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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

welche die Civilisation des neunzehnten Jahrhunderts ihren etwas verwöhnten Kindern zu bieten pflegt. Am Bord der „Borussia“ und „Hammonia“ gab es eine ausgesuchte Küche, musterhafte Bedienung, die zuvorkommendste Behandlung Seitens der Officiere und Mannschaft. Trat unfreundliches Wetter ein, so bot der salonartige Raum der ersten Cajüte den schönsten Platz für gemeinschaftliche Conversation. Man konnte sich auch durch Musik erheitern, denn es gab ein wohlgestimmtes Pianoforte an Bord, und wer Lust hatte, seinen eigenen Gedanken nachzuhängen, der fand Gelegenheit dazu, wenn er sie sonst begehrte. Eine ausgewählte Bibliothek bot die erwünschte Speise für Geist und Herz.

So kam es, daß nur selten eins dieser Schiffe mit einer geringen Anzahl Passagiere seine Reise antrat. Meistentheils waren alle Plätze vollständig besetzt, namentlich im Zwischendeck; denn es konnte nicht fehlen, daß die vortreffliche Einrichtung der Schiffe, die zahlreiche Mannschaft und die Vorkehrungen, welche zur Gesundheit getroffen worden waren, endlich die Schnelligkeit ihrer Fortbewegung bei jedem Wetter auch die Aufmerksamkeit der massenhaft zuströmenden Auswanderer fesseln mußte. Die neuen Schraubendampfer wurden somit die gesuchtesten Fahrzeuge für alle Auswanderer, welche die Kosten der Ueberfahrt bestreiten konnten.

Das Unternehmen rentirte. Man mußte auf Erweiterung desselben Bedacht nehmen, und so schritt denn die Gesellschaft zur Erbauung zweier neuer, gleich großer und wo möglich noch zweckmäßiger construirter Schraubendampfschiffe. Man taufte diese neuen Fahrzeuge „Saxonia“ und „Austria.“ Jene führte unter dem Bugspriet die Saxonia, mit dem sächsischen Wappenschild zur Seite, diese den doppelköpfigen deutschen Reichsadler. Alle vier Schiffe waren in Greenock auf den Werften von Caird u. Comp. gebaut, und die beiden letzteren hatten 2500 englische Tons Gehalt, führten Maschinen von nominell 400 Pferdekraft, nach dem Indicator 1500, und konnten 500 Personen bequem an Bord nehmen.

Die „Austria“, welche unsers Wissens von Hamburg aus zuletzt in regelmäßige Fahrt nach New-York gesetzt wurde, hatte über Deck eine Länge von 355 Fuß, am Kiel 330 Fuß, die Breite des Decks betrug 43, die Höhe 36, die Höhe des Zwischendecks endlich 81/2 Fuß. Zu letzterem führten vom obersten Deck drei Eingänge, der hinterste unfern des großen Mastes und zwar zwischen diesem und dem Schornsteine. Zu größerer Sicherheit bei etwaigen Unglücksfällen, um diese weniger gefährlich zu machen, war das Schiff in zehn wasserdichte Räume eingetheilt. Es war außerdem mit den nöthigen Pumpen versehen, von denen eine mittelst Dampf in Bewegung gesetzt werden konnte, und über Deck, an Back- und Steuerbordseite hängend, führte es acht große Boote. Drei derselben, welche von Eisen waren, konnten 60 erwachsene Personen ein jedes bequem fassen, zwei hölzerne und ein anderes eisernes Rettungboot faßten jedes 50 Personen, und zwei kleinere Jollen boten Raum für 30 bis 40 Mann. Die Mannschaft des Schiffes, incl. des Küchen- und Aufwärterpersonals, bestand aus hundert Köpfen. Dem Capitain standen zunächst vier Officiere (erster, zweiter, dritter und vierter Steuermann) zur Seite. Für Besorgung und Ueberwachung der Maschine sorgten vier Ingenieure. Zur Bedienung des Schiffes vereinigten ihre Kräfte zwei Bootsmänner, vier Quarterleute, zehn Voll- und vierzehn Leichtmatrosen, zu denen noch zwölf Schiffsjungen kamen. Zur Behandlung etwaiger Kranker und Verwundeter war ein Schiffsarzt und ein Schiffschirurgus angestellt. Außerdem gab es noch einen Proviantmeister nebst Gehülfen, zwei Zimmerleute, einen Segelmacher, zwei Assistenten für die Maschinisten, einen Kesselschmied und einen Material-Verwalter an Bord. Beim Heizen waren 20 Feuerleute, die sich ablösten, beschäftigt, 15 Personen fungirten als Stewards und 9 walteten und schalteten in der Küche. Die Verproviantirung der „Austria“ ließ wohl kaum etwas zu wünschen übrig; denn es gab in dem gewaltigen Schiffsrumpfe besondere Räume für Proviant, eine eigene Rauchfleischkammer, eine Eiskammer und ein Weinlager, die sämmtlich im Vordertheil des Schiffes, also in möglichst weiter Entfernung von den Dampfkesseln angebracht waren. Zu beiden Seiten der Dampfkessel lagerten die Steinkohlen. Ein Destillirapparat lieferte täglich 50 Oxhoft Trinkwasser. Nach menschlicher Berechnung war demnach nichts vergessen, was zur Sicherung von Mannschaft und Passagieren dienen konnte, wenn etwa schweres Unwetter die Fahrt verlängerte, das Schiff verschlagen würde und vielleicht halb oder ganz mastlos längere Zeit auf dem Ocean umhertreiben mußte. Auch die Möglichkeit einer Feuersgefahr hatte man in’s Auge gefaßt, und deshalb eine beträchtliche Anzahl Eimer (etwa vier Dutzend) angeschafft, die auf Deck mit Ketten befestigt waren, damit eine Sturzsee sie nicht über Bord spüle. Taue, Ketten, Anker, Reserveschraube, Alles war vorhanden.

