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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Erinnerungen aus Afrika.

Aus dem Tagebuche eines Touristen.
(Schluß.)
Der erste Anblick der Wüste. – Tag und Nacht zugleich. – Arabische Küche. – Die Geschichte des Kalifats. – Eine Wildschwein- und Gazellenjagd mit Geierfalken. – Das Opernglas. – Ein Wahnsinniger. – Gerichtssitzung in der Wüste. – Eine Löwenjagd.

In dem Gebäude fand Jeder von uns ein Zimmer, das mit einem Ueberfluß von geflochtenen Matten, Thierfellen, großen, weichen, aus Kameelhaaren gefertigten Teppichen und kleinen runden, mit Kupfer unterlegten Spiegeln versehen war. Unser Wirth hatte die Aufmerksamkeit so weit getrieben, uns ein maurisches Bad bereiten zu lassen, das wir mit um so größerer Lust genossen, als wir seit acht Tagen der Hitze, dem Staub, sowie den Angriffen der Muskitos und der Myriaden der schon erwähnten stechenden Insecten ausgesetzt gewesen waren, und Dank den Bemühungen der Benizizabs, welche damit beauftragt waren, uns zu frottiren und zu kneten, fühlten wir uns bald eben so frisch, wie wir vor etwa zwei Stunden erschöpft und ermüdet gewesen waren. Wir empfanden ein unbeschreibliches Behagen, das sich über den ganzen Körper verbreitete, und nachdem wir einen Tschibuk geraucht und uns in gekühlter Orangenlimonade gütlich gethan hatten, wickelten wir uns in unsere Burnusse, streckten uns auf die mit weichen Teppichen belegten Marmorplatten, und waren bald in tiefen erquickenden Schlaf versunken.

Als wir nach vier Stunden erwachten, gingen wir sogleich in’s Freie, denn wir waren förmlich durstig nach Luft und Licht.

Die Aussicht, welche sich uns bot, sollte unser Entzücken und unsere Bewunderung von heute Morgen noch steigern. Man glaubt gewöhnlich, daß sich der Anblick der Wüste immer und überall gleich bleibe, aber dies ist ein Irrthum. Die Veränderungen der Luft und der Wechsel der Beleuchtung, welche fast zu jeder Stunde des Tages stattfinden, wirken auf die Formen und Farben der endlosen Ebene und verändern die Ansicht der Landschaft unaufhörlich. Als wir aus dem Hause traten, war die Sonne eben im Untergehen. Nicht das kleinste Wölkchen war am Himmel zu sehen, nicht das leiseste Geräusch berührte das Ohr; nur ein leichter weißer Nebel stieg hier und da in spiralförmigen Windungen in die stille Luft. Die purpurrothe Scheibe der untergehenden Sonne erschien in ungeheurer Größe und ihre matten Strahlen brachten eine so kalte, todte Beleuchtung hervor, wie bei uns zuweilen die bleiche Decembersonne. Dabei schien es, als wäre die gluthrothe Scheibe mit großen Augen übersäet, die uns unverwandt anstarrten – ich kann nicht beschreiben, welchen eigenthümlichen Eindruck diese merkwürdige Erscheinung auf uns hervorbrachte. Und je tiefer das Gestirn des Tages in sein sandiges Bett hinabsank, je riesenhafter wuchsen die Schatten. Gräser und Halme erschienen in ihren Schattenbildern wie ungeheure Bäume, und die dunklen Umrisse der Palmen streckten sich weit über die Wüste hin, und schossen selbst an den Wänden des weit entfernten Gebirges empor.

Plötzlich wandten wir den Blick von der scheidenden Sonne nach Osten und sahen zu unserer nicht geringen Ueberraschung, daß an der anderen Seite des Berges bereits die Nacht hereingebrochen war und Mond und Sterne ihr mildes Licht über die Gegend ausgossen, während nach Westen hin die Landschaft noch im Sonnenlicht glänzte. Der Pinsel des größten Meisters, die beredteste Feder vermöchte den unbeschreiblichen Reiz dieses Doppelschauspiels nicht wiederzugeben und die Scene nicht zu beschreiben, deren Stille nur durch die klare, kindliche Stimme des Muezzin unterbrochen wurde, der von der Höhe des Minarets die Gläubigen zum Gebet rief.

Einen Augenblick kniete jeder Muselmann nieder, beugte die Stirn in den Staub und rief den Propheten an, dann führten uns unsere Gastfreunde in das Palais zurück, wo uns die „Diffa,“ d. h. die Ehrenmahlzeit, die der Araber seinem Gaste gibt, erwartete.

Die Tafel war gedeckt. Der Kuskussu (ein aus Weizengrütze bereiteter Brei) dampfte in großen Schüsseln. Ein ganzes am Spieß gebratenes Schaf, sowie die ebenfalls gebratene hintere Hälfte einer Gazelle und einige Flaschen Portwein standen vor uns. Der brave Ben-Jellul, der sehr streng gegen sich selbst war, und in seiner doppelten Eigenschaft als Marabout und Kalifat nichts trank als Wasser, glaubte seinen Gott nicht zu beleidigen, wenn er den Bekennern einer andern Religion einen Theil des Tributs vorsetzte, den die Thuaregs (Räuber) der Wüste von irgend einem jüdischen Handelsmanne erhoben hatten. Wir unsererseits tranken den vortrefflichen Wein, trotz seines zweifelhaften Erwerbs, mit philosophischer Ruhe und ohne alle Gewissensbisse.

