Seite:Die Gartenlaube (1858) 661.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)


der trüben, gedrückten Atmosphäre der kriegerischen Zeit umgeben war. Man hatte sich unter dem entflohenen Kurfürsten entwöhnt, den geringsten fürstlichen Aufwand zu erleben, und nicht der eingefleischteste Hesse hätte sich einmal träumen lassen, fürstlich beschenkt zu werden. Nur die ältere Generation erinnerte sich noch des prunkhaften Hoflebens unter dem Landgrafen Friedrich, dem katholisch gewordenen Vater des jetzt vertriebenen Herrn. Aber auch gleich nach Friedrichs Begräbniß hatte der sparsame Sohn allen heitern Aufwand entfernt, ja, man konnte sagen, verschworen. Von den ehemals strahlenden Kronleuchtern wurden die Wachskerzen jetzt einzeln, in zwei getrennten Wohnungen, der Kurfürstin und des Kurfürsten, verbrannt. Im Bellevue-Palais des Regierenden wurde ein einfaches, zurückgezogenes Privatleben geführt. Selbst der Kurhut, der vor etlichen Jahren sehr vergnügt mit so viel Pomp in Empfang genommen worden, zeigte der Residenz und dem Lande jetzt nur seinen dunklen Filz. Unter ihm war die Dienerschsft gering und oft knauserig bezahlt gewesen, die Handwerker und Händler mithin an ärmliche Beamte gewiesen. Es läßt sich denken, auf welche Sparsamkeit das Residenzleben eingerichtet war, und wie genügsam der Staatsdiener, dessen arbeitsamer Tag regelmäßig hinter einem Teller saurer Milch unterging, seine häuslichen Feste ordnete.

In solche Häuslichkeit und Genügsamkeit hinein blendete nun der üppige französische Hof. Glanz und Genuß wirkten aufregend und verlockend; die alte anspruchlose Gemüthlichkeit zog sich allmählich zurück, und ließ ein Pariser Restaurationsleben mehr und mehr um sich greifen. Zunächst nöthigte der prachtliebende Hof die ihn umgebenden höheren Kreise der Gesellschaft zu einem entsprechenden Aufwande. Die einreißende Genußsucht steigerte den lebhaftesten Ehrgeiz; nicht jenen Ehrgeiz, der in einem schwungvollen, freien Staatsleben seine Befriedigung sucht: solche Bahnen gab es hier nicht; sondern es war jener gemeine Wetteifer, bei spärlichen Hülfsquellen eignen Besitzthums in der königlichen Huld, durch ergiebige Aemter, die Mittel des Aufwandes zu gewinnen, den der Mitgenuß eines prunksüchtigen Hoflebens erforderte. Die Einen ängstigten sich um ihre Existenz, die Andern strebten nach Beförderung. Es war jener Ehrgeiz, der den Charakter erniedrigt, indem er den Menschen dahin bringt, durch Sitten- und Gesinnungslosigkeit zu Gunst und Einfluß zu kommen.

Die prunkende Genußsucht des Hofes breitete ihre Verlockung immer weiter aus, bis in die untern Classen der Residenz. Dem Volke nämlich wurden Abfälle des Freudenlebens gegönnt. Familienfeste des Königs setzten, durch Jerome’s Freigebigkeit, an öffentlichen Orten lustige Volksfeste ab. Und daß außerdem Gaukler aller Art, Menageriebesitzer, Kunstreiter, Raritätenführer, Possenreißer einer so fröhlichen Residenz unaufhörlich zuströmten, läßt sich denken.

Zu den einheimischen Vergnügungen gehörten, neben dem glänzenden Theater, das mit Schauspiel, Oper und Ballet das ganze Jahr hindurch bestand, zur Zeit des Carneval die stark besuchten Maskenbälle im Theaterraum. Aber die Maskenlust hielt sich nicht immer innerhalb dieser Wände. Und so sah man eines Fastnachtdienstags eine wunderliche Maskerade von dort aus durch alle Straßen der Stadt ziehen.

Ein großer Korbwagen, von Frauenspersonen gefahren, eröffnete den Zug von Verkleidungen aller Stände, die einen Hanswurst mit sich führten. Die Schauspieler, einen Riesen in ihrer Mitte, hatten den großen Decorationswagen eingenommen, und zogen in ihren tollen Vermummungen noch ein buntes Gefolge der lächerlichsten Figuren hinter sich her, — Schäferinnen in Reiterstiefeln, Soldaten in Unterröcken u. dergl. Hinter denselben her trieben maskirte Metzgergesellen einen aufgeputzten Fastnachtochsen. Diesem folgte die Leiche des selig entschlafenen Carneval, im Schlafrock auf offener Bahre, und dahinter ein Zug von maskirten Leidtragenden. Zwei Gensd’armen zu Pferde geleiteten den ganzen Aufzug.

