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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Man sagt: Verbreitung des Christenthums, und meint in England damit gewaltsamen Verkauf von Baumwollenwaaren, in Frankreich Absatz von Quincaillerien und sonstigem eleganten Quark. Wenn man damit friedlich auf die Weltmärkte zöge und durch gute „ländlich sittlich“ eingerichtete Waaren, wohlfeile Preise und freundliches Benehmen Kunden zu gewinnen suchte, wäre dies sehr schön, sehr löblich, sehr praktisch, und würde mehr Civilisation verbreiten, als alle die kriegerischen Heldenthaten zu Wasser und zu Lande.

Wenn die Engländer z. B. nach Beendigung des scheußlichen Opiumkrieges, der ihnen fünf chinesische Häfen öffnete, sofort angefangen hätten, die Chinesen mit blauen Baumwollen-, Hemden- und Hosenstoffen zu bombardiren, statt den der ostindischen Compagnie monopolisirten Opium zu schmuggeln, Ablaßkram mit englischen Flaggen zu treiben (um chinesische Seeräuberei durch die englische Flagge zu schützen), wäre China längst erobert und wirklich gewonnen worden.

Doch das ist ein weitführendes, verfängliches Thema. Halten wir uns an Thatsachen. Jetzt an die, daß die Franzosen ein neues, großes, hinterasiatisches Reich betreten und zunächst für die Neu- und Wißbegier geöffnet haben.

Cochin-China oder Anam (Annam) ist ein Kaiserthum am östlichen Gestade Hinterindiens und reicht im Norden bis an die Grenzen China’s, im Westen bis Siam, wo die Franzosen schon Fuß gefaßt haben. Es besteht aus Tonquin, dem engeren Cochin-China, Cambodscha und Laos. Die alte Hauptstadt Hué, vor der großen Revolution ziemlich stark von französischen Auswanderern bevölkert, trägt noch vielfache Spuren französischer Baukunst und Cultur. Franzosen bauten die Mauer um die innere Stadt mit Citadellen, Palästen, Casernen, Arsenalen und manchen öffentlichen Bauten.

Das Land ist, wo nicht dicht überwaldet, chinesisch sorgfältig bebaut und drainirt, und liefert Reis, Zucker, Indigo, Farbhölzer, Eisenholz, werthvolle Baumharze, Thee, Elfenbein, Seide, Eisen, Kupfer und mancherlei andere werthvolle Metalle, außerdem hunderterlei pikante Gewürze. Der Kaiser ist alleiniger Kaufmann und Fabrikant. Die etwa 5 Millionen Einwohner (darunter eine halbe Million Christen) betrachtet er als seine Arbeiter und Diener, die ohne baaren Gehalt sich für ihn placken müssen. Er soll die schönste Elephantenarmee haben, ein ganzes Heer auf 800 bis 1000 wohldisciplinirten Elephanten.

Von dem Innern weiß man noch nicht viel. Aber nach dem Aeußeren, der Touranne-Bay und ihren Gebirgen und Grotten und Naturtempeln von reinem Marmor zu schließen, muß es voller Wunder und grandioser Schönheiten sein.

Die Touranne-Bay wird als die tiefste und sicherste in der Welt geschildert und deren Marmor-Grotten als die wundervollsten Architekturen der Natur. Sie sind vom Wasser aus zugänglich, wie die Fingalshöhle auf Staffa. Ein französischer Officier, der sie besuchte, läßt sich darüber so vernehmen:

„Mit Erlaubniß der betreffenden Behörden brachen wir in zwei Booten auf. Alles um uns her war voller Leben und Reiz, als wir aus der Bucht den Fluß hinaufsegelten. Auf beiden Seiten üppige Cocos-Palmenplantagen, unter denen malerische Bauernhütten sich schatteten. Jede Flußwendung eröffnete immer reizendere Landschaftsbilder mit gaffenden und staunenden, athemlos an’s Ufer stürzenden Weibern, Mädchen und Kindern in der leichtesten, heitersten Bekleidung, die in heißer Luft und hellster Sonne als ganz überflüssig um die sonst größtentheils nackten Gestalten flatterten. Die Meisten trugen nichts, als leichte Hemden. Hosen und Mützen schienen Aristokratie zu verrathen.

„Nach mehrstündigem Rudern kamen wir in die Schatten der Marmorfelsen mit den berühmten Grotten. Fünf echte Marmorberge steigen aus dem Ufersande, üppig bekränzt mit wogenden, blühenden, duftenden Schlinggewächsen. Auf einem der Marmorhäupter liegt loses Gestein, in der Ferne gesehen wie geharnischte Ritter auf Gräbern knieend. Unweit davon, im Schatten von Bäumen und duftig umblumt, erhebt sich eine Pagode mit einem Labyrinth von Altären und Nischen mit Götzen aus Stein und Holz, mit einem irdenen, glasirten, lebhaft bemalten Dache. Die Marmorwände der Felsen sind allenthalben in Götzenbilder zurechtgehauen, auf welche Cactus- und Aloeblüthen in der wildesten Ueppigkeit herabranken. In die Berge hinein führen mannichfache, von der Natur gebaute Thore und große Hallen und Grotten, stets üppig durchrankt und überblüht von Schlingpflanzen.

