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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Dorfe, wo der Abschiedstrunk feierlich getrunken wurde. Beide umarmten sich und gelobten sich von Neuem ewige, unerschütterliche Freundschaft.

„Was auch geschehen mag, wir bleiben Brüder in alle Ewigkeit!“ rief Hagen.

„Und ich besuche Dich in Berlin, so bald ich nur von Jena abkommen kann.“

„Es versteht sich von selbst, daß Du dann bei meinen Eltern wohnst. Du sollst sie und meine Schwester kennen lernen.“

„Ich freue mich auf Deine Familie, die durch Dich nur nicht mehr fremd ist. Tausend Grüße für die Deinigen und für den biedern Turner Jahn, der, wie Du mir gesagt hast, ein Freund Deines würdigen Vaters ist. Theile ihm mit, wie ich ihn als meinen Meister und als den Erwecker vaterländischer Gefühle und Gesinnungen auf das Innigste verehre. Und nun lebe wohl!“

„Lebe wohl und halte Wort! Ich werde Dich mit Ungeduld erwarten.“

Mit einem Gruß für Berthold ging Sand wieder nach Eisenach zurück, während jene den entgegengesetzten Weg nach Berlin einschlugen.

Die Nachricht von dem Wartburgfeste und den dabei stattgefundenen Vorfällen hatte sich indeß mit Blitzesschnelligkeit durch ganz Deutschland verbreitet, so daß Hagen bei seiner Rückkehr die Seinigen bereits unterrichtet fand. Der Vater, ein Mann von anerkannt freisinnigen Grundsätzen, aus einer polnischen Schule hervorgegangen, der Preußen die wohlthätigsten Reformen zu verdanken hat, war weit entfernt, ein Ereigniß zu verdammen, das er von seinem Standpunkte aus als ein freudiges Zeugniß des wiedererwachten Nationalgeistes anerkennen mußte, obgleich auch er den hier und da hervorbrechenden jugendlichen Uebermuth nicht billigen konnte.

„Die Geschichte mit den verbrannten Büchern,“ sagte er dem Sohne, „hat ein ungemeines Aufsehen gemacht. Geheimrath Schmalz und Consorten setzen Himmel und Hölle in Bewegung, als ob der Staat selbst von Euch angegriffen worden wäre. Ich will Dir nicht verschweigen, daß Deine Betheiligung bei dem Feste Dir möglicher Weise in Deiner Carriere jetzt schaden kann. Indeß wird das Geschrei vorübergehen und hoffentlich weiter keine bösen Folgen haben. Mir persönlich ist es natürlich unangenehm, daß auch der Minister Kamptz, dem ich untergeben bin, dabei mit betheiligt ist; er will mir ohnehin nicht wohl.“

„Es thut mir leid, daß Du meinetwegen vielleicht in Ungelegenheit kommst. Ich kann Dir aber die Versicherung geben, daß Niemand eine Ahnung hatte, daß die Bücher verbrannt werden sollten. Von einer bedachten That kann daher nicht die Rede sein.“

„Ich glaube es Dir und bin auch überzeugt, daß sonst nichts Unerlaubtes und Ungehöriges auf der Wartburg vorgekommen ist. Du kennst mich und meine Ansichten und weißt auch, daß ich weit entfernt bin, der Jugend ein gewisses Maß von Freiheit zu mißgönnen. Nur möchte ich Dich im Voraus vor allen Uebertreibungen und vor einer Ueberschwänglichkeit warnen, die seit den Freiheitskriegen sich hier und da hervordrängt. Ich unterscheide zwischen wahrer Begeisterung, ohne die nichts Großes geschaffen wird, und jener blinden Schwärmerei, welche über das gesteckte Ziel hinausschießt. Es zeigt sich gegenwärtig in Deutschland ein mehr als bedenklicher Geist, der nothwendiger Weise zu Verirrungen von der einen Seite und zu Uebergriffen von der andern führen muß. Vor allen Dingen warne ich Dich, Dich in irgend eine geheime Verbindung einzulassen. Gib mir Dein Versprechen, Dich nie an einer wirklichen Verschwörung gegen den Staat zu betheiligen.“

Hagen that dies ohne Weigern, da die damalige Burschenschaft durchaus noch nicht die Oeffentlichkeit scheute und ihre Wünsche und Bestrebungen keineswegs verheimlichte, wie dies erst später unter dem Drucke der über sie verhängten Verfolgungen geschah. – Nach dieser freundschaftlichen Unterredung mit seinem Vater begrüßte Friedrich seine Mutter und die Schwester, mit der ihn eine innige Sympathie verband. Emma war eine durchaus ideale Erscheinung, von einer Tiefe und Reinheit, wie sie nur das Weib in seiner Abgeschlossenheit sich zu bewahren im Stande ist. Nur ein Jahr jünger als ihr Bruder, hatte sie an allen seinen Richtungen und Empfindungen, in denen sich eine bedeutende Zeit wieder spiegelte, den lebhaftesten Antheil genommen; sie war seine Vertraute, seine beste Freundin, das treue Echo seiner Wünsche und Träume, welche in ihrer Seele mild verklärt erschienen. Zart und mild fehlte es ihr darum nicht an der nöthigen Charakterstärke und an einer Festigkeit, womit sie an dem festhielt, was sie einmal für gut und edel anerkannt. Schlank und hoch emporgeschossen, erinnerte sie mit ihrem blonden Haar und dem weißen, durchsichtigen Teint an die keusche Lilie, deren Kelch den süßesten Duft umschließt. Die Zerbrechlichkeit ihrer hohen Gestalt und die Blässe ihrer Wangen verliehen ihr ein ätherisches Ansehn, sie deuteten auf eine andere Heimath als die schwere Erde, der ihr kaum den Boden berührender Gang zu entschweben schien.

Mit leuchtenden Blicken hörte sie seiner Schilderung des Wartburgfestes zu, aus dessen Hintergrund Sand’s Bild in klaren Zügen für sie hervortrat. Mit der Ueberschwänglichkeit der Jugend malte Hagen seinen neuen Freund und erweckte in der Schwester die Sehnsucht, den so Gepriesenen näher zu kennen. „Er hat mir,“ sagte er, „das Versprechen gegeben, uns in Kurzem zu besuchen, und einige Tage bei uns zuzubringen. Du wirst gewiß meine Vorliebe für ihn theilen und seine Freundin werden, wie ich sein Freund geworden bin.“

„Das bin ich schon,“ entgegnete Emma mit tiefem Erröthen, „wenn er nur einigermaßen Deinem Bilde gleicht.“

Das Gespräch der Geschwister wurde hier durch den Besuch einer jungen Dame unterbrochen, bei deren Eintritt Hagen mit einem lauten Freudenschrei aufsprang, um sie zu begrüßen. Es war seine Braut, Julie Wiggern die im Vorübergehn ihre Freundin Emma sehn wollte, mit der versteckten Absicht, sich nach dem Bruder zu erkundigen. Die nachsichtige Mutter und die zärtliche Schwester waren in das Geheimniß der Liebenden eingeweiht, so daß dieselben in ihrer Gegenwart den Zwang fallen ließen, den sie sich noch vor Fremden auferlegen mußten. Juliens Vater war Geheimrath und gehörte zu jenen Beamten, welche alles Heil in der Bevormundung des Volkes sehn. Er war ein abgesagter Feind jeder freieren Richtung und schloß sich immer enger der Partei an, welche gegenwärtig am Hofe die herrