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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Golde erkauften, erst etwas backen müssen, wenn sie etwas gegen den Hunger in den Magen pfropfen wollen. Dasselbe gilt Mittags und Abends nach harter, schmutziger, gefährlicher, erschöpfender Arbeit.

Welch’ eine Arbeit! Welch’ ein Leben! Das Terrain ist eine verwilderte Wildniß, Urwald, Urwüste, Gestrüpp, Gestein, verworrene Hügel- und Thalgebilde, der Fluß mit gefährlichen Stromschnellen und Wasserfällen. Der goldgierige Kerl dringt einsam oder mit unzuverlässigen Gesellen hinein in die Wildniß. Erst findet er schon überall den Boden grimmig und planlos durchwühlt mit Hacken und Spitz-Aexten, voller Löcher und Pfützen; umgehauene Bäume und Haufen sperren seinen Weg, besonders wenn er mit Wagen oder Karre belastet sein sollte. Weiterhin ein wild zerstreutes Heer von schmutzigen Kerlen, aus allen Nationen und Racen zasammengerafft, gelbe, rothe, weiße, schwarze, braune Kerle in allerhand Costümen und Zerlumpungen, mit Wasserstiefeln und barfuß, mit Hüten und Mützen von allen erdenklichen Formen und Farben, Halstüchern von allen möglichen Stoffen und Verrenkungen. Sie haben sich planlos über Thäler und Berge verstreut, hackend, grabend, siedend, kochend, singend in englischer, französischer, deutscher, indianischer, vandiemensländer, chinesischer und russischer Sprache, aber auch ächzend, betend, fluchend, sterbend in allen möglichen Sprachen. Unten ragen auf schweineartig aufgewühltem Boden Zelte empor. Vor denselben hocken und kauern Kranke neben dem Feuer am feuchten Boden und wärmen sich oder suchen sich Medicin zu brauen. Der Neuangekommene krüppelt sich von Einem zum Andern. Die zehn Ersten verstehen ihn gar nicht und brummen etwas in unbekannter Zunge. Endlich versteht ihn Einer und gibt ihm eine rohe, abstoßende Antwort. Hier ist nichts. Also weiter, weiter in’s Innere, den Fluß hinauf. Aber, die Nacht kommt heran und die erschöpften Wanderer müssen sich von wollenen Decken, Leinwand und Pfählen einen Gasthof zurecht machen. Aber ohne Klingel und Kellner. So viel sie auch Geld haben mögen, es gilt, selber Feuer zu machen, selber zu kochen und zu braten, um dann auf nacktem Boden zu schlafen, nein, zu wachen, ob nicht die Wildniß ihre Schrecken auf sie abschieße, z. B. herangeschlichene Indianer, die dann mit einem Tigersprunge und einem pfeifenden Geheul auf die erstarrten Eindringlinge losstürzen, sie todtstechen und ihnen die Kopfhaut absäbeln.

Es fehlt natürlich unter solchen abenteuertichen Verhältnissen an allen Bequemlichkeiten, so selbst an den unentbehrlichsten Nothwendigkeiten des Lebens, die sich wohl zuweilen in großer Menge einstellen, dann aber wieder ganz ausbleiben; da sich erst mit der Zeit geregeltere Befriedigungen zwischen Angebot und Nachfrage, Marktplätze, Marktpreis und etwas Ordentliches dafür bilden.

Auch fehlt es an Gesetzen. Niemand weiß bis jetzt, wem das neue Goldland eigentlich gehören mag. Der englische Senator Douglas in Victoria ist selbst in den Goldgefilden gewesen, um da Gesetz und Ordnung zu proclamiren, d. h. jedem Goldfischer monatlich eine Abgabe von fünf Dollars abzufordern; aber die Hudsons-Bai-Compagnie (ein anderer Staatskrebs Englands und noch schlimmer, als die ostindische Compagnie) will die Leute auch besteuern, da sie behauptet, auch dies Terrain gehöre ihr. Eine dritte Partei beweist, daß das Gold-Paradies Niemandem gehöre, als der englischen Krone, und nur von dieser Gesetze gegeben und dafür Steuern eingetrieben werden könnten. Es herrscht also reale Anarchie in dem neuen Eldorado. Doch geht aus Privat-Briefen und Details hervor, daß sich die wilden Männer aller Nationen und Farben im Durchschritt ganz erträglich selbst regieren und jedes räudige Schaf oder jeden sich geltend machen wollenden Bösewicht durch eine Art Volks-Justiz und Volks-Polizei immer bald ducken oder beseitigen. Diese Selbstregierung, für so schwer und verbrecherisch man sie auch in geordneten Staaten halten mag, ist gleichwohl sehr leicht und natürlich. Wo sich die Leute Alles selbst besorgen müssen, Schlafstellen, Frühstück, Mittag- und Abendessen, Wäsche, Licht, Holz etc., findet sich auch wohl das Talent, sich Gesetze zu machen und sie anzuwenden. Jedenfalls scheint es, daß sie’s an Ort und Stelle besser verstehen, als andere Herren Tausende von Meilen weiter ab.

