bekommen, und da ihm das Terrain zum Anschleichen günstig erscheint, richtet er sein Augenmerk dorthin.

Leicht und leise verschwindet er rückwärts hinter der Wurzelwand und schnürt sich am Holzrande seitwärts nach gedachtem Steine zu. Leise, Lauft um Lauft setzend, schleicht er heran und je näher er kommt, je mehr schmiegt er sich, so daß er zuletzt völlig kriechend am Ziele anlangt. Wieder schiebt er sich gleich einer Schlange vorwärts, bis er das Wasser übersehen kann. Seine vor Verlangen glitzernden Seher entdecken immer noch nichts, als unmittelbar unter dem Steine die plätschernden, kreisenden Schwingungen des Wassers, die so eben der Sprung eines Frosches verursacht hat. Ein paar Federchen aber, die sich auf den immer größer werdenden Wasserringen schaukeln, scheinen ihm zu mancherlei Reflexionen Anlaß zu geben, die sich in einem höchst verdrießlichen „Zu spät!“ concentriren. In scharfen Zügen steht es auf seinem Gesicht geschrieben, während dicht neben ihm aus dem Geröhricht ein Entvogel[2] aufsteigt und vor ihm dahin fliegt, so daß der Geprellte unwillkürlich noch mit halbem Oberkörper emporfährt, ohne jedoch den Sprung nach dem ersehnten Ziele zu wagen; denn er hat nicht Lust, noch dazu ohne Aussicht auf Erfolg in’s Wasser zu plumpen, gleich dem Frosch, dessen Leidenschaft für das feuchte Element er keineswegs theilt. Er übersieht wohl einmal einen nassen Fuß, wenn es gilt, aber sich bis über den Kopf in’s Wasser zu stürzen, das würde der wasserscheue Patron nicht um zehntausend Enten thun. Ein Blick, in dem sich Sehnsucht, Aerger und Beschämung, einen so nahe gehabten guten Bissen sich an der Nase vorüberfliegen zu sehen, mischen, verräth des Gauners innere Stimmung, deren er jedoch sehr bald Herr zu werden versteht.

Nachdem er noch so lange der ihm entgangenen Ente nachgeschaut, bis sie am jenseitigen Teichrande auf der Blänke eingefallen und schwimmend im Schilfgras, das dicht am Ufer zwischen Kaupen steht, verschwunden ist, trabt er am Holzrande des Teiches hin, als habe er niemals in seinem Leben an Enten gedacht. Mit ganz absonderlicher Laune, wie es scheint, geht er hier so dicht an einem Stamme vorüber, als wäre dies der einzige Weg, sein Leben zu retten; bis zum Umfallen schmiegt er sich daran hie; dort klemmt er sich zwischen zwei eng nebeneinander stehenden Stämmen durch, als beabsichtigte er, sich zu einer Silhouette zu pressen; oder er geht so stracks auf einen Gegenstand los, sei es Baum, Strauch, Stein, oder sonst etwas, als wolle er mitten hindurch; aber in der unmittelbaren Nähe biegt er auf einmal mit einer Nonchalance herum, als wäre der Gegenstand für ihn gar nicht da. Auf diese Weise umkreist er ziemlich schnell den Teich bis ungefähr zu der Stelle, wo vorhin die entwischte Ente wieder einfiel. Nun fängt er jedoch wieder an zu kriechen. Jeden Büschel Gras und Kaupe benützt er, sich an das Wasser heran zu pirschen, und dabei scheut er auch ein nasses Haar nicht. Mit ungeahnter Behutsamkeit im Gras und Schilf kriechend, hat er bereits das Wasser erreicht, das vom Teich hereingetreten. Jetzt ist er mit kaum bemerkbarer Bewegung bis an eine Kaupe herangerückt, um die herum er die spitze Nase steckt – plötzlich springt er vorwärts. Der quakende Laut, sowie der heftige Flügelschlag in’s Wasser beweisen, daß er diesmal nicht fehl speculirt und seine Beute erfaßt hat. Ob das Opfer die nämliche Ente ist, die ihm am jenseitigen Ufer entgangen war? Immerhin darf man’s glauben und annehmen, daß der Erzgauch zugleich eine kleine Privatrache ausgeübt. Seine Physiognomie wenigstens hat einen so dämonisch hämischen und dabei so grinsend freundlichen Ausdruck bekommen, wie er nur jemals einem rachsüchtigen Schurkengesichte aufgeprägt war.

Behend eilt er nun an das sonnige, warme Ufer, wo er den nassen, triefenden Balg abschüttelt und die bereits gewürgte Ente niederlegt, um sie aber alsbald auf’s Neue zu packen und nach einem nahen sonnigen Haidehange, der ringsum von Dickicht eingeschlossen ist, in Sicherheit zu bringen. Hier verzehrt er auf Haide und trockenem Moos, von der Herbstmorgensonne behaglich umschmeichelt, in aller Ruhe sein delicates Mahl. Oftmals arbeitet ihm zu einem solchen – und nach Wassergeflügel leckert es ihm immer mit ganz vorzüglichem Appetit – der Mensch selbst in die Hände oder vielmehr in den Rachen, indem eine Ente, die dem Jäger bekannt ist, leichter zu schießen, als ohne guten Hund aus dem Wasser zu bekommen ist, solche aber nach dem Verenden vom Winde an’s Ufer getrieben wird, wo sie Meister Reinecke bei seinem Pirschgange als bequeme Beute findet. Das sind denn so kleine gelegentliche Glücksfälle, die er sich zur Entschädigung für manche Täuschung zu nutze macht.

Unser Lungerer versteht sich auf alle Vortheile und Fertigkeiten des edlen Waidwerks, das er als der gewandteste von allen Wilddieben ausübt, und bei seinem lebhaften Naturell besitzt er zugleich die größte Besonnenheit und Ruhe. Er weiß zur rechten Zeit seine Leidenschaften zu beherrschen, um ihrer Befriedigung desto sicherer zu sein. Das zeigt sich insbesondere auch, wenn er auf dem Anstand steht oder, richtiger gesagt, kauert. Er ist z. B. an einem Feldrande, wo er geduckt, fast an den Boden geschmiegt, in dürren Schmielen verborgen, mit gespitzten Lauschern und funkelnden Sehern[3] dem harmlosen Lampe aufpaßt. Wohl hat der Schelm sich einen sichern Wechsel[4] ausgesucht und auch den Wind gut observirt;[5] denn nicht lange hat er gelauert, da kommt das Opfer daher gehöppelt. Wär’s möglich, so schmiegte sich der Rothpelz noch tiefer an den Boden, und doppelt feurig werden die grünen Seher, trotzdem daß er sie zusammenzwinkert, um sie nicht zu Verräthern werden zu lassen. Leise zuckt er mit den Lefzen und seiner unvergleichlichen Spürnase, wie im Vorgefühl des gewissen Genusses. Inzwischen

  1. Blänken heißen diejenigen Stellen auf Teichen und Seen, die frei von Schilf sind.
  2. Entvogel wird bei wilden Enten der Enterich, das Männchen, genannt.
  3. Seher: Augen.
  4. Wechsel, die Stelle, wo das Wild regelmäßig erscheint.
  5. Wind gut observirt: so daß der Wind vom zu erwartenden Wild nach ihm selbst zu steht, und der Hase ihn nicht durch den Geruch wahrnehmen kann.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 334. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_334.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)