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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

größeren Hochschulen dreist zur Seite stellen. Und deshalb sage ich mit dem alten Burschenliede: Pereant osores!

Der Zug am Sonntag Morgen war stattlich und wurde durch den Regen, welcher zwei Stunden lang fiel, nicht gestört. Großes Interesse erregten die berühmten Männer, welche als Abgeordnete anderer Hochschulen gekommen waren, um den großen Tag zu verherrlichen. Wenn keine deutsche Universität einen namhaften Theologen der Formelrichtung, sogen. Orthodoxen, zum Gruß und Glückwunsch geschickt hatte, so wurde ein solcher Mangel höchst freudig verschmerzt; was solche Theologen unterlassen hatten, geschah von Paris und Petersburg, Tiflis in Georgien und Straßburg, von Schweizern und Ungarn. Sie alle waren willkommen und huldigten froh dem Geiste, wie er in Jena stets gelebt und sich hoffentlich stets erhalten wird. Die Festpredigt des Kirchenraths Schwarz war Jena’s würdig; kräftig und mild, anregend und eindringlich; sie wirkte wohltäthig auch dadurch, daß sie nicht, was höchst unpassend gewesen wäre, dogmatisirte oder theologisch eiferte, während sie doch, um mit Luther zu sprechen, den Anfeindern der Universität und ihres Geistes „auf’s Maul schlug.“ Es wird wohl getroffen haben. Die Predigt ist gedruckt, und drei starke Auflagen wurden in zwei Tagen vergriffen.

Ueber das Festmahl, die Ernennung der Ehrendoctoren, unter welchen vielleicht einige Spreu ist, und die amtlichen Vorgänge überhaupt werden wohl die Zeitungen ausführlich berichten, und ich brauche derselben nicht zu erwähnen. Mir kommt es darauf an, einige Federzeichnungen zu liefern. Ein Maler würde in Jena zu Genrebildern eine große Menge Stoff gefunden haben. So zum Beispiel war das ganze Treiben der Studenten höchst malerisch. Sie zogen auf mit Marschällen und Fahnen, die Schläger blitzten, und die Gesichter sagen so frisch und munter darein, daß man seine rechte Freude daran hatte. Alle Verbindungen hatten neue Fahnen erhalten, die an jenem Tage eingeweiht wurden; auch die Bürgerschützen und die Innungen und Schulkinder fehlten nicht in dem Zuge, welcher dann die große Kirche füllte.

Schon am Sonnabend hatten viele alte Freunde sich zusammengefunden und gingen in Gruppen, Arm in Arm. Viele hatten ihre Verbindungsbänder und farbige Mützen mitgebracht, die sie vor Jahrzehnten getragen, und das ganze Treiben in Jena hatte etwas ungemein Farbiges, Buntes, Anmuthendes. Die Feier war, mit Ausnahme einer zweistündigen Unterbrechung am Sonntag Morgen, von heiterm Himmel begünstigt, der gewiß seine Freude an dem muntern, frischen Treiben gehabt hat. Prachtvoll wirkten Feuer, welche am Sonnabend Abend auf allen Bergen emporloderten, in’s Thal hinableuchteten, und sich in der Saale widerspiegelten. In der großen Festhalle im Paradiese saßen frohe Menschen bis spät in die Nacht beisammen, während zugleich alle Gasthäuser gefüllt waren, und die verschiedenen Verbindungen ihre Commerse hielten. Dabei will ich eine Bemerkung nicht unterdrücken. Während meines viertägigen Aufenthaltes in Jena habe ich auch nicht einen einzigen lärmenden Menschen gesehen, nicht gesehen oder gehört, daß irgend eine Irrung oder ein Zank vorgekommen sei. Das Benehmen Aller, der Studenten wie der herbeigeströmten Landleute, der Bürger wie der Fremden, war in der That musterhaft und in hohem Grade preiswürdig: der Großherzog von Weimar, welcher dem Feste seine lebhafte Theilnahme schenkte, muß auch an einem so anständigen Benehmen Aller seine Freude gehabt haben; überall wurde der Nutritor nicht nur, wie sich von selbst versteht, mit Hochachtung begrüßt, sondern ihm tönte auch überall freudiger Jubel entgegen. Er ist in der That ein Schirmer von Jena.

Das Standbild seines Ahnherrn, Johann Friedrich’s des Großmüthigen, Dichters des kernigen, von allem Dogmatismus freien „Kurfürstenliedes“, prangt stattlich auf dem Marktplatze, und wurde in der Gegenwart des Großherzogs enthüllt. Die Weihrede war zu lang, was bei dergleichen Gelegenheiten, wie überall, ein Fehler ist; aber am Ende sank die Umhüllung, und da stand, in schimmerndem Erze, kräftig und markig, der alte Recke, welcher so viel schwere Tage erduldet, aber doch mannhaft geblieben, er, der Gründer der Jenaischen Universität. Die Arbeit des Berliner Bildhauers Drake ist in der That ein Meisterwerk, und macht der Sculptur Ehre; die malerische Tracht war geschichtlich gegeben, und ist zugleich kleidsam und monumental. Aber allgemein war der Eindruck, daß das Postament für ein solches Standbild viel zu winzig sei.