Dieser machte Halt am Palaste des Königs und Jerome schenkte 40 Louisd’or und einen Freiball zum Vergnügen des Tages. Dann setzte die Maskerade ihre Besuche vor den Wohnungen der Minister und Großbeamten des Hofes fort, um auch hier — Trinkgelder einzutreiben.

Nach allem dem wagen wir es nicht, unsere Leser noch zu den Nachtpartien, den sogenannten parties fines, bei Hofe und eben so wenig zu den Orgien reicher Wüstlinge zu führen, wohin wir eben — wenn wir nicht irren, zum Banquier J. B. — mehrere leichtfertige Theatertänzerinnen in Mänteln gehen sehen. Auch eilen wir an der Wohnung der sogenannten schwedischen Gräfin in der obersten Gasse vorüber, — einer jungen Dame, deren Leichtfertigkeit sprüchwörtlich geworden. Eben so wenig wollen wir uns mit dem Räthsel befassen, wozu wohl die elegante Frau von Steinbach nach Kassel gekommen sei und welches Anliegen sie bei Hofe durchzusetzen beabsichtige.

Wir sehen ohnedies schon, der Zustand bereitet sich vor, den ein Zeitgenosse mit den energischen Worten schildert:

„Die Steuerpflichtigen zahlen nicht mehr, die Beamten erschlaffen, die Soldaten verlieren den Muth, die Minister schlafen ein, der König amüsirt sich, — die ganze Bescheerung geht zum Teufel!“

Und doch hatte diese glänzende Vorderseite noch etwas Bestechendes für Viele; es gab aber noch eine Rückseite, noch eine Nachtseite jener glänzenden Wirtschaft, die einen allgemeinen Unwillen erregte. Wir meinen die geheime Polizei.

(Ein zweiter Artikel: „die geheime Polizei“, später.)




Eine schweizer Landesgemeinde.
Brief an den Herausgeber der Gartenlaube vom Dr. A. J. D. H. Temme in Zürich.

Ich war sechs Jahre in der Schweiz und hatte noch keine Landesgemeinde gesehen. So oft war ich gefragt: Sind Sie noch auf keiner Landesgemeinde gewesen? Ich hatte verneinen müssen. So oft ich mich auch danach gesehnt hatte, eine zu besuchen, es war mir nicht gelungen. Wie viele Hindernisse treten Einem meist gerade bei Kleinigkeiten entgegen! Und eine Reise zu der nächsten Landesgemeinde war eine so große Sache nicht.

Da besuchten Sie, mein lieber Keil, mich in diesem Sommer. Und wie wir von Allerlei in der schönen, freien Schweiz sprachen, so sprachen wir auch von den Landesgemeinden, und auch Sie fragten mich, ob ich noch auf keiner gewesen sei, und wunderten sich, daß ich Ihnen nein antworten mußte. Aber erzählen mußte ich Ihnen, was ich davon wußte, und wie wenig ich auch aus eigener Anschauung davon erzählen konnte, es kam doch heraus, in Deutschland wußte man von der Sache fast gar nichts. Sie forderten mich daher dringend auf, die nächste Landesgemeinde in der Schweiz zu besuchen und Ihnen davon für die Leser Ihrer Gartenlaube eine Beschreibung zu geben. Ich versprach es Ihnen.

In Ihrem ersten Briefe nach Ihrer Rückkehr in die Heimath erinnerten Sie mich an mein Versprechen. „Vergessen Sie „„die Hündli““ nicht,“ schrieben Sie mir.

„Die Hündli!“ Ich hatte Ihnen die Geschichte erzählt. Aber die Leser Ihrer Gartenlaube kennen sie nicht, und da Sie denn doch diesen Brief mittheilen wollen, so muß ich sie hier wohl noch einmal erzählen.

Vor einigen Jahren wollten die regierenden Herren des Landes Glarus eine Hundesteuer einführen. Gott weiß, wie sie auf den modernen staatsmännischen Gedanken kamen. Noch verwunderlicher war es, daß die Mehrheit der bedeutenderen Fabrikanten des Cantons — der Canton Glarus gehört zu den verhältnißmäßig gewerbreichsten Cantonen der östlichen Schweiz — für die Sache war. Die Regierung machte daher für die nächste Landesgemeinde die Vorlage, und man war um so gewisser, daß kein Widerspruch erfolgen werde, als außerhalb jener gewerbreichen Orte nur wenige Hunde gehalten wurden, die Steuer auch eine geringe war. Die nächste Landesgemeinde kam. Der regierende Landammann brachte den Antrag vor. Er machte ihn in einem populären Vortrage seinen „lieben Mitlandleuten“ plausibel. Er sprach die Hoffnung aus, daß Jeder, der einen Hund zu halten vermöge, auch gern die paar Centimes zu einer Steuer bezahlen werde, die zu wohlthätigen, von ihm näher auseinandergesetzten Zwecken verwendet werden solle.

Es entstand kein Widerspruch. Keine Stimme wurde gegen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 661. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_661.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)