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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

 Die Rache.
 (1684.)

Geschlagen ist das Türkenheer,
Und Wien entsetzt vom tapfern Polen.
Der Ungar greift zur scharfen Wehr,
Der Türke wünscht beschwingte Sohlen.

55
Und eh’s der Padischah gedacht,

Ist in der blut’gen Waizner Schlacht
Vom Kreuz der Halbmond überwunden. –
Den Hamsabeg, zur Flucht gewandt,
Hält eisern eine Ungarhand.

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Er wird gefangen und gebunden.


Batthianyi ist’s, der edle Graf,
Der Waffenbruder war dem Pflüger
Und in der Schlacht den Hamsa traf
Und glücklich fing den türk’schen Tiger.

65
Nun führt er ihn zu Szapary:

„Mein edler Freund, den Buben sieh,
Der Schmach Dir gab viel martervolle!
Nun thu’ ihm, wie er Dir gethan!
Spann ihn mit Deinen Stieren an

70
Und laß ihn pflügen Deine Scholle!“


Doch Szapary zum Türken spricht:
„Nicht also sei Dir zugemessen!
Ich geh’ mit Dir nicht in’s Gericht.
Was Du mir thatest, ist vergessen.

75
Die Bande löset Dir mein Schwert.

Frei bist Du! Nimm mein eignes Pferd
Und reite heim zu Deinen Brüdern!“ –
Der Beg steht lange wie versteint.
„Das thust Du Deinem ärgsten Feind,

80
Der Dich gekränkt an höchsten Gütern?“


Darauf der Christ: „Mein Meister sprach:
„Ihr sollet Eure Feinde lieben!
An denen, die mit Haß und Schmach
Euch kränkten, sollt ihr Wohlthun üben!“

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Und als der Juden Zorn und Wuth

Sein Kreuz begoß mit seinem Blut,
Da betet er zum höchsten Wesen:
„Vergib, o Vater, ihnen mild!
Ihr Sinn ist ja von Nacht umhüllt.“

90
Und sterbend segnet er die Bösen.“


„Zu spät, o Herr, kommt Dein Geschenk!
Verloren gab ich meine Sache.
Denn meiner Thaten eingedenk
Erzittert’ ich vor Deiner Rache.

95
Das Gift, in meinen Ring gefaßt,

Nahm als Gefangner ich mit Hast.
Schon greift der Tod mir nach dem Leben.
Doch sterbend, Christ, erkenn’ ich dies:
Der seine Feinde lieben hieß,

100
Der hat der Welt das Heil gegeben.


„O nimm mich auf in seinen Bund
Und laß als Christen fromm mich sterben!
Du gabst mir Deine Liebe kund,
Laß nun die seine mich erwerben!“ –

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Der Ungar, der sich tief verneigt,

Das Kreuz am Schwerte dar ihm reicht
Und gießt, geschöpft aus naher Quelle,
Ihm auf das Haupt mit hehrem Wort,
Dem Glauben an den ew’gen Hort,

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Der Christentaufe heil’ge Welle.


Der Sterbende umfaßt das Kreuz
Und küßt’s mit brünstigem Verlangen.
Des Todes Schatten hat bereits
Sein Haupt mit kaltem Hauch umfangen.

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Doch hält er noch den Blick verklärt

Dem Liebesspender zugekehrt
Und streckt ihm froh die Hand entgegen.
Und wie sie dieser weinend drückt,
Da wird er selig heimentrückt.

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Das ist der Liebe Gottessegen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 753. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_753.jpg&oldid=- (Version vom 24.2.2018)