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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)


zu pflegen und noch mehr Erdbeeren für ihn zu suchen. Ermattet schlief er wieder ein, von holden Träumen umgaukelt. Im Schlummer nahte ihm die holde Braut, und drückte einen leisen Kuß auf seine bleichen Lippen; noch ein anderes erhabenes Frauenebild stand an ihrer Seite, mit edlen Zügen und von göttergleicher Gestalt. War es die Muse, die ihn selbst im runden Kriegsgetümmel nicht verließ, oder die Freiheit, für die er sein Blut gegeben? Sie beugte sich zu ihm nieder und kränzte seine Heldenstirn mit ewigem Lorbeer. Als er erwachte, fühlte er sich wundersam gestärkt, trotzdem konnte er sich nicht von dem Gedanken frei machen, daß er am Ende seiner Tage stehe. Was ihn in diesem Augenblick bewegte, gestaltete sich zu einem Gedicht, das er mühsam mit Bleistift sogleich niederschrieb:

Die Wunde brennt, die bleichen Lippen beben.
Ich fühl’s an meines Herzens mattem Schlage,
Hier steh’ ich an den Marken meiner Tage –
Gott, wie du willst, dir hab’ ich mich ergeben.
Viel goldne Bilder sah ich um mich schweben,
Das schöne Traumbild wird zur Todtenklage –
Muth, Muth! Was ich so treu im Herzen trage,
Das muß ja doch dort ewig mit mir leben!
Und was ich hier als Heiligthum erkannte,
Wofür ich rasch und jugendlich entbrannte,
Ob ich’s nun Freiheit, ob ich’s Liebe nannte:
Als lichten Seraph seh’ ich’s vor mir stehen; –
Und wie die Sinne langsam mir vergehen,
Trägt mich ein Hauch zu morgenrothen Höhen.

Unterdeß war der ausgeschickte Knabe mit seinem Vater zurückgekehrt. Der gutmüthige Bauer nahm den Verwundeten einstweilen in seine Hütte auf, bis der Freund aus Leipzig anlangte, an den Körner jene Zeilen geschrieben hatte. Doctor Wendler hieß der edle Mann und Menschenfreund, der die Gefahr nicht scheute, womit Jeder von den französischen Machthabern bedroht wurde, der Einen von der Lützow’schen Freischaar bei sich aufzunehmen wagte. Unter dem Schutze der Nacht gelang es ihm, auf Schleichwegen durch das Hinterpförtchen seines Gartens den Dichter nach Leipzig und in seine Wohnung zu bringen, wo er ihn verborgen hielt und durch seine sorgfältige Pflege so weit wieder herstellte, daß er das Bett verlassen konnte. Seine nächste Sorge war, Erkundigungen über das Schicksal seiner Freunde einzuziehen: mit Freude vernahm er, daß sich Lützow mit Hülfe seiner Getreuen gerettet hatte, aber mancher brave Reiter hatte mit seinem Leben zahlen müssen. Weit mehr noch betrübte ihn das Schicksal der Gefangenen, die auf Napoleons ausdrücklichen Befehl wie Straßenräuber die schmählichste Behandlung erlitten und meist in den Kerkern Frankreichs mit Ketten beladen schmachteten. Theodor brannte vor Begierde, seine Cameraden zu rächen, und sich so schnell als möglich wieder dem preußischen Heere anzuschließen und an dem nahe bevorstehenden Kampfe Theil zu nehmen. Nachdem er seine Eltern und Toni unter einem angenommenen Namen, um die Wachsamkeit der französischen Spione zu täuschen, über sein Schicksal beruhigt hatte, war er nur mit dem Gedanken beschäftigt, unbemerkt Leipzig zu verlassen. –

Es war dies keineswegs so leicht zu bewerkstelligen, und für ihn und seinen Gastfreund mit mannichfacher Gefahr verbunden. So geheim auch sein Aufenthalt geblieben war, so fehlte es doch nicht an Aufpassern und Spionen, zu welchem schändlichen Amte sich selbst Deutsche und Männer von hohem Range hergaben. Ein sächsischer General in Dresden hatte es nicht unter seiner Würde gehalten, ein vollständiges „Bureau d’espionage“ für Napoleon einzurichten, wodurch dieser von allen Vorgängen in seiner Nähe Kenntniß erhielt. Zu diesem Zwecke wurden Leute aus allen Ständen besoldet, Diener und Beamte bestochen, und selbst das Briefgeheimniß nicht geschont. Die verborgensten Familienverhältnisse, die Gespräche vertrauter Freunde, hingeworfene Aeußerungen blieben dem wachsamen Auge der französischen Polizei nicht verborgen; vor der gemeinen Angeberei gab es keinen Schutz.