Die wahre Anarchie macht sich wohl erst geltend, wenn die drei verschiedenen Obrigkeiten in Streit gerathen sollten, wer eigentlich den Goldmännern Gesetze geben und dafür Steuern eintreiben solle. –

Das ist ein erster Blick auf eine sonderbare neue Welt. Man wird mehr davon hören, höchst wahrscheinlich vorläufig nicht viel Gutes. Cultur und Menschlichkeit werden dort erst eine Stätte finden, wenn an die Stelle der Goldhacke der noble Pflug, die säende Hand, das freundliche, unterichtende Wort der Bildung, das lächelnd erziehende Auge der Mutter, das Bruder-Rohheiten beschämende, jungfräuliche Walten edler Schwestern, das Familien-, das Wissenschafts-, das schöne Leben gesunder Production und gebildeter Consumtion – woran es bis jetzt in ganz Amerika so sehr fehlt, daß fast alle wirklich gebildeten Menschen dort umkommen, wenn sie sich nicht zeitig genug wieder in unsere alte Welt retten – ihre Rechte und Werkstätten gefunden haben werden.




Ein Ball bei Lady Stratford de Redcliffe.
Skizzirt von W. v. T.

Die dunklen Straßen Pera’s waren am Abend des 31. Januar 1856 sehr belebt, namentlich die, welche vom britischen Gesandtschaftshotel in östlicher Richzung laufen; denn die Bevölkerung der Stadt wußte, daß Seine Hoheit der Sultan Abdul Medschid heute den Ball, welchen Lady Stratford de Redcliffe geben würde, mit seiner Gegenwart beehren wollte. Wer nur irgend jung und hübsch und vornehm, oder in Folge seiner Stellung auf diese Ehre Anspruch machen konnte, war eingeladen, die Damen waren gebeten, in Costüme zu erscheinen, um dem Feste noch mehr Glanz zu verleihen, und sie boten Alles auf, um recht brillant zu erscheinen; konnte doch nun jede die Tracht wählen, welche sie für sich am passendsten, am vortheilhaftesten hielt. Es war der erste christliche Ball, wenn wir uns dieses Ausdruckes bedienen dürfen, den je ein Sultan besuchte; sollten sie es ihm nicht beweisen, daß es noch etwas Reizenderes gäbe, als die trägen Schönheiten im Harem? sollten sie ihm nicht zu beweisen versuchen, daß Bewegung, Leben und Grazie Vorzüge sind, die er dort selten oder nie in der Vollendung wie hier sehen würde?

Das Gesandtschaftshotel selbst bot einen herrlichen Anblick dar, alle Fenster waren illuminirt, und wenn man über den Hof, welcher dasselbe von den umliegenden Gebäuden trennt, geschritten war, und in das Portal des ersteren trat, so ward das Auge durch die prächtigen Blumendecorationen, welche dieses selbst und die Treppen, welche mit den weichsten Teppichen belegt waren, schmückten, gefesselt und entzückt. Kerzen strahlten und erhellten den Raum mit ihrem Lichte bis zum Uebermaße, zwischen den Blumen selbst standen englische Uhlanen mit ihren geschmackvollen Uniformen, die Lanze mit dem weiß und rothen Fähnchen in der Hand, ruhig und regungslos, als seien sie aus Stein gehauen, nur am Blitzen der Augen sah man, daß sie belebt waren, diese gebrannten, bärtigen, man darf wohl sagen schönen Männer, die man aus dem ganzen Regimente ausgewählt hatte. Auf dem großen Corridore, welcher von der Treppe nach den Sälen führte, stand das über 80 Mann starke Musikchor der britisch-deutschen Legion, um den Sultan bei seinem Erscheinen mit den Klängen des „God save the queen“ zu begrüßen; wenn nach unsern Begriffen diese Musik im Verhältniß zum Raume jedenfalls sehr geräuschvoll sein mußte, so war dies durchaus nicht die Ansicht der Türken, die gerade, je lauter sie ist, sie um so vorzüglicher finden, und wir glauben, daß dieses starke Chor einer türkischen Regimentsbande im Spectakelmachen allerdings nicht gleich kommen konnte.

Die Zimmer, welche vom Corridor nach dem Ballsaale führten, waren alle reich geschmückt; in letzterem selbst befand sich der Thron, auf welchem der Sultan Platz nehmen sollte. – Welche bunte Menge wogte in diesen Gemächern umher, welcher Aufwand an Brillanten und Edelsteinen, Federn, Sammet und Seide war hier zu sehen! Die Damen hatten sich wirklich so geschmückt, wie sie es nur bei den seltensten, feierlichsten Gelegenheiten zu thun pflegen. Keine derselben trug ein Hofkleid mit Schleppe, alle waren in Ballcostümen, aber man möchte sagen, aus verschiedenen Jahrhunderten. Da ging eine französische Marquise in dem Anzuge, wie ihn vielleicht ihre Urgroßmutter bei dem Balle in Trianon oder Fontainebleau getragen hatte, hier eine Griechin in ihrer so höchst eleganten Nationaltracht, daneben sah man wieder eine Engländern in dem

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