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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Charlotte Willhöft.

denen er sich zum Theil einen ungemessenen Erfolg versprach. Sein Talent war ein ausschließlich lyrisches, von der Stimmung des Augenblickes beherrscht; er täuschte sich meist selbst über die Tragweite seiner Kraft und wurde mißmuthig, wenn der Erfolg seinen Erwartungen, das Geleistete seinem hochfliegenden Wollen nicht entsprach. Charlotte suchte ihn dann wohl zu beruhigen und den schon damals aufsteigenden finstern Dämon in seiner Brust durch liebevollen Zuspruch zu beschwichtigen. Sie selbst stand ihm rathend und fördernd zur Seite. Als er die „Bilder des Orients“ schrieb und mit sich selber wegen einzelner Gedichte unzufrieden war, unablässig besserte und wieder das Niedergeschriebene verwarf, erwachte in ihr der Wunsch, ihm helfend beizustehen und die quälende Arbeit ihm abzunehmen. Sie machte den Versuch und während Stieglitz auf der Bibliothek zu thun hatte, setzte sie sich an seinen Schreibtisch und dichtete eine der schönsten Scenen in seinem Trauerspiele „Selim III.“, die Unterredung zwischen dem Arzte und der Sultana Walide, an welcher Stieglitz nach mehreren vergeblichen Versuchen gescheitert war. Als er nach Hause kam, trat ihm Charlotte ganz erschöpft und blaß entgegen und deutete lächelnd auf das Pult, wo er die ihm mißglückte Aufgabe von ihrer Hand in vollendeter Form und mit poetischer Kraft gelöst fand. Ueberrascht und gerührt umarmte er die holde Frau, welche die Liebe zur Dichterin gemacht hat.

Hier und da aufsteigende Schatten fehlten nicht, aber Charlotte wußte sie durch Nachgiebigkeit und anschmiegendes Eingehen auf die Eigenthümlichkeiten des geliebten Mannes noch immer zu bannen. Je mehr sie seine Schwächen kennen lernte, desto opferfreudiger wurde sie, und mit Sanftmuth ertrug sie die kleinen Störungen, welche das Leben und die Ehe mit sich bringen. Allerdings hatte diese zarte Schonung oft gerade den umgekehrten Erfolg und bestärkte Stieglitz in seinen launenhaften Ansprüchen und hypochondrischen Quälereien, die zu ihrer Heilung der Strenge und des Widerspruches bedürften. Die geringfügigsten Umstände reichten zuweilen hin, Verstimmung und selbst Schwermuth in ihm hervorzurufen, wozu seine Natur um so mehr neigte, da er durch angestrengte geistige Arbeiten seine Nerven überreizte. Wie einst David die Wuth Saul’s, so bannte sie seinen Trübsinn durch ihren seelenvollen Gesang und, wenn dieser nicht mehr ausreichte, durch ernstere Mahnungen, die sie auf ein Blättchen niederschrieb und ihm so hinlegte, daß er sie lesen mußte. Einer dieser Gedenkzettel, der sich noch erhalten hat, lautete folgendermaßen:

„Recept für Uns. – So lange wir aber leben, also uns lieben, laß uns gegenseitig so viel wie irgend möglich heitere Blumen (lebensfrische heißt das) warten für einander, das geringe Unkräutchen (ein bloßer Schnupfen, eine zerbrochene Lampe), das sich einschleicht, mit thätiger Hand vertilgen, aber es um Gotteswillen für keine Trauerweide ansehen, sonst bleibt uns am Ende kein heiliger Baum für das Grab der geliebtesten Todten – und dies wird sicher ein furchtbarer Verlust. – Laß uns gegenseitig erfreuen, stärken, halten, erheben, handeln und somit froh sein – hörst Du?! – Laß uns denken, wenn wir säen allerlei Samen, daß die Früchte zu rechter Zeit schon reifen werden; der Boden, der lange liegen kann, bringt es doppelt ein.

Liebe ist der Athem, der ihn nährt,
Vertrauen ist die Sonne, die’s bewährt,
Und wo sich dies vereint gefunden,
Muß auch die rechte Frucht gefunden.“

Selten verfehlten derartige Erinnerungen bei Stieglitz ihren Zweck. Ueberhaupt glaubte Charlotte, nach einem längeren Zusammenleben die Bemerkung über seinen Charakter gemacht zu haben, daß jedes wahre Unglück ihn weit stärker und widerstandsfähiger fand, als die kleinen Unannehmlichkeiten des alltäglichen Daseins. Als sie einmal ernstlich erkrankte und zu ihrer Wiederherstellung das Seebad Dobberan besuchen mußte, vergaß er seine eigenen unbedeutenderen Leiden und erwies sich eben so besorgt und aufopfernd, wie sie selbst bei ihn betreffenden Krankheitsfällen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 397. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_397.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)