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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Dienste des Vaterlandes. Sie können auf einem anderen Felde Wichtigeres und Bedeutenderes leisten. Ein großes Pfund ist Ihnen anvertraut, das Sie der Menschheit schulden. Nicht umsonst ward Ihnen das schöne Talent verliehen, daß Sie besitzen.“

„Ich war auf Ihren Einwurf gefaßt; aber meine Meinung ist die: Zum Opfertode für die Freiheit und für die Ehre seiner Nation ist Keiner zu gut, wohl aber sind Viele zu schlecht dazu! – Hat mir Gott wirklich etwas mehr als gewöhnlichen Geist eingehaucht, der unter den günstigsten Verhältnissen sich entwickeln durfte, wo ist eine Gelegenheit, wo ich ihn mehr geltend machen kann? – Eine große Zeit, der wir entgegengehen, will große Herzen und fühl’ ich die Kraft in mir, eine Klippe sein zu können in dieser Völkerbrandung, ich muß hinaus und dem Wogenbrande die muthige Brust entgegendrücken. Soll ich in feiger Begeisterung meinen siegenden Brüdern meinen Jubel nachleyern? – Soll ich Komödien schreiben auf dem Spotttheater, wenn ich den Muth und die Kraft mir zutraue, auf dem Theater des Ernstes mitzusprechen? – Daß ich vielleicht mein Leben wage, das gilt nicht viel; daß aber dies Leben mit allen Blüthenkränzen der Liebe, der Freundschaft, der Freude geschmückt ist, und daß ich es doch wage, daß ich die süße Empfindung hinwerfe, die mich beseligt, das ist eben das Opfer, würdig einer solchen Sache. Wer wollte noch feilschen und rechnen, wo es das Höchste gilt? Je mehr Einer hat, desto mehr ist er zum Geben verpflichtet. Nicht mit der halben, mit der ganzen Kraft, mit Geist und Leib, mit Blut und Leben muß jeder Deutsche eintreten, wenn die große Stunde der Befreiung schlägt.“

„Und sie wird schlagen,“ entgegnete Humboldt, indem er über den Patrioten den Diplomaten vergaß. „Sie ist näher, als wir Alle geglaubt haben. Diese Depeschen, die ich so eben aus Berlin erhalten und Ihnen mittheilen will, da Sie mein volles Vertrauen verdienen, legen ein Zeugniß ab für den Geist, der in dem preußischen Volke lebt. York’s kühne That, die Bemühungen des über das ganze Land verbreiteten Tugendbundes und vor Allem der Uebermuth der Unterdrücker haben den glimmenden Funken zur hellen Flamme entfacht. Länger läßt sich der kriegerische Muth der Nation nicht zurückhalten; der König sieht sich, trotz seiner Friedensliebe und Unentschlossenheit, gezwungen, dem allgemeinen Drängen nachzugeben. Es handelt sich nur noch darum, seine Person vor dem Feinde in Sicherheit zu bringen und den Verdacht der Franzosen einzuschläfern. Während der feine Hardenberg mit seinen diplomatischen Künsten Napoleon zu umstricken sucht, ruft der feurige Stein im Gefolge des russischen Kaisers alle deutschen Sympathien wach und schürt die heilige Gluth der Begeisterung. Schon werden im Stillen alle Vorbereitungen für den nahen Kampf getroffen, schon sammeln sich die einzelnen Truppentheile, schon waffnet sich die Jugend und das Volk zeigt eine nie geahnte Opferfreudigkeit.“

„Und Sie wollen mich zurückhalten?“ fragte Theodor vorwurfsvoll.

„Nein, bei Gott, das will ich nicht! Wäre ich jünger und kräftiger, ich würde gewiß mich selber anschließen und der heiligen Sache mit meinem Arme dienen. Ich müßte nicht der Freund und Bewunderer des hellenischen Alterthums sein, wenn ich Ihren Eifer tadeln sollte. An den freien Griechen scheiterte der asiatische Despotismus eines Xerxes, an dem deutschen Volke wird der neue Weltdespot zu Grunde gehen, wenn mich meine Ahnungen nicht trügen. Aber wir müssen mit Vorsicht auftreten und nicht durch Uebereilung das große Werk in Gefahr bringen. Selbst hier in Wien sind wir vor französischen Spionen nicht sicher und deshalb hielt ich es für meine Pflicht, Ihnen jeden vorschnellen Schritt zu widerrathen. In einigen Wochen wird die Entscheidung nicht ausbleiben und dann werde ich Ihnen selbst die Hand zu Ihrem Vorhaben bieten, ihren Vater bestimmen, daß er seine Einwilligung Ihnen nicht versagt, und Ihr ungehindertes Fortkommen nach Preußen vermitteln. Bis dahin müssen Sie mir Ihr Versprechen geben, nichts zu unternehmen. Vor allen Dingen aber verlange ich das tiefste Stillschweigen und die Bewahrung unseres Geheimnisses.“

„Ihre Excellenz können sich auf mein Wort verlassen. Ich verlange nur, daß ich sogleich von Ihnen in Kenntniß gesetzt werde, wenn der Krieg von Seite Preußens an Napoleon erklärt wird, damit ich keinen Augenblick verliere, um in die Reihen seines Heeres zu treten.“

„Dafür will ich Sorge tragen und es soll Ihnen nicht an den nöthigen Empfehlungen fehlen, die Ihnen eine freundliche Aufnahme sichern werden.“

In freudig bewegter Stimmung verließ Theodor den Gesandten, der ihm mit freundlichen Blicken nachschaute.

