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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)


Behutsam drückte die Räthin ihr Fenster wieder zu und schlug beide Hände vor die Augen.

„Allmächtiger Gott! Mein Mann – mein Kind! Sie sind fort! Sie sind fort!“ flüsterte sie, sinnlos vor Schmerz, und sank zusammen. „Auf Wiedersehen!“ tönte es wie ein Geisterhauch um sie, als sie wieder zur Besinnung kam. Aber die bösen Geister begannen wieder in ihr zu toben und unter dem Trotze eines tief beleidigten Herzens machte sie sich bereit, ihre Zukunft zu bestimmen.




III.

Die Maßregeln des Rath Braunstein waren längst vorbereitet gewesen. Er bezweckte, seine Stellung als Gatte und Vater gründlich zu verbessern, oder dies Verhältniß ganz zu lösen, wenn seine Tochter den Erwartungen nicht entspräche, die er hegte.

Hermine hatte sich bewährt – seine Gemahlin aber mit unverantwortlichem Leichtsinne die heiligen Bande der Ehe geringschätzend behandelt. Er gab sie deshalb noch nicht auf, überließ sie jedoch strafend einer Einsamkeit, die sie entweder läutern oder, was er mit schmerzlichem Bedauern ertragen haben würde – gänzlich verhärten konnte. Ihm blieben noch acht volle Tage bis zum Antritte seines neuen Amtes und er verwendete sie dazu, seine Tochter für großartige Weltanschauungen zu begeistern, um den Keim der Kleinbürgerlichkeit, welche der Selbstüberschätzung Thor und Thür öffnet, in ihr völlig zu ersticken. Er überantwortete sie stillschweigend der Einsicht ihres Verstandes, um diese Angelegenheit seines Herzens zu einer Quelle dauernder Glückseligkeit für sie selbst zu machen. Mit Absicht wählte er einige volkreiche Städte, die sie auf ihrer Reise nach P… berühren mußten, zum Ruhepunkte, führte das junge Mädchen in den großartigen Volksverkehr ein und ließ sie ohne Belehrung selbst erkennen, daß die jämmerliche Effecthascherei des einzelnen Individuums entweder spurlos im Wogen der allgemeinen Interessen untergeht oder vom vernünftigen Theile des Publicums verlacht und verhöhnt wird. Der Begriff von wahrer Menschenwürde brach sich bei diesen kurzen Weltanschauungen Bahn, und nachdem das junge Mädchen erst eine Ahnung von dem außerordentlichen Werthe dieser selbstständigen Würde erhalten hatte, war es ihrem Vater nicht mehr schwer, für die Vollendung ihrer geistigen Cultur mit Wort und Blick zu sorgen.

Am bestimmten Tage langten sie in P… an und nahmen Wohnung in dem ersten Hotel des etwas düstern, fast ehrwürdig ernsten Ortes.

Während der Rath Braunstein sich den Feierlichkeiten seiner Einführung als Vicepräsident unterwarf, schrieb Hermine mit der ganzen Lebhaftigkeit ihrer kindlichen Liebe an ihre Mutter, schilderte die Reise mit ihren belehrenden Erfahrungen, den Vater in seiner Liebenswürdigkeit als Reisegefährte und erklärte ihr, daß nur der Gedanke an den Zorn der Mutter ihre Freuden beeinträchtigt habe. Sie beschwor sie, ihr nicht ferner zu zürnen, berührte aber nichts von der nächsten Zukunft, die Bezug auf eine nachfolgende Uebersiedlung der Mutter haben könne, weil der Vater mit wenigen Worten angedeutet hatte, „daß dies seine Sache sein würde.“ Den Lieutenant von Fahrenhorst erwähnte sie mit keiner Sylbe, weil sie in Wahrheit nicht an ihn gedacht hatte, bat aber schließlich mit der Gluth der Kindeszärtlichkeit um schleunige Beantwortung ihres Briefes.


(Schluß folgt.)




Land und Leute.
Nr. 12. Die Bamberger Gärtner.
Von Ludwig Storch.
(Schluß.)


