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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Mahler Vergiftung durch Arsenik aus. Der Thatbestand des Verbrechens stand fest.

Es kam nun darauf an, den Thäter, den Verbrecher zu ermitteln und zu überführen.

Zu ermitteln? War nicht in dem eigenen Manne der Vergifteten der Thäter bereits ermittelt?

Ich mußte auch als Criminalrichter wenigstens an das anknüpfen, was auf meine menschliche Ueberzeugung so tief eingewirkt hatte.

Das Mahler’sche Hauspersonal bestand nur aus dem Manne, dem dreizehnjährigen Dienstmädchen und jener Nichte, die Mahler in der Nacht vor dem Tode seiner Frau heimgebracht hatte.

Durch die ausführliche, sorgfältige Vernehmung zunächst dieser Personen, und sodann der Nachbarin, der Wittwe Kühl, die während der Krankheit und beim Tode der Frau im Hause gewesen war, mußte der Weg zur Auffindung der Wahrheit betreten werden; ein ungewisser, dunkler, schwieriger Weg.

Mahler war ein kalter, besonnener, fester Mann und, wenn der Thäter, einer von jenen Verbrechern, an denen alle ehrlichen Mittel der Inquirenten zur Erforschung der Wahrheit scheitern. Zu unehrlichen konnte ich nicht schreiten.

Das Dienstmädchen war ein Kind, unbefangen, arglos, beschränkt. Die Nichte hatte ich noch nicht gesehen. Sie war, als ich in das Mahler’sche Haus kam, ausgegangen, man wußte nicht, wohin. Sie war während meiner Anwesenheit dort nicht zurückgekehrt.

Hatte ich sie wirklich noch nicht gesehen? Mahler hatte diese Nichte in der vorhergehenden Nacht mitgebracht. Er war in derselben Gegend gewesen, wo ich an der hannoverschen Grenze das hübsche Mädchen mit den schwarzen Augen von dem Burschen hatte Abschied nehmen sehen. Sie hatte von einer Reise mit ihrem Oheim gesprochen. War die Nichte Mahler’s jenes Gretchen? Der Bursche des Mädchens hatte sich vor dem Zuchthause zu fürchten.

Mit der Vernehmung der sämmtlichen genannten Personen mußte ohne allen Verzug verfahren werden, bevor sie unter sich oder mit anderen irgend eine Rücksprache nehmen konnten.

Den Mahler nahm ich sofort selbst mit zum Gebäude des Inquisitoriats. Das Dienstmädchen ließ ich durch einen Criminalboten hinführen. Andere Criminalboten ließ ich als Wache im Hause zurück mit der Anweisung, die Nichte, sobald sie zurückkehre, zum Gerichte zu führen. Die Nachbarin war schon vorher dahin bestellt. Sämmtliche Personen wurden dort getrennt und unter Aufsicht von Beamten untergebracht.

Ich begann mit der Vernehmung Mahlers. Je weniger ich bei seinem Verhör von der Sache wußte, desto unbefangener war ich dabei, desto mehr ließ er also auch sich gehen, desto eher war er, wenn schuldig, zum Vorbringen von Unwahrheiten geneigt; und jede Unwahrheit von seiner Seite war ein erheblicher Schritt zu seiner Ueberführung.

Er trat mit seiner vollen Ruhe, Kälte und Besonnenheit in das Verhörzimmer. Er hatte mir nicht viel zu sagen. Aber was er sagte, sprach er klar und dem Anscheine nach mit voller Offenheit, ohne allen Hinterhalt. So fast bis zum Ende des Verhörs.

Er war in der vorgestrigen Nacht von einer mehrtägigen Reise durch das Land zurückgekehrt. Seine Reise hatte den Ankauf von Schlachtvieh von den Bauern zum Zweck gehabt. Er war bis an die hannoversche Grenze gekommen. Bei seiner Rückkehr hatte er seine Frau unwohl gefunden. Wie schon seit Jahren öfters, hatte sie an Erbrechen gelitten. Sie hatte sich immer durch Hausmittel geholfen und durch Rhabarber, den sie aus der Apotheke holen ließ. Sie hatte dieselben Mittel auch diesmal angewandt, und auch er hatte den gewohnten Erfolg von ihnen gehofft. So war er schon des Morgens früh seinen Geschäften nachgegangen; um so weniger beunruhigt, da er sie unter der Pflege ihrer Nichte zurückließ. Auch auf die Hülfe der Nachbarin Kühl durfte er, wie in früheren Fällen, rechnen. Erst zu Mittag war er zurückgekommen. Der Zustand der Kranken hatte sich bedeutend verschlimmert. Er hatte davon gesprochen, zum Arzt zu schicken. Sie hatte es entschieden nicht gewollt. Nach Tisch hatte er wieder ausgehen müssen. Vor acht Uhr Abends hatte er nicht zurückkehren können. Sie hatte unterdeß fürchterlich gelitten. Bei seiner Ankunft aber war sie ruhig. Es war wohl nur Erschöpfung, wie er sich, aber erst später, überzeugen mußte. Seine Geschäfte erforderten sein nochmaliges Ausgehen. Als er um elf Uhr in der Nacht wieder kam, kämpfte sie schon mit dem Tode. Er hatte noch jetzt zum Arzt schicken wollen, obwohl er keine Hülfe mehr sah. Aber auch die Frau Kühl hatte ihm vorgestellt, wie völlig fruchtlos dies sei, und sie hatte ihn gebeten, die Sterbende nicht zu verlassen. Nach einer Viertel- oder halben Stunde war sie verschieden.

