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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

zu Therese getrieben, stand demselben durch seine bedeutenden mathematischen Kenntnisse hülfreich zur Seite. Zusammen genommen bildeten diese Leute eine durchweg so glückliche Famille. daß sie die herrschsüchtige Eigenwilligkeit des Obersten ganz zu übersehen vermochten. Das war denn auch bis jetzt geschehen und nur in gelegentlichen Aeußerungen Eberhard’s brach ein verhaltener Schmerz hervor, daß ihm des Vaters Liebe zu seinem Glücke fehle.

Therese dachte in diesem Momente daran. Ihr Entschluß reifte an diesen Erinnerungen und sie meinte, sich ein Verdienst zu erwerben, sowohl um ihren Gatten, als um den eigensinnigen Oberst, aus dessen Briefe ein eigenthümlicher Anhauch stiller Klage wehte. Sie war harmlos und einfach genug, um den darin enthaltenen Spöttereien über ihre Eltern keine größere Bedeutung beizulegen, als sie wirklich verdienten, und ihr unparteiisches Urtheil fand sogar die Kritik über ihren Vater, der allerdings auf seine adllg geborne Frau etwas stolz war, sehr belustigend. Von Minute zu Minute mehr geneigt, den alten Oberst mit allen selnen Launen zu ertragen, ja, ihn zu lieben, erwartete sie mit Sehnsucht den Augenblick seiner Ankunt und bereitete sich mit einiger Selbstüberschätzung vor, durch ihre bloße Erscheinung die Scrupel mit einem Schlage zu tödten, die eine trennende Kluft zwischen ihnen gezogen hatten.




II.

Es verging glücklicher Weise ein Tag, eine Nacht und abermals ein Tag, bevor Oberst Hußlar nach seinem Ausdrucke „einrückte“, und Frau Therese hatte Muße, ihre Exaltationen verfliegen zu lassen.

Die Medicinalräthin mit ihren Anekdoten von dem maßlosen Spotte und der rücksichtslosen Grobheit des Schwagers kühlte den Muth der jungen Frau auch bedeutend ab, so daß sie eher mit Bangen, als mit Freude, seiner Bekanntschaft entgegenlebte. Bisweilen freilich hob sich ihre Courage wieder und sie fußte mit eifrigem Beharren auf den „Finger Gottes“, der dieses Zusammentreffen bezeichnete. Die Medicinalräthin schüttelte aber dazu ihr weises Haupt sehr bedenklich und warnte sie vor Uebereilungen.

Der Abend neigte sich. Die Damen hätten gern einen Spaziergaug auf die Berge unternommen, wenn nicht die stündlich erwartete Ankunft des Obersten sie verhindert hätte. Unmuthig schaueten Beide in das lichte Blau des Himmels, von den Goldstrahlen der sinkenden Sonne durchleuchtet, als ein Wagen die Straße herabkam und richtig in der Nähe des Medicinalrath Schlesing’schen Hauses langsamer fuhr.

„Er ist’s!“ rief die alte Dame pathetisch. „Kind, verlassen Sie das Zimmer und horchen sie erst im Nebenzimmer auf seine Entretien – ich wette, Ihre sanguinischen Hoffnungen verfliegen. Sehen Sie, der Wagen hält. Himmel, wie alt und grämlich ist der Mann geworden – gelb und mager das hübsche, alte Gesicht. Der arme Mann!“

„Der arme Mann,“ wiederholte Therese leise und gefühlvoll, als der Oberst jetzt Anstalten traf, mit Hülfe seines Bedienten den Wagen zu verlassen. Es schien ein schwieriges Werk zu sein, denn es währte lange, ehe er sich aus dem Innern des Wagens herausbewegte. Es hatte ganz den Anschein, als sei er von Gicht und Nervenleiden am Körper gelähmt.

Frau Therese zitterte vor Theilnahme. Sie hätte hinabspringen und ihm helfen mögen. Aber das war nicht nöthig. Plötzlich stützte sich eine weiße, feine Männerhand auf die kräftigen Schultern des steif dastehenden Bedienten und flink, wie ein junger Mann, kletterte der Oberst die unbequemen Tritte des Wagens hinab. Bei einer Wendung, die derselbe gegen den Kutscher machte, entfielen ihm die Handschuhe und ein Cigarrenetui, ohne daß es Jemand bemerkte.

Therese sah es. Allein ehe sie zu dem Entschlusse kam, ob sie es von oben herab bemerklich machen sollte, schlüpfte ihr Töchterchen Pauline, das unten im Hause einige Spielgefährtinnen gefunden hatte, aus der Thür, hob die Gegenstände auf und überreichte sie mit der kindlichen, uneinstudirten Grazie ihres Wesens dem alten Herrn. Dieser nahm sie und blickte verwundert auf das kleine Mädchen, das mit seinem engelschönen, freundlichen Kinderkopfe voll blonder Locken wie ein Seraph der Versöhnung zu ihm aufschauete. Ein Lächeln eigener Art verklärte augenblicklich des Obersten Gesicht. Er neigte sich, legte seine Hand auf diesen kleinen Lockenkopf und fragte mit weichem Wohlwollen:

„Wie heißt Du denn, mein kleines Fräulein?“

Der Medicinalräthin, welche eben die Treppe herniederstieg, um den ehrenwerthen Schwager gebührend zu empfangen, stockte der Athem in der Brust vor Furcht, das Kind werde, wie es bisweilen that, seinen Vor- und Zunamen nennen. Sie athmete frei auf, als es antwortetet:

„Pauline heiße ich! Bist Du auch krank, wie meine Mama?“

Ueberrascht blickte der Oberst die Kleine an bei dieser Kundgebung von Theilnahme, während die alte Dame unwillkürlich an Theresens „Gottes Finger“ dachte und mit Rührung beobachtete, wie sich Pauline an die Hand des alten Herrn schmiegte und diese in einem Anfalle liebenswürdiger Schmeichelei mit Küssen bedeckte.

„Gott gebe seinen Segen!“ rief sie selbstvergessen aus und weckte damit den Obersten aus einer Gemüthswallung, die ihm selbst fremd erschien. Er bezog aber diesen Ausruf auf seinen Plan „hier Gesundheit zu suchen“ und erwiderte, kräftig ihre Hände ergreifend und schüttelnd:

„Ja, Frau Schwester, Gott gebe seinen Segen!“

Sie gingen miteinander hinauf, nachdem der Kutscher beordert war, mit dem Bedienten in das gemiethete Quartier am See zu fahren und dort die Koffer abzupacken.

Frau Therese hatte sich richtig in’s Nebenzimmer geflüchtet, ihr Herzklopfen, vor der Ankunft des Obersten so zuversichtlich, war ganz bedeutend ausgeartet, nun er da war und sie ihm entgegen treten wollte.

Lachend trat der alte Herr ein.

„Tausend Wetter, Frau Schwester, Sie wohnen aber fürstlich schön hier – welche brillante Einrichtung – alles strotzt von Gold und Silber – ja, da werde ich mich wohl verrechnet haben, als ich mein Barbierbecken zu Hause ließ, weil ich dachte, hier von denen Ihres seligen Mannes noch eins zu finden!“

„Thut mir herzlich leid, Herr Schwager,“ entgegnete mit höflicher Kaltblütigkeit die alte Dame, „aber Sie sollten doch wissen, daß meines seligen Schwiegervaters Barbierbecken von meinem seligen Manne nie benutzt wurden und deshalb Anno 1816, als Sie ihres Vaters Liqueurladen verkauften, mit verauctionirt worden sind.“

„Gut zurückgeschlagen, weise Dame,“ lachte der Oberst. „Ich bemerke zu meiner Freude, daß Sie unsere Kriegführung noch nicht verlernt haben.“

Er ließ sich seinen Paletot vom Hausmädchen abziehen, gab ihr die Mütze und Handschuhe und dachte bei dieser Gelegenheit wieder an das kleine hübsche Paulinchen.

„Apropos, Frau Schwester,“ sprach er, sich bequem im Sopha zurechtsetzend, „was war denn das für eine kleine Dame, die mir meine Handschuhe und mein Etui vorhin überreichte?“

Die Medicinalräthin wurde beinahe blaß vor Schrecken bei dieser Frage. Sie suchte sich auf eine Antwort zu besinnen.

„Eine Dame? Ach, Sie meinen das Kind? Das ist das Töchterchen einer Fremden, die eben so, wie Sie, Heilung von allerlei Uebeln suchen will. Das Kindb ist Aller Liebling und nennt Jeden Onkelchen und Tantchen. Sie heißt Pauline.“

„Weiß ich schon. Ist ein Schmeichelkätzchen?“

„Das eben nicht. Im Gegentheil, sie kann eher kühl und altklug genannt werden. Freilich gegen Sie zeigte sie sich sonderbar zärtlich – Sie müssen ihr gefallen haben.“

Der Oberst strich sich vielsagend über sein graubärtiges Gesicht und erwiderte spöttisch:

„Weiß nicht, ob meine Larve viel Anziehendes für kleine Fräuleins haben kann. Sie sehen noch recht frisch und appetitlich aus, Frau Schwester – das macht, Sie haben nicht die Ehre, ungerathene Söhne zu besitzen.“

Die alte Dame richtete sich kampflustig in die Höhe.

„Hören Sie, Herr Schwager, da Sie von vornherein anfangen, so nehme ich mir die Freiheit, Ihnen zu sagen, daß Sie sehr Unrecht thun, Ihre wackern Söhne zu verachten. Sie haben Ihre Gewalt hinreichend geübt, so lange Eberhard und Lothar Knaben und Jünglinge waren, ich dächte, jetzt beim Beginne der dreißiger Jahre hätten Beide ein Recht, zu thun und zu lassen, was sie für gut fänden. Eberhard ist nur auf Ihren Befehl und ganz gegen seinen Willen Officier geworden.“

„Richtig, Frau Schwester,“ fiel der Oberst ein, „Ich habe auch nichts dagegen, ihn als Locomotivführer zu wissen, nur sehen mag ich den rußigen Kerl nicht.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 455. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_455.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)