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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Bürgersleute und Bürgermeister.[1]
Deutschlands erste Eisenbahn und ihr Gründer Johannes Scharrer.

Die Liebe ist des Gesetzes Erfüllung.
 Johannes Scharrer.

Es gibt Wahrheiten, die so lange wiederholt werden müssen, bis sie Anerkennung finden; so ist es seiner Zeit mit den Eisenbahnen gegangen. Eine Reihe von Jahren war erforderlich, den Eisenbahnen in Deutschland die verdiente Anerkennung zu verschaffen, und dem größeren Publicum begreiflich zu machen, daß sie alle anderen Verkehrsmittel zu Wasser und Lande an Wichtigkeit übertreffen. Das praktische und unternehmende England war Deutschland mit dem Bau von Eisenbahnen um mehrere Jahre vorausgegangen, und erfreute sich bereits der günstigen Resultate seiner Schienenwege, als zuerst in Nürnberg der Gedanke realisirt wurde, die Erfindung der Eisenbahnen mit Dampfkraft auch auf den deutschen Boden zu verpflanzen.

In dem alten Nürnberg, das schon in früheren Jahrhunderten die Mutter zahlreicher Erfindungen auf dem Gebiete der Kunst und Industrie war, und auch schon im 15. Jahrhundert die Erfindung der Buchdruckerkunst unter allen Städten Deutschlands zur Verbreitung derselben mit am meisten beigetragen hatte, war die Wichtigkeit und der Einfluß richtig erkannt worden, den das schnellste und wohlfeilste Transportmittel auf das ganze sociale Leben ausüben müsse. Die glänzenden Resultate, welche in England auf der Liverpooler Eisenbahn und in Frankreich auf der zwischen Lyon und St. Etienne erzielt worden waren, lenkten die Aufmerksamkeit eminenter Köpfe in Nürnberg auf die Unternehmungen des Auslandes. Vornehmlich hatte Johannes Scharrer, Nürnbergs wackrer Bürgermeister, und nächst ihm sein Freund Platner, die hohe Bedeutung der neuen Erfindung erkannt. Scharrer verfolgte mit höchstem Interesse die Entwickelung der bereits erbauten auswärtigen Bahnen, indem sein Scharfblick mit Bestimmtheit voraussah, daß die Erfindung der Eisenbahn mit Dampfkraft für den materiellen Verkehr der Staaten und für die Verbindung der Völker von einer ebenso unberechenbaren Wichtigkeit sei, als die Erfindung der Buchdruckerkunst für ihren geistigen Verkehr. Er ging von der Ansicht aus, wie durch die Buchdruckerpresse die Producte des menschlichen Geistes in Tausenden von Exemplaren für die ganze civilisirte Welt geliefert werden, und wie sie als ein Hebel von unermeßlicher Kraft zur Beförderung des geistigen Verkehrs, zur Verbreitung der Kenntnisse und zur Emporhebung der Wissenschaften und Künste wirkte, ebenso müsse durch die Eisenbahnen mit Locomotiven der persönliche und materielle Verkehr der Menschen und der Austausch der Producte der Natur und des Gewerbfleißes erleichtert und beflügelt werden.

Es leuchtete ein, daß bei weiterer Entwicklung der Eisenbahnen selbst große Entfernungen durch das dem Fluge der Vögel nachstrebende Verbindungs- und Transportmittel immer kleiner werden, und Staaten und Nationen dadurch immer näher und näher an einander rücken müßten.

Einem energischen und weiter strebenden Charakter, wie dem Scharrer’s, war es nicht gegeben, in einer so bedeutungsvollen Entwickelungsperiode müßig zuzusehen, und nur andere Länder die

  1. Unter obigem Titel werden wir eine Reihe von Artikeln veröffentlichen, deren Aufgabe es sein soll, das Vaterland mit dem Wirken von Ehrenmännern bekannt zu machen, deren Ehrgeiz darin bestand und besteht, tüchtige Bürger, gesunde, kräftige Mitglieder der bürgerlichen Gemeinde zu sein. Gott sei Dank, es fehlt uns in Deutschland nicht an Stoff für derlei Skizzen, und wir dürfen unsern Lesern eine gute Auswahl versprechen – eine Reihe wahrhaft tüchtiger und treuer Bürger. Daß wir unter dem Begriff Bürger nicht nur Haus- oder Grundbesitzer verstehen, brauchen wir wohl nicht hinzuzusetzen.
    D. Redact.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 717. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_717.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)