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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)


„Das mag sein, Herr. Aber der Herr Landammann sprach zu eifrig für die Sache.“

„Wie? Zu eifrig?“

„Ja, Herr, man sah es ihm an, daß er da nicht mehr für das Volk, sondern für sich sprach, und der Herr Landammann, wenn er auch unsere erste Obrigkeit ist, ist immer nur für das Volk da, und wenn er auf dem Landammannsstuhle in der Landesgemeinde ist, dann soll er ganz und gar nicht für sich, sondern nur für das Volk sprechen.“

Ich sah den Mann verwundert an. Ich verstand nur halb, was er sagte. Ein Schullehrer aus einem benachbarten Dorfe ging mit, er nahm erläuternd das Wort.

„Wir ehren und achten unsere Obrigkeit; aber wir halten vor Allem auf unsere Freiheit, und besonders auf der Landesgemeinde wollen wir, daß jeder Einzelne nur nach seinem eigenen, freien Urtheile beschließen soll. Am allerwenigsten soll sich unsere Obrigkeit herausnehmen dürfen, auf das Urtheil der Leute einwirken zu wollen. Ich gebe zu, daß der Herr Landammann heute nur für eine gute Sache und nur Gutes gesprochen hat; aber er zeigte doch offenbar, daß er die Leute überreden wollte, in seinem Sinne zu stimmen. Das wollen wir nicht; das soll er nicht. Wie er heute für eine gute Sache überreden wollte, so könnte es ein ander Mal kommen, daß er etwas durchsetzen wollte, was nicht zum Wohle des Landes gereichte.“

Das war es, was der alte Landmann gemeint hatte, als er sagte, der Landammann habe nicht mehr für das Volk, sondern für sich gesprochen, und das dürfe nicht sein. Er bestätigte es, mit ihm alle Anderen.

Was sagen Sie dazu, mein lieber Freund?

Die Leute erläuterten ihre Worte noch durch eine Thatsache. Ein anderer alter Landmannn erzählte sie mir:

„Vor mehreren Jahren war Landammann der Herr Zellweger. Er war einer der tüchtigsten Landammänner, die das Land gehabt hat. Aber einmal vergaß er sich. Es war auch auf einer Landesgemeinde. Es handelte sich darum, ob der Soldat (Landwehrmann) sich, wie bisher, seine Waffen selbst anschaffen solle, oder ob sie, wie ein neuer Vorschlag gemacht war, auf Kosten des Landes ihm geliefert werden sollten. Der Landammann Zellweger war gegen den neuen Vorschlag, besonders aus dem Grunde, weil dadurch eine neue Steuer für das Land herbeigeführt werde, und weil nichts bedenklicher und gefährlicher für das Land sei, als die Schaffung einer neuen Steuer. Auf die erste folge die zweite, auf die zweite die dritte u. s. w. Das Alles war recht und gut. Aber er brachte es mit einem Eifer vor, daß man merkte, es sei ihm daran gelegen, daß die Leute nach seinem Willen stimmten, er wolle die Leute überreden, er wolle seinen Willen durchsetzen. Und was geschah da, Herr? Er hatte, wie ich sage, Recht. Es war daher auch fast die ganze Landesgemeinde auf seiner Seite, und der neue Vorschlag wurde verworfen. Ich selbst stimmte auch so. Die ganze Landesgemeinde hatte aber auch auf der Stelle die Ueberzeugung gewonnen, daß ein Landesbeamter, der nicht für das Volk, sondern für sich spreche, der das Volk nach seinem Willen leiten wolle, nicht mehr unsere Obrigkeit, nicht mehr unser Landammann sein könne. Als nachher die neue Obrigkeit für das folgende Jahr gewählt wurde, wurde er nicht wieder gewählt. Ich selbst stimmte gegen ihn.“

Und hiermit schließe ich meinen Bericht.

Sie sehen, lieber Keil, ist ein Volk auch noch so klein, es kann durch seine Tüchtigkeit, durch seine charakterfeste Liebe für Gesetz und Freiheit doch groß sein.



Winans’ Dampfschiff in See.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 692. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_692.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)