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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

her mit ihm bekannt, richtete ein Freundeswort an ihn, um ihn für die vorliegende Stellung zu begeistern.

Auf diesen Brief hatte er an dem Sonntagmorgen, wo wir ihn tief versunken im Schreiben fanden, endlich ausführlich, jedoch abermals ablehnend, geantwortet und seine Gründe dafür mit aller nur möglichen Spitzfindigkeit zu motiviren gesucht. In der That hatte er aber keinen triftigen Grund weiter, als „ein Leben, das er als abgeschlossen vor sich liegen sah, nicht zwecklos von Neuem zu beunruhigen.“

Wir haben gesehen, daß er sich eine Alternative stellte, indem er seinen Entschluß von dem Besitze einiger Söhne abhängig machte. Seine Tochter gehörte also nicht mehr in den Bereich seiner Lebenspläne, seitdem sie als Abbild ihrer oberflächlichen Mutter prangte.

Mit seiner Gattin stand er auf einem Fuße, der ihn eigentlich in den Augen aller vernünftigen Menschen fälschlich compromittirte. Man glaubte ihn allgemein dem Pantoffel-Regimente der eleganten Hausfrau verfallen, während er sich ganz einfach nur nicht darum bekümmerte, was seine Gemahlin zu thun und zu lassen für gut befand. Die ergötzlichen Geschichten, womit sich das Publicum amüsirte, kamen ihm nie zu Ohren, sonst würde er sich männlich gegen die falschen Auslegungen seiner fehlerhaften Hinneigung zur Zerstreutheit gewehrt haben. Richtig war es, daß er häufig erst im Beginne eines Festins in seinem eigenen Hause Nachricht davon erhielt und daß seine Tochter es sich zur Regel gemacht hatte, ihn jedes Mal mit den Worten zu unterrichten: „er möge sich ankleiden, denn es sei große Gesellschaft bei ihnen!“ – Allein dies Verfahren beruhte weniger auf einer Nichtachtung der Hausfrau gegen ihn, als auf seiner eigenthümlichen Nichtbeachtung der häuslichen Angelegenheiten.

Mutter und Tochter hatten im Grunde einen außergewöhnlichen Respect vor dem Hausherrn, der sich durch die ernste Sanftmuth seines Wesens, trotz aller kleinen Kampfscenen, stets wach erhielt. Er übereilte sich nie in seinen Ausdrücken, während die sehr lebhafte und reizbare Frau Räthin durch heiße unüberlegte Worte die Achtung gegen sich selbst schwächte und schon dadurch, daß sie immer gezwungen war, die Aussöhnung mit ihrem Gatten zu suchen, in den Augen ihres aufmerksamen Töchterchens zu einer Zeit verloren hatte, wo sie dasselbe noch keiner Kritik fähig hielt. Mit dem dunklen Bewußtsein seines Werthes entspann sich in spätern Jahren in Herminens Herzen eine weit innigere Liebe zum Vater, als zur Mutter, und es hätte vielleicht nur eines ernsten väterlichen Wortes bedurft, um sie dem Flitterstaate der mütterlichen Lebenssphäre abwendig und zu einer Gefährtin der ernstern Gemüthsrichtung des Vaters zu machen. Dieser gab sich aber niemals die Mühe, ihr die Seichtigkeit ihres Strebens zu erklären, weil er auf diesem Felde der Erziehung in der eigenen Gattin die größte Widersacherin gefunden haben würde.

Hermine war vier Monate verreist gewesen. Der Rath Braunstein hatte ihre Abwesenheit kaum bemerkt und beachtet. Woher kam es, daß jetzt plötzlich ihre Wiederkehr sein Vaterherz mit einer sonderbar leidenschaftlichen Freude erfüllte, daß ihm seine Tochter anders, schöner, bedeutender, lebensvoller und lieblicher erschien? War das nur der Verklärungsschimmer der Entbehrung?

Sein Auge hing erstaunt an diesem liebenswürdigen Wesen, das er seine Tochter zu nennen berechtigt war, und so oft er auch Anstalten traf, sich endlich auf sein Zimmer zurückzuziehen, um den am Morgen angefertigten Brief zur Expedition reif zu machen, immer zog es ihn wieder zurück in die Nähe der holden Schwätzerin, deren heller, fröhlicher Stimmenklang mit einem Male anziehender für ihn wurde, als die prächtigste Musik. War es denn wirklich nur der Reiz des Wiedersehens, der ihn so mächtig ergriff, und ihn zu liebevollen Kundgebungen seiner Vaterfreude hinriß? War es denn auch nur der Reiz des Wiedersehens, der Herminens Blicke mit einer wahren Gluth der Begeisterung erfüllte, wenn sie sich strahlend vor Glück in ihres Vaters Arme schmiegte, die er ihr immer von Neuem bereitwillig öffnete?