Ein Fackelzug fehlte natürlich nicht; und das Gaudeamus klang voll in die Lüfte. Die meisten ehemaligen Jenenser schloß sich gruppenweise den Verbindungen an, zu welchen sie einst gehört, und waren bei diesen willkommen. Von den Corps sind manche eingegangen; die alten Teutonen mit schwarz-roth-gold-grün, die Constantisten, Vandalen und Westfalen verschwanden, waren aber an den Festtagen wieder durch Einzelne vertreten. Es hatte für sie etwas Wehmüthiges, wenn sie so in einem kleinen Häuflein beisammen saßen und sich der alten Zeit erinnerten. Ich sah sechs oder sieben alte Teutonen aus den zwanziger Jahren, unter welchen, ich wußte es im Voraus, der tapfere, schon früher von mir erwähnte „Rups“ nicht fehlen würde. Der Treffliche war in poetischer Stimmung, er blickte in’s Paradies und träumte vor sich hin, bis ihm dann jener Weimaraner, der ihm vor vierunddreißig Jahren den rechten Arm gelähmt, entgegentrat. Sie umarmten sich und – tranken einmal.

Ich ließ die officiellen Festlichkeiten möglichst bei Seite; mir lag daran, Gemüthseindrücke aufzunehmen, und zu sehen und zu hören, wie die heutige akademische Jugend denkt und fühlt. Ich mischte mich in die Gesellschaft aller verschiedenen Verbindungen. Es ist ein heiterer, frischer Muth unter diesen Studenten, sowohl unter jenen der Corps, als unter den Burschenschaften. Jena zählt drei Corps: Sachsen, Thüringer und Franken, und drei Burschenschaften: Teutonen, Germanen und Leute vom Burgkeller. Alle hatten ihre „Kneipen“ prächtig herausgeputzt, wie denn überhaupt Jena so grün aussah, als sei der ganze Birnamwald in dasselbe eingerückt.

Der Burgkeller ist nicht mehr er selbst, und ich habe ihn mit Wehmuth betrachtet. Zwar die Treppenstufen sind noch so schlecht wie vor dreißig Jahren, aber wo sind die alten Säulen im untern Zimmer geblieben, wo die angeräucherten Wände, welche Anspruch darauf machten, einmal weiß gewesen zu sein? Sie sind hin; man sieht tapetenartig überpinselte Mauern, braun lackirte Tische, Bilder an den Wänden, der forsche Tisch und der Trompetertisch haben ihren Auszug gehalten; – es behagte mir nicht mehr, der Trunk, den ich nahm, schmeckte mir nicht. Dort unten hausen die Burgkelleraner. Leute mit rothen Mützen; sie bildeten unter den burschenschaftlichen Parteien den linken Flügel, sind Männer des Progresses und verwerfen das Duell völlig; sie sind grundsätzliche Gegner desselben. Damit haben sie die reine Vernunft auf ihrer Seite; da sich aber im Raume oftmals die Sachen sehr hart aneinander stoßen, und das Abstracte schwer zur Geltung gelangt, so haben diese Männer des Progresses den andern Studenten gegenüber eine schiefe Stellung, und stehen außerhalb des allgemeinen Verbandes. Die oberen Räume des Burgkeller sind im Besitze der neuen Germanen, die, so viel ich erfahren habe, das Duell nicht unbedingt verwerfen, aber den Corps keine Satisfaction geben. Sie scheinen eine Art von burschenschaftlichem Centrum zu bilden, und hatten sich während des Festes mit den Leuten, die im Erdgeschoß des Burgkellers hausen, in bedingter Weise vereinigt. Ich ging mit einigen alten Freunden Abends auf ihren Saal, und wir kamen gerade recht, um eine interessante Mittheilung zu hören. Ein alter, noch sehr stattlicher und rüstiger Lützower Jäger, Prediger Horn aus Mecklenburg, erhob sich und erzählte, wie die Burschenschaft gestiftet worden sei:

Unter den Studenten Jena’s herrschte, gegenüber der Napoleonschen Schmach, ein patriotischer Ingrimm. Ein Theil von ihnen beschloß, die Waffen zu ergreifen und für das Vaterland zu kämpfen. Sie verließen bei Nacht und Nebel die Stadt, gelangten unter mancherlei Gefahren über die Elbe und erreichten Breslau. „Dort wählte,“ so sprach Pastor Horn, „kein geringerer Mann, als König Friedrich Wilhelm der Dritte von Preußen, für uns die Farben schwarz, roth, gold, als Sinnbild der vaterländischen Sache; das ist der Ursprung dieser herrlichen Farben; ein König hat sie gewählt und wer Euch sagt, daß sie einen revolutionären Ursprung haben, der lügt; ich sage, er lügt!“

Dann schilderte er ergreifend, wie nach erfochtenem Siege und nach Befreiung des Vaterlandes von fremdem Joch die Jugend sich zur Burschenschaft vereint habe. Die alten Landsmannschaften seien ein Abbild der Zerrissenheit Deutschlands gewesen, durch, Zerrissenheit sei das letztere eine Beute der Fremden geworben; aber die Jugend habe, so viel an ihr gewesen, dazu helfen wollen, daß eine solche Schmach nicht wiederkehre. Ihrer Vier seien zusammengetreten und hätten auf der Tanne, dem bekannten Gasthaus an der Saalbrücke, die Verfassungsurkunde der Burschenschaft entworfen. Pastor Horn

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