Am andern Morgen schon, gleich nach sechs Uhr, hatte er seinen eigenen und den Verwandten der Frau Mittheilung von dem Todesfalle gemacht. Um neun Uhr war sein Schwager, der Fleischermeister Kopp, zu ihm gekommen, hatte ihm gesagt, in der Stadt spreche man davon, daß seine Frau vergiftet sei, und hatte ihn aufgefordert, um die Sache klar zu stellen, die Leiche durch den Kreisphysikus seciren zu lassen. Er sei gleich dazu bereit gewesen, obwohl er die Entstehung des Gerüchts nicht habe begreifen können. Mit seiner Frau habe er immer in Frieden gelebt. Sie sei zwar älter gewesen, als er, auch schwächlich und sehr oft kränkelnd; ihre Ehe sei ohne Kinder geblieben. Er habe sie dennoch geachtet und geliebt, wie eine brave Frau das verdiene.

Das Alles erzählte er, wie gesagt, offen, mit allen Anzeichen der Wahrheit.

Ich fragte ihn nach der Nichte seiner Frau.

Sie hieß Gretchen Kopp, war achtzehn Jahre alt, die Tochter eines verkommenen und in Armuth gestorbenen Bruders seiner Frau. Diese hatte das Mädchen als Kind zu sich genommen; allein das Mädchen hatte einen eigensinnigen und etwas trotzigen Charakter gezeigt, hatte sich daher mit ihrer Tante nicht vertragen können und vor etwa einem halben Jahre sein Haus verlassen, um in der Nähe der hannoverschen Grenze bei entfernten Verwandten in Dienst zu treten. Hinterher hatte es seiner Frau leid gethan, daß ihre Nichte doch eigentlich bei fremden Leuten dienen müsse, und als sie vor einigen Tagen gehört, daß er zu der Grenze verreisen müsse, hatte sie ihn gebeten, das Kind wieder mitzubringen. Dies hatte er gethan.

Er erzählte auch dies offen, wahr.

Ich theilte ihm jetzt mit, daß Gift, Arsenik, in dem Körper seiner Frau gefunden sei. Er hatte die Mittheilung erwartet, nach Allem erwarten müssen. Sie ließ ihn ruhig.

„Ich hatte es schon gemerkt,“ sagte er, „als Sie in die Stube traten. Ich sah auch ein, warum Sie es mir nicht gleich sagten. Sie müssen einen Verdacht gegen mich haben. Ich kann nur nicht begreifen, wie dieser hat entstehen können.“

„Hat Ihnen Ihr Schwager nichts darüber gesagt?“

„Wie konnte er? Er hat mir ja nicht einmal zu verstehen gegeben, daß man mich in Verdacht hätte; er sprach nur von einem Gerüchte der Vergiftung.“

„Haben Sie auf Niemanden Verdacht?“

„Auf keinen Menschen.“

„Könnte Ihre Frau nicht durch Unvorsichtigkeit Gift genossen haben?“

„Ich könnte mir auch das nicht erklären.“

„Haben Sie keinen Arsenik im Hause gehabt?“

„Niemals.“

Bevor ich durch Vernehmung anderer Personen neuen Anhalt hatte, konnte ich mit ihm nicht weiter verhandeln. Ich ließ ihn in ein besonderes Zimmer unter Aufsicht von Beamten abtreten. Es durfte dort Niemand zu ihm.

Sein Verhör hatte nicht das Geringste dazu beitragen können, meinen Verdacht gegen ihn zu bestätigen. Er hatte keinen Augenblick Unruhe oder Verwirrung gezeigt; ich konnte ihn keines unwahren, keines zurückgehaltenen Wortes zeihen. Dennoch konnte ich mich des Verdachtes nicht entledigen.

Ich vernahm hierauf das Dienstmädchen. Von dem arglosen und beschränkten Kinde erhielt ich nur geringe Auskunft, und was sie wußte, bestätigte fast nur die Aussage ihres Herrn.

Die Frau war öfters krank gewesen. Als Mahler abgereist war, hatte sie sich wohl befunden. Am Abende vor seiner Rückkehr hatte sich aber wieder einer ihrer gewöhnlichen Krankheitsanfälle, Erbrechen, eingestellt. In der Nacht war Mahler mit der Nichte zurückgekommen. Der Zustand der Frau war bis zum Morgen der gleiche geblieben. Schon um sechs Uhr hatte sie das Mädchen in die Apotheke geschickt, ihr ein Rhabarberpulver zu holen. Mahler selbst hatte dies der Kranken eingegeben.

Nach dem Genusse des Pulvers hatte der Zustand der Kranken sich plötzlich und sehr verschlimmert. Diese beiden Umstände waren die einzigen neuen. Wie unerheblich sie zu sein schienen, ich mußte sie unwillkürlich besonders festhalten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 414. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_414.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2018)