Endlich riß der Rath sich los und ließ Mutter und Tochter allein. Er nahm denselben Platz wieder ein, den er am Morgen seiner Tochter wegen zu verlassen sich nicht gedrungen gefühlt hatte. Lächelnd dachte er daran zurück. Ein Befremden eigener Art beschlich ihn dabei. Er vergegenwärtigte sich die Minuten voller Genüge, die er jetzt durchlebt und, von dem Strahle heiliger Sympathie getroffen. wach und lebendig genossen hatte. Er fühlte zum ersten Male, wie bitter er gedarbt hatte, wie einsam sein Herz, wie durchkältet sein Gemüth gewesen war. Kopfschüttelnd zergliederte er seine Seelenstimmung, die ihn zu einer Würdigung der töchterlichen Liebenswürdigkeit zwang und ihn gleichsam zum Eingeständnisse eigener Ungerechtigkeit gegen sie aufforderte. Er forschte dem Ursprunge seiner veränderten Vatergefühle nach und kam zu dem Resultate, „daß in Hermine eine wesentliche Umwandlung vorgegangen sein müsse, der er ferneres Gedeihen wünschte.“

Bei diesen Träumereien blieb sein Bericht an den Minister ganz natürlich in derselben Verfassung und wurde nicht zur Post expedirt. Als die hellen Glockentöne der Stutzuhr ihm anzeigten, daß es für diesen Tag zu spät geworden war, warf der gute Herr leichtfertig, wie nie, die Schreiberei bei Seite und beschloß, wieder in’s Familienzimmer zu gehen. Eilig seinen Vorsatz ausführend, trat er gerade durch die halb offen gebliebene Thür in’s Vorzimmer, als Hermine mit etwas bedrückter Stimme die Frage an ihre Mutter that:

„Ist’s wahr, Mama, daß der Vater auf Deinen speciellen Wunsch eine ehrenvolle Berufung nach der Residenz ausgeschlagen hat?“

Die Räthin sah befremdet einen Moment zu der Tochter auf und antwortete schnell:

„Davon weiß ich nichts, kann also keine specielle Wünsche ausgesprochen und geltend gemacht haben. Wer sagte Dir das?“

„Es erzählte „Jemand“ in einer Gesellschaft davon, ohne zu ahnen, daß ich die Tochter des Appellationsgerichtsrathes Braunstein sei.“

„So –“ warf die Räthin gleichgültig ein. „Du widersprachest doch dem Gerüchte?“

„Das konnte ich nicht, ohne mich bloßzustellen,“ antwortete Hermine, sichtlich mit einer Befangenheit kämpfend, die sonst, namentlich ihrer Mutter gegenüber, gar nicht in ihrem Wesen lag. „Man hatte meinen Vater eine „Celebrität“ genannt, und „Jemand“ war so kühn gewesen, ihn für den besten Juristen seiner Zeit zu erklären – nach solchen Lobhymnen wagte ich mich nicht als die Tochter des Appellationsgerichtsraths Braunstein kund zu geben.“

„Warst Du denn der Gesellschaft nicht vorgestellt?“ fragte die Räthin befremdet.

„Ja wohl, aber der Herr, welcher dies mittheilte, war viel später eingetreten. Er mag nachher zu seinem großen Schrecken erfahren haben, daß eine Tochter des Braunstein’schen Ehepaares, das er als ein ganz unpassendes Paar schilderte, Ohrenzeugin seiner Kritik gewesen war.“

„Wie hieß dieser Herr? Kennen wir ihn?“ Hermine ließ geflissentlich die erste Frage unbeantwortet, indem sie lebhaft erwiderte:

„Nein, weder Du noch der Vater kennt ihn, und er selbst kennt Euch Beide auch nicht. Was er von Euch mittheilte, war das Tagesgespräch der Residenz, und hatte sich von oben herab durch alle Kreise verbreitet.“

„Laß sie in der Residenz sprechen, was sie wollen, Hermine,“ fiel die Räthin eilig ein. „Du siehst, daß sie dort eben so gern klatschen und lügen, wie anderswo. Es kann freilich sein, daß Dein Vater einmal wieder „vergessen“ hat, mir etwas mitzutheilen, was immerhin und auf alle Fälle Interesse für mich haben könnte, allein ich will mich darüber nicht weiter grämen und auch nicht darüber etwas vergessen, was mir weit näher am Herzen liegt, als Deines Vaters Berufung nach der Residenz. Hier wie dort hat er keine Zeit für uns – also laß ihn gehen, wohin er will, und beantworte mir lieber die Frage: wie steht es denn mit Deinem Herzen? Du bist einen halben Tag zu Hause, und hast noch nicht nach Bruno von Fahrenhorst gefragt? Was soll ich davon denken?“

„Nichts weiter, Mama,“ entgegnete Hermine mit fröhlichem Tone, „als daß ich ihn vergessen habe!“

Die Räthin sah sie strafend an.

„Keine Leichtfertigkeiten in Herzensangelegenheiten, mein Kind!“ rief sie erzürnt.

„O – Mama, mein Herz hat nie etwas mit Bruno von Fahrenhorst zu thun gehabt,“ erwiderte Hermine, stolz den Kopf aufwerfend. „Du hast mir gesagt, er liebe mich, und darauf habe ich Dir geantwortet: ich aber liebe ihn nicht!“

„Es ist aber mein Wunsch, daß Du seine Gattin wirst,“ sprach die Räthin kurz und heftig.

„Diesen Wunsch kann ich nicht erfüllen!“ erklärte Hermine fest, aber mit sehr sanfter Stimme.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 639. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_639.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)