Großbritannien war durch den indischen Aufstand eben in erschreckender Weise aus seiner sichern Ruhe aufgescheucht worden, als die „Austria“ vom Stapel lief. Die ostindische Compagnie brauchte sichere, seehaltige und schnellsegelnde Fahrzeuge, um möglichst rasch Truppen von den britischen Inseln nach Ostindien werfen zu können. Sie sah sich nach solchen um, und trat mit den Eigenthümern des genannten Schraubendampfschiffes in Unterhandlung. Bald darauf ward die „Austria“ von der ostindischen Compagnie gechartert, der Hamburgische Capitain Heydtmann übernahm das Commando, und das Schiff ging, mit Hülfstruppen für Indien besetzt, in See. Es leuchtete aber kein Glücksstern über dem prachtvollen Fahrzeuge, von furchtbaren Stürmen erfaßt, wodurch es starke Havarie erlitt, mußte es zweimal umkehren, was nur unter augenscheinlicher Gefahr geschehen konnte, wurde aber durch die geschickte Führung des Capitains, der in seemännischen Kreisen als ein unerschrockener, seinem Fache vollkommen gewachsener Mann bekannt war, glücklich wieder zurückgebracht. Dieses zweimalige Mißgeschick der „Austria“ machte, scheint es, die ostindische Compagnie bedenklich, der Contract ward rückgängig gemacht und Seitens der Compagnie an die Eigenthümer des Schiffes eine Abstandssumme bezahlt, die jedoch von den nothwendig gewordenen Reparaturen vollständig verschlungen wurde.

Nun erst schloß sich das Schiff unter Führung desselben Capitains seinen Schwestern als Post- und Packetschiff an, und begann seine regelmäßigen Fahrten. Diese verliefen immer rasch und glücklich. Die „Austria“ bewährte sich als ein ausgezeichnetes seehaltiges Fahrzeug und ward eben so von Passagieren gesucht, wie die übrigen drei ihr an Größe und Eleganz gleichen Schraubendampfer.

Am 1. September dieses Jahres trat das Schiff bei günstigem Wetter abermals seine Reise von Cuxhaven nach New-York an. Bei Stade nahm es die letzten Passagiere an Bord, die ihm ein kleinerer, der Gesellschaft zugehöriger Schleppdampfer von Hamburg zuführte. Diese Schraubendampfschiffe können nämlich ihres sehr bedeutenden Tiefganges wegen den Hamburger Hafen nicht mit voller Ladung erreichen oder verlassen, da weiter elbabwärts große Sande sehr tief gehenden Schiffen hinderlich sind. Aus diesem Grunde ankern die Ocean-Dampfer sowohl bei ihrer Ankunft von New-York, wie bei ihrem Abgange dahin vor Stade.

Die „Austria“ hatte volle Ladung, eine sehr starke Brief- und Packetpost und von Hamburg aus im Ganzen 420 Passagiere an Bord. Letztere vertheilten sich folgenderweise. Es kamen auf die erste Cajüte 49 Erwachsene, 16 Kinder und 3 Säuglinge, auf die zweite Cajüte 103 Erwachsene, 5 Kinder und 3 Säuglinge, auf das Zwischendeck endlich 211 Erwachsene, 27 Kinder und 3 Säuglinge. Die Zahl sämmtlicher Kinder betrug demnach mit den Säuglingen 57. Wie viele Frauen und Mädchen sich unter den Passagieren befanden, ist uns nicht genau bekannt, sie war aber sehr beträchtlich. Am 3. September erreichte das Schiff Southampton, wo es noch einige zwanzig Passagiere, auch unter diesen Frauen und Kinder, einnahm, und darauf am 4. September die Reise fortsetzte.

Es war Abends 5 Uhr, die Luft etwas neblig, und mithin nicht gut zu segeln. Der Vorsicht wegen ging der Capitain zwischen der Insel Wight und dem Festlande vor Anker, verblieb daselbst während der Nacht und ließ am 5. September früh 4 Uhr die Anker wieder lichten. Ein unglückliches Ungefähr, vielleicht auch eine Unvorsichtigkeit, ließ beim Aufwinden den Anker auslaufen, das Gangspill wirbelte in reißender Schnelligkeit rund herum, schleuderte die daran Arbeitenden nach allen Seiten hin und stürzte einen derselben über Bord, der auch um’s Leben kam. Zwei Andere sollen bei diesem Unfalle schwer verwundet worden sein.

Schiffer sind abergläubisch. Wenn ein Schiff gleich beim Verlassen des Hafens von einem Unfalle heimgesucht wird, gibt ein solcher gewöhnlich allerhand zu glossiren. Es mag dies Thorheit sein, allein die Thatsache steht fest. Ob Jemand von der Bemannung der „Austria“ diesem Seemannsglauben ergeben war, wir wissen es nicht, mehr als bloßes Gerücht scheint es aber zu sein, daß der Capitain des Dampfschiffes nicht gern die Führung des Schiffes behalten haben soll. Es wird wenigstens mit großer Bestimmtheit erzählt, derselbe habe schon seit geraumer Zeit ein anderes Schiff zu übernehmen gewünscht und geäußert, seine am 1. Sept. auf der „Austria“ angetretene Reise sei die letzte im Dienste der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 632. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_632.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)