„Doch Alles war Kinderspiel gegen die natürlichen Marmorgrotten der Pagode, in welche wir nun traten. Welch’ ein seltsames Bild! Einige Europäer in der Mitte Hunderter wildfremder Eingeborner, dunkele, mit „sichtbarer Finsterniß“ gefüllte Wege und Corridore hinabirrend und plötzlich in eine blendend helle Combination von Natur- und Buddhisten-Culturwunder eintretend, angestarrt von grimmigen, steinernen Wächtern des Heiligthums, monströsen, kolossalen Figuren, auf Tigern und Löwen reitend, uberschwemmt mit wahrhaften Fluthen blendenden und seltsam gefärbten Lichtes. Nach einigen Minuten standen wir vor einer Marmortreppe, auf beiden Seiten von ähnlichen Figuren geschmückt, die in eine andere 80 Fuß lange und 100 Fuß hohe Grotte führen, ausgemalt von den wunderbarsten Farbentinten, ätherischen Brechungen des Lichtes auf farblosen Stalaktitensäulen, Bogen, Wänden und Wölbungen. Einige Stalaktitenauswüchse hängen von den Wölbungen oben wie lebendige Ungeheuer, die ihre Köpfe durch’s Dach hereinzwängen. Am Fuße der Treppe eine offene Pagode mit den brillantesten Kunstfarben und ungeheuerlichsten Formen von Altären und religiösen Symbolen oder Verkörperungen. Die Götzen waren größtentheils reich vergoldet. Am Ende eine besondere Capelle, einer darin stehenden kolossalen Gottheit besonders gewidmet. Sie war am sorgfältigsten und individuellsten aus einem sich erhebenden Marmorblocke gemeißelt. Auf beiden Seiten derselben kolossale Vasen mit den duftig betäubendsten Wohlgerüchen. An den Wänden empor nisten und zwitschern zwischen blühenden Schlingpflanzen Tausende von Schwalben und klettern und kreisen unzählige Affen.“

Diese kolossale, wundersame, märchenhafte Mischung von Natur und Cultur gibt Eindrücke, die alle übertreffen und von allen abweichen, die je von anderen Naturwundern der Erde geflossen sein mögen.

Sicherlich werden auch aus diesen hinterasiatischen, jetzt aufdämmernden Geheimnissen unserer Wissenschaft und Kunst, unserem Handel und Gewerbe neue Lebensquellen zufließen.




Nicht zu übersehen!

Mit dieser Nummer schließt das vierte Quartal und der Jahrgang 1858 und ersuchen wir die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen für das nächste Jahr schleunigst aufgeben zu wollen.

Im nächsten Quartal kommen außer den trefflichen Beiträgen von Bock, Roßmäßler, Beta in London, A. Brehm etc. etc. zum Abdruck:

„Er betet“. Erzählung von Temme (Verfasser der „Neuen deutschen Zeitbilder“). – Westphälische Erinnerungen von Heinrich Koenig: „Die geheime Polizei“. – Berliner Bilder von Ernst Kossak. – Reise-Erlebnisse in Rußland von Wilh. Hamm, mit Abbildungen. – Die Jagd auf den Hochalpen von Guido Hammer, mit Abbildungen. — Ein Parvenu des vorigen Jahrhunderts von L. Storch, mit Abbildung. – Ein Besuch bei Kane, dem Nordpolfahrer. – Preußische Licht- und Schattenbilder von Max Ring: Die Gräfin Lichtenau, Bischoffswerder und Wöllner. — Humoristische Vorlesung über die Philosophie des Luxus und der Mode. Ungedruckte Reliquie von Carl Herloßsohn. – Eisenbahnfahrt über den Semmering. – Ein Burschentag in Bamberg. — Johanna’s (Wagner) erste Lorbeeren. Von Albert Traeger.




Unsere österreichischen Leser

haben wir noch besonders zu benachrichtigen, daß von Neujahr ab in Folge der in den Kaiserstaaten eingeführten Stempelsteuer die „Gartenlaube“ vierteljährlich um 13 Neukreuzer im Preise steigen und statt der früheren 79 Neukreuzer vom nächsten Quartale an

90 oder 91 Neukreuzer

kosten wird. Im Voraus überzeugt, daß diejenigen Freunde unserer Wochenschrift, welche dieselbe lieb gewonnen, ein Familienblatt nicht aufgeben werden, welches trotz dieser Preiserhöhung immer noch das billigste von allen erscheinenden ist, bitten wir nur, die Bestellungen recht zeitig aufzugeben, damit die regelmäßige Expedition keine Störung erleidet.

Alle Buchhandlungen und Postämter nehmen Bestellungen an.

Leipzig, den 18. December 1858.

Die Verlagshandlung.


Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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