Früh um drei, spätestens um vier Uhr wandert der Gärtner mit dem Spaten der Stelle zu, auf der den Tag über sein Fleiß sich bewähren soll. Gegen sechs Uhr sind die Marktfrüchte schon in den Händen der Frau, die nun ihrerseits die Kunden bedient. Bis um zehn Uhr werden auf dem Felde die anstrengendsten Arbeiten verrichtet. Da bringt eine daheimgebliebene Tochter das sehr einfache Frühstück. Sie hat ihrerseits auch Eile nöthig. Zu Hause muß sie erst die Wirthschaft besorgen, dann Vater und Geschwister im Felde, endlich die Mutter auf dem Markte mit Stärkung bedenken. Von Mittagessen ist nicht viel die Rede; die frugale Speisung wird gewöhnlich mit kurzer Rast auf dem Felde eingenommen. Hier und beim Dreiuhrbrod spielt ein großer Krug mit, der gewöhnlich von den Kindern gefüllt herbeigetragen wird und dem fleißigen Arbeiter das ersehnte Labsal spendet. Aber er enthält nicht etwa gutes Bamberger Bier, ach nein! Nur zum achten Theil ist Bier die Mischung, sieben Achtel sind „Heinslein“, Kovent, die Maß zu zwei Pfennigen. Erst der Abend setzt dieser Thätigkeit ein Ziel; im Sommer zieht die Familie zwischen fünf und sechs Uhr auf den schmalen Feldpfaden ihrer bescheidenen Wohnung zu. Nun beginnt nicht Ruhe und Genuß, sondern – die Arbeit des Hauses. Das Vieh wird besorgt, der Marktgang für den folgenden Morgen vorbereitet und die kleinen Geschäfte der Haushaltung verrichtet. Erst um acht Uhr wird die Abendmahlzeit eingenommen, oft nur die dampfende Kartoffel in der Schale auf den Tisch ausgeschüttet, oft Klöße von so kräftiger Substanz, daß ihre Verdauung den verzärtelten Culturmenschen zur Verzweiflung bringen, daß ein Wurf damit an seine Schläfe ihn tödten würde. Aber diese Kinder der Arbeit würden Steine verdauen. Und nun sinken sie sogleich dem stärkenden Schlafe in die Arme. Da ist von keinem Vergnügen die Rede. Dieses tritt bei den Burschen Dienstags und Donnerstags Nachmittags in seine Rechte; der Sonntag ist natürlich der Dritte im Bunde. Der Hausvater muß sich in der Regel mit dem letzteren Tage als dem Tage des Herrn im doppelten Sinne begnügen. Da wird dann freilich dem Gerstennektar Oberfrankens die gebührende Ehre erwiesen. Daß er dann dem Geiste Flügel ansetzt, indem er den Beinen schadet, mag wohl vorkommen. Wie sehr ist den braven Leuten solch’ erhebendes Gefühl zu gönnen!

So leben sie Tag für Tag, Jahr aus, Jahr ein, das Leben durch in Arbeit und Mühe, in Mangel und Entbehrung, schlichte, biedre Menschen, die uns die höchste Achtung vor der deutschen Arbeit abnöthigen. Sie haben sich diese Achtung auch in Amerika verschafft, wohin die Stürme der neuesten Zeit viele verschlagen; denn die Jahre 1848 und 1849 regten diese kernigen, markigen Naturen sehr auf und es fehlte damals nicht viel, daß sie der bestehenden Ordnung gefährlich geworden wären.

Ihre Tracht hat keine Erinnerung mehr an ihren slavischen Ursprung bewahrt, wie bei den Hummelbauern; sie sind eben städtische Land- und Gartenbauern. Die Frauen sind durchgehends bunt gekleidet und mit dem rothen Kopftuche versehen, dessen Zipfel in den Nacken herabhängen. Die abscheuliche fränkische Flügelhaube, „Bamberger Barthaube“ genannt, die man noch vor zwanzig Jahren zu sehen Gelegenheit hatte, ist jetzt gänzlich verschwunden. Die Männer gehen Sonntags und bei kirchlichen Feierlichkeiten in langem blauen Ueberrocke mit kurzer Taille und rundem schwarzen Filzhute; die Burschen in kurzen Jacken und Kappen. – Die Tracht verallgemeinert sich hier wie überall.

Die Häuser der Gärtner sind meist einstöckig und sehr einfach; nur die Reichen haben zweistöckige Häuser, in welche auch der moderne Luxus eingewandert ist. Der Aermere begnügt sich mit dem bescheidensten Mobiliar. Die Viehställe liegen stets in der Nähe und sind meist in musterhafter Beschaffenheit. An das Haus stößt der große Garten mit dem Ziehbrunnen, gewöhnlich von sehr alter Construction. Die Straßen der Gärtnerei sind begreiflicher Weise tagsüber zum Erschrecken leer und einsam. Selbst die Kinder wandern aus der Schule auf das Feld. Der Säugling schläft dort in einem Marktkorbe unter dem schnell improvisirten Dache eines umgestürzten Wägleins. So werden sie von Kindheit an an Wind und Wetter gewöhnt und abgehärtet. In die Arbeit werden sie gleichsam spielend eingeführt.

Die früheren urkräftigen Sitten und scharfeckigen Umgangsformen der Gärtner haben Zeit und fortschreitende Cultur gesänftigt und abgeschliffen, namentlich sind die Frauen auf dem Markte durch den steten Umgang mit allerlei Menschen sehr gewandt, freundlich und höflich. „Höflich?“ hör’ ich manchen Leser verwundert fragen; „die Bamberger Gärtnersfrauen haben ja weit und breit den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 656. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_656.jpg&oldid=- (Version vom 25.10.2020)