Die arabische Küche ist außerordentlich einfach. Saucen sind völlig unbekannt. Das gebratene Schaf war mit Datteln, Oliven, Pistazien und spanischem Pfeffer gefüllt, und lag in seiner eigenen Brühe. Die Gazellenkeulen lagen, von Gurken- und Citronenscheiben umgeben, in Palmenessig, der mit Thymian und Salbei gewürzt war.

Der Kalifat besaß zufällig ein Dutzend Teller von englischem Steingut, hatte diese vor uns hinstellen lassen und servirte uns ohne Umstände mit der Hand ansehnliche Portionen von den vorhandenen Gerichten. Wir waren, was arabische Reinlichkeit betraf, bereits vollkommen abgestumpft, außerdem war hier nicht der Ort zu Weitläufigkeiten, denn unsre Magen schrieen laut, und so gingen wir ohne weitere Ueberlegung an’s Werk. Unsere Becher wurden oft gefüllt und geleert, denn die arabischen Gewürze lassen die Pfeffersaucen der französischen Küche weit hinter sich. Die Gazelle und das Schaf waren bald verzehrt und, ich muß es dem Koch unsers Wirthes zur Ehre nachsagen, sie waren ausgezeichnet. Besonders das Schaf war deliciös, und wir haben später noch oft Veranlassung gehabt, mit sehnsüchtigem Verlangen an dies eigenthümliche Gericht zurückzudenken.

Dank der Redseligkeit einiger Gäste, deren Rang nicht die strenge Zurückhaltung und Würde erheischte, zu welcher der Kalifat verurtheilt war, ging das Diner sehr heiter vorüber. Der Kaffee wurde im innern Hofe unter dem Sternenzelte des Himmels servirt, und halb in den Kissen liegend, schmauchten wir eine Cigarre, und verfolgten mit den Augen die eigenthümlichen Figuren der Rauchwölkchen, die vor uns in die Luft stiegen, während drei arme Teufel, Naturkünstler der Gegend, auf Violinen mit zwei Saiten und einer entsetzlichen Guitarre in monotonem Rhythmus kratzten und klimperten.

Ben-Jellul rauchte nicht. Hochgestellte Araber und besonders die, welche zu den Marabouts gehören, erlauben sich niemals diesen vom Koran verbotenen Genuß. Trotzdem wir Europäer gewohnt sind, uns den Muselmann fast nie ohne Pfeife vorzustellen, ist es Thatsache, daß nur die Schismatiker unter den Muhammedanern in dieser Beziehung den Gesetzen des Propheten trotzen. Das Volk, das hier wie überall der Sclave seiner Neigungen ist, raucht ohne Bedenken und ohne Gewissensbisse.

Ich beobachtete den Kalifat, dessen Blicke verriethen, daß er zerstreut war und an Dinge dachte, die ihn sehr in Anspruch nahmen. Unsere Augen begegneten sich endlich – Ben-Jellul streckte mir die Hand entgegen, reichte mir ein grünsammetnes, goldgesticktes Täschchen und gab mir ein Zeichen, es zu öffnen. Ich gehorchte, und fand ein Pergament, auf welchem in den gothischen Schriftzügen des Mittelalters die lateinischen Worte: „Qui credit in me, in aeternum vivet“[1] zu lesen waren. Das viereckige Stück Pergament war allem Anscheine nach aus einem reich verzierten Meßbuche geschnitten – aber durch welchen sonderbaren Zufall kam es in die Hände des Kalifat? Ben-Jellul bemerkte meine fragenden Blicke und ehe ich noch Zeit hatte, ein Wort zu sagen, erbot er sich, uns die Geschichte zu erzählen. Ich rief Ali, um mir Wort für Wort übersetzen zu lassen, und der Fürst begann:

„Ich stamme, wie Ben-Salem, von der Familie des Propheten. Meine Vorfahren sind in Euer Land gekommen (dabei richtete er sich stolzer auf), wie Ihr jetzt zu uns kommt, und eins der Häupter meiner Familie ist dem ruhmgekrönten Abd-er-Rahman über das Meer hinüber gefolgt. Ali-Ben-Jellul-Ben-Omar war zugleich Agha (Befehlshaber der Reiterei) des Sultans und Kalifat des eroberten Landes. Sein Muth, seine Frömmigkeit und Weisheit hatten ihm den Beinamen Bou Allah (Mann Gottes) erworben und trotz seiner Jugend stand er in hohem Ansehen und der Prophet würdigte ihn zuweilen im Traume seiner Erscheinung.

Eines Tages nun, als Ben-Omar spazieren ging, sah er ein


  1. Wer an mich glaubt, der wird leben in Ewigkeit.
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