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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

den Trank gemischt hat, in welchem fast unzweifelhaft das Gift enthalten war! Diese Person läßt er frei, weil sie ein ehrliches Gesicht machen, weil sie in etwas anderer Weise, wie gewöhnliche Spitzbuben, ihre Unschuld versichern, weil sie allerdings recht hübsch weinen kann! Nun, ich bin neugierig, wie das enden wird. Ich fürchte, ich fürchte, mit diesem neuen Herrn Director haben wir nicht viel gewonnen.

Der Mann sollte freilich noch mehr erstaunen. Sollte er auch Recht haben?

Ich hatte schon gleich nach der Vernehmung des Fleischers Kopp einen Criminalbeamten ausgesandt, die Louise Schmid herbeizuholen, jenes frühere Mahler’sche Dienstmädchen, auf das die Frau Mahler eifersüchtig gewesen, von dem aber trotzdem, und trotz dem noch immer bei Kopp vorhandenen Verdachte, nichts bekannt war, daß Mahler irgend ein Verständniß mit ihr unterhalte. Es lag nichts, gar nichts Thatsächliches gegen sie vor. Ich konnte mir das nicht verhehlen, aber eine Stimme rief mir zu: sie ist, wenn nicht selbst eine Mitschuldige, die Ursache des verübten Verbrechens; durch sie wird auch das Verbrechen an den Tag kommen. Diese Ahnung wurde immer lebendiger in mir. Ich mußte daher das Mädchen vernehmen. Und nicht blos sie. Voraussichtlich, sollte ihre Aussage von Erfolg sein, mußte ich sie vorher auf Lügen ertappen. Deshalb hatte ich durch einen zweiten Boten auch ihre beiden Eltern zum Criminalgericht abholen lassen. Zuletzt hatte ich noch etwas Anderes vor.

Alle waren mit voller Schonung nur vorgeladen, um als Auskunftspersonen vernommen zu werden. In der That war es auch so. Beiden Gerichtsboten hatte ich die möglichste Vorsicht empfohlen. Mahler durfte nicht erfahren, daß irgend Jemand von der Schmid’schen Familie am Gerichte erscheine; die zuerst abgeholte Tochter durfte von dem Erscheinen ihrer Eltern nichts wissen.

Ich vernahm zuerst das Mädchen. Es war wirklich eine hübsche, beinahe schöne Person; eine schlanke und doch runde, weiche Gestalt; ein feines Gesicht, große, tiefblaue Augen, mit dem Ausdrucke der bescheidensten, stillsten Sanftmuth.

Ich wurde beinahe irre an meiner innern Stimme. Aber ich sah ein, wie verführerisch dieses Mädchen sein konnte. Eine Mitschuldige brauchte sie ja darum nicht zu sein. Sie erschien mit ihrem ganzen sanften Wesen in dem Verhörzimmer. Sie sah mich mit ihren schönen, dunkelblauen Augen klar, ruhig erwartend an.

„Sie kennen den Fleischer Mahler?“ fragte ich.

Sie antwortete mit der Ruhe ihrer äußern Erscheinung:

„Ja, ich habe bei ihm gedient.“

„Wie lange?“

„Ein halbes Jahr lang.“

„Warum verließen Sie den Dienst?“

„Die Frau konnte mich nicht recht leiden,“

„Was hatte sie gegen Sie?“

„Sie that mir Unrecht.“

„Sprechen Sie aus, was es war.“

Das Mädchen wurde roth, sie schlug die Augen nieder. Es war eine natürliche Scham, die sich so verrieth. Auch ihr Zögern, mit der Wahrheit herauszukommen, sprach für sie. Nicht minder die Art, wie sie zuletzt damit herauskam.

„Sie hatte ihren Mann und mich in Verdacht mit einander. Aber ich versichere Sie, Herr Director, die Frau hatte Unrecht.“

„Haben Sie, seitdem Sie den Dienst verlassen, Mahler wieder gesehen?“

„Auf der Straße.“

„Haben Sie mit ihm gesprochen?“

„Im Vorbeigehen.“

„Sonst nicht?“

„Ich kann mich nicht besinnen.“

„Hat er Sie nie in Ihrem Hause besucht?“

„Nein.“

Sie sah mich außerordentlich klar und unbefangen bei der Antwort an. Sie konnte indeß bei dieser einen Hintergedanken haben.

„Er war auch nie in Ihrem Hause?“

„Ich sage Ihnen ja, er hat mich nie besucht.“

„Sein Besuch könnte Ihren Eltern gegolten haben?“

„Er war nie in unserm Hause.“

Ich endete das kurze Verhör mit ihr. Sie hatte mit einer Bestimmtheit, die später keine Ausrede zuließ, abgeleugnet, Mahler anders, als auf der Straße, namentlich in ihrem Hause, gesehen zu haben. Das genügte mir für meinen Zweck vorläufig vollkommen.

Ihr Vater mußte eintreten. Es war ein Mensch von gemeinem, aber entschlossenem Aeußern. Etwas von einem Trunkenbolde glaubte man ihm ansehen zu müssen. Wenn er schon vor der Abholung mit seiner Tochter sich verabredet hatte, so war auf Widersprüche bei ihm nicht zu rechnen. Und in der kleinen Stadt hatte die Kunde von dem Verbrechen und dem gerichtlichen Einschreiten schon seit Stunden sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Schuldbewußte mußten also bereits die genauesten Verabredungen getroffen haben.

Der Mann wollte den Fleischer Mahler nur von Ansehen kennen, und in seinem Hause nie gesehen haben.

Ich vernahm die Frau, eine lauernde, verschmitzte Person. Sie machte einen noch schlechteren Eindruck, als ihr Mann. Ihre Aussage stimmte völlig mit denen des Mannes und der Tochter überein.

Bis jetzt hatte ich für die Bestätigung meiner Ahnung noch nichts gewonnen. Das Mädchen hatte sich völlig so unschuldig und unbefangen gezeigt, wie Gretchen Kopp. Was konnte sie dafür, wenn ihre Eltern gemein aussahen? Was galt dies überhaupt für die Untersuchung?

Aehnliche Bemerkungen las ich wieder in dem Gesichte meines Actuarius, dem es nicht hatte entgehen können, welches Gewicht ich auf die Vernehmung der Familie Schmid legte.

Ich ließ die drei Personen sogleich nach Beendigung ihres Verhörs nach Hause gehen. Der Actuarius schien das wieder nicht begreifen zu können. Es war allerdings gegen die gewöhnliche Praxis. Noch weniger begreiflich war ihm das gleich Folgende.

Ich ließ den Fleischer Mahler wieder vorführen.

„Bei Ihnen hat vor nicht langer Zeit eine Louise Schmid gedient?“

Ein erdfahler Schein flog plötzlich durch sein Gesicht, und wenn auch der ganze übrige Mann fest und eisern stand, sein Auge zitterte.

War ich doch auf dem rechten Wege?

„Ja,“ antwortete er, und es kostete ihm Anstrengung, um nur zu dem einzigen kleinen Worte Luft zu gewinnen.

Ja, ich war auf dem rechten Wege; ich mußte es sein. Auch in dem still, zwar überrascht, aber befriedigt vor sich hin nickenden Gesichte des Actuarius las ich es. Ich hatte jetzt nur noch wenige Fragen an den Menschen, fast nur dieselben, die ich an das Mädchen gerichtet hatte.

„Haben Sie die Louise Schmid seit ihrer Entfernung aus Ihrem Hause wieder gesehen?“

„Zuweilen auf der Straße.“

„Auch gesprochen?“

„Es ist möglich, im Vorbeigehen.“

„Haben Sie sie in ihrem Hause besucht?“

„Nein.“

„Waren Sie niemals in ihrem Hause?“

„Niemals.“

Fast Wort für Wort die Antworten des Mädchens und mit völliger Ruhe und Bestimmtheit abgegeben; jenes Erschrecken hatte nur den kürzesten Augenblick gedauert. Aber ich war zufrieden; ich hatte jetzt die Fäden des Verbrechens und mußte sie nur noch zusammenknüpfen.

Mein Plan, schon gleich, als der Fleischer Kopp die Louise Schmid erwähnt hatte und ich darauf durch die Vernehmung der Gretchen Kopp die Ueberzeugung gewonnen zu haben glaubte, daß dieses Kind unschuldig sei, mein Plan, schon damals rasch entstanden, hatte während der letzteren Vernehmungen sich immer mehr entwickelt und bis in seine Einzelnheiten ausgebildet.

„Sie können nach Hause gehen,“ sagte ich zu dem Fleischer Mahler.

Er verließ das Verhörzimmer, ohne ein Wort zu sagen, ohne nur eine Miene zu verziehen. Aber mein Actuarius war außer sich gerathen. Es ist kein Zweifel, mit dem sind wir aus dem Regen unter die Traufe gerathen, sagte sein Gesicht.

Der brave, pflichtgetreue Beamte aber mußte noch mehr thun.

(Schluß folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 428. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_428.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)