Es war daher kein Wunder, daß auch Körner’s Aufenthalt in dem Hause des Doctor Wendler Verdacht erregte, zumal es ihm nicht an einem erbitterten Feinde fehlte, der ihn zu verderben suchte. Baron Färber befand sich in Leipzig und in der Nähe des Herzogs von Padua; er gehörte zu jener geheimen Sicherheitsbehörde, war die rechte Hand des sächsischen Generals und wurde vielfach zu ähnlichen Missionen benutzt, zu denen sich kein anderer Officier und Mann von Ehre brauchen ließ. Auch nach Wien war er gesendet worden, um die dortige Stimmung zu beobachten und darüber Bericht zu erstatten, da Napoleon Grund zu haben glaubte, der österreichischen Regierung nicht zu trauen. Bei dieser Gelegenheit hatte er Toni im Theater gesehen und jene Leidenschaft für die reizende Schauspielerin gefaßt, welche zu der unangenehmen Berührung mit dem jungen Dichter führte. Seitdem haßte er Körner mit seiner ganzen heimtückischen Bosheit und hatte keinen andern Wunsch, als ihn zu verderben. Er leitete den Ueberfall der Lützow’schen Freischaar, wozu er dem Marschall den Gedanken eingegeben, um seine Privatrache zu befriedigen.

Von seinen ihm untergebenen Spionen, denen er besondere Achtsamkeit auf seinen Gegner eingeschärft hatte, wurde er hinlänglich unterrichtet, um Verdacht zu schöpfen, um so mehr, da er wußte, daß der Doctor Wendler zu den intimsten Freunden der Körner’schen Familie gehörte.

Ohne Ahnung der drohenden Gefahr saß der Arzt in seinem Studirzimmer, als die Frau eines sächsischen Gensd’armen, deren Kind er erst vor Kurzem vom Tode gerettet hatte, ihn dringend zu sprechen wünschte.

„Mein Mann,“ sagte das gute Weib, „hat so eben den Auftrag erhalten, heute Abend Sie zu überfallen und Haussuchung zu halten. Ich bin deshalb vorangeeilt, um Sie in Kenntniß zu setzen, damit Sie keine Ungelegenheiten haben, denn die Franzosen verstehen keinen Spaß.“

Der Doctor dankte ihr und wollte ihr für ihre Nachricht einige Geldstücke aufnöthigen, die sie hartnäckig ausschlug, so sehr er auch in sie drang.

„Ich bin Ihnen noch so großen Dank schuldig,“ entgegnete sie, daß diese kleine Gefälligkeit gar nicht in Betracht kommt. Auch freue ich mich jedesmal, wenn ich den Fremden einen Possen spielen kann. Mein Mann denkt wie ich, aber er muß doch thun, was seines Amtes ist; denn wessen Brod ich esse, dessen Lied ich singe.“

Sobald die Frau gegangen war, dachte der edle Arzt an die Rettung Theodor’s. Obgleich seine Wunden noch nicht geheilt waren, blieb ihm kein anderer Ausweg, als die Flucht zu ergreifen. Mit Hülfe des Doctors legte er die Verkleidung eines Bedienten an, und verließ das Haus sicher und unerkannt von den ihm auflauernden Spionen.

Am Thore erwartete ihn ein Wagen, worin eine Patientin des Doctors saß, die ihrer Krankheit wegen nach Karlsbad reisen sollte. Sie war in das Geheimniß eingeweiht, und führte einen Paß, der auf ihre eigene Person und auf ihren Bedienten lautete.

Als die angedrohte Haussuchung stattfand, war Körner bereits in Sicherheit und den Verfolgern entgangen. –




VI.

Ohne jedes fernere Abenteuer langte Körner wohlbehalten in Karlsbad an, wo ungeachtet der kriegerischen Zeiten eine zahlreiche und elegante Gesellschaft sich eingefunden hatte. Bald fand auch er darunter Bekannte und Freunde, die ihn anzogen, und von denen ihm Schutz und Pflege zu Theil wurde.

Eines Tages saß er auf der Bank des Sprudelhauses, um den Arzt wegen des Wiederaufbruches seiner Wunden zu befragen. Das vulcanische Naturwunder des merkwürdigen Badeortes nahm seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch, und er vermochte nicht, seine Augen von dem interessanten Schauspiele abzuwenden. Aus der unterirdischen Werkstätte der Natur, aus den geheimnißvollen Tiefen der Erde brach der kommende Wasserstrom, mit Dampf vermischt, wie ein ungestümer Geist hervor. Körner wurde nicht müde, diesem Steigen und Fallen der brausenden Fluth zuzusehen, die gleich einem Zaubertrank, von Feenhand bereitet, Genesung und Gesundheit allen Hülfsbedürftigen spendete. Er fühlte eine gewisse Verwandtschaft mit jener dämonischen Gewalt, die mit jugendlicher Kraft aus der Felsenrinde drang, und jeden Widerstand besiegte.

Einige Damen in Begleitung eines älteren Herrn näherten sich jetzt dem Sprudel, um von den aufwartenden Brunnenmädchen sich die leeren Becher füllen zu lassen. Die Züge und der Ton ihrer Stimmen kamen ihm bekannt vor; er blickte auf und ein leiser Schrei der Ueberraschung entschlüpfte seinen Lippen. So leise dies geschah, so erregte er doch dadurch die Aufmerksamkeit der Anwesenden, die sich unwillkürlich nach ihm umwendeten.

(Schluß folgt.)




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