„Wo ein solcher Geist,“ sagte dieser ergriffen, in der Jugend lebt, da ist das Vaterland noch nicht verloren.“




III.

Seit jenem Tage stand Theodor’s Entschluß fest, seine bisherigen Verhältnisse aufzugeben und an dem großen sich vorbereitenden Kampfe Theil zu nehmen. Mit jugendlicher Ungeduld erwartete er den Augenblick, auf den all’ sein Sinnen und Trachten gerichtet war. Seine Unruhe war der Geliebten nicht entgangen, und umsonst bemühte er sich, die Ursache dieser Umwandlung vor ihr zu verbergen. Ein liebendes Frauenherz sieht mit scharfen Augen und prophetischen Blicken. Toni ahnte die nahe bevorstehende Trennung, aber sie vermied es, darüber mit ihm zu reden. Es drückte ihn, vor ihr ein Geheimniß zu haben, er war jedoch durch sein an Humboldt gegebenes Wort gebunden; auch fehlte ihm der Muth, das entscheidende Wort zu sprechen. Er fürchtete, sie zu betrüben, obgleich er ihr die Kraft zutraute, das Unabänderliche mit Würde zu ertragen. Indem er aber an die nahe bevorstehende Abschiedsstunde dachte, verdoppelte er seine Zärtlichkeit für sie. Nie war er aufmerksamer und hingebender gewesen, als in der letzten Zeit, doch sie ließ sich darum nicht täuschen und war auf Alles vorbereitet. Zuweilen litt sie an Anwandlungen einer verzeihlichen Eifersucht, doch diese Gespenster einer selbstquälerischen Phantasie verschwanden wieder, wenn sie in sein treues Auge blickte und seine vom Herzen kommende Sprache hörte. Der edle Jüngling konnte sie nicht betrügen und wenn er sie verlassen wollte, so mußte ihn ein edlerer Grund als gemeine Treulosigkeit bestimmen.

Endlich erhielt er von Humboldt die gewünschte Nachricht. Preußen hatte an Napoleon den Krieg erklärt, der König war nach Breslau gegangen und hatte von dort den berühmten Aufruf an sein Volk erlassen. Theodor las mit Begeisterung jene fürstlichen Worte, welche darauf berechnet waren, den Geist der Nation in seinen Tiefen aufzuregen, die Herzen zu entflammen und jeden Deutschen an seine Pflicht zu mahnen. Thränen stürzten aus seinen Augen, als er geendet hatte, Thränen der Rührung und der Bewunderung. Alle Bedenken schwanden in seiner Seele vor dem großen, welterschütternden Ereignisse. Der Augenblick war gekommen, den er so sehnlichst herheigewünscht, der ihn mit Entzücken und Schauder zu gleicher Zeit erfaßte. Unter der Gewalt dieses ersten Eindruckes stürzte er zu Toni, der er athemlos das Blatt, worin der Aufruf stand, entgegenhielt.

„Lies!“ sagte er mit bebender Stimme. „Lies, was ich so eben von Humboldt erhalten habe.“

„Ich hab’ es längst geahnt,“ entgegnete sie, nachdem sie gelesen hatte. „Du willst mich verlassen, um an dem heiligen Kampfe Theil zu nehmen.“

„Und Du zürnst mir nicht?“

„Darf ich denn, selbst wenn ich so schwach wäre? Ich werde Dich nicht zurückhalten, wenn Dich das Vaterland ruft. Ich wußte ja, daß ich Dein Herz mit ihm theilte, daß Du mir nur zur Hälfte angehören konntest. Du mußt Deine Pflicht thun, ohne auf das Blümchen zu achten, das Dein Fuß jetzt rücksichtslos zertritt.“

„Toni, Du thust mir weh!“

„Bei Gott, das wollte ich nicht! Ich bin nur ein armes Mädchen, das seinem Schmerze nicht zu gebieten vermag. Ich habe zu schön geträumt, um nicht über ein solches Erwachen laut zu klagen. Nenne mich schwach, egoistisch, meine Liebe hat mich einzig und allein zu einer solchen Egoistin gemacht. Ich kann mich noch nicht in die mir zugemuthete Heldenrolle finden. Jetzt fühle ich es klar, daß ich Deine „Helene“ besser spiele, als in der Wirklichkeit bin.“

„Dein Juranitsch wird aus dem Kampfe siegreich zurückkehren und Dir tausendfach den Kummer vergüten, den er Dir bereiten muß.“

Unter Thränen lächelnd reichte Toni dem Dichter ihre Hand, indem sie seinem gütlichen Zureden Gehör schenkte. Sie war, wie sie sich richtig selbst bezeichnete, keine heroische Natur, aber sie besaß dafür jene echte Weiblichkeit, welche vor keinem Opfer zurückschrickt, sobald sie sich von der Nothwendigkeit eines solchen überzeugt hält. Die Liebe machte sie stärker, als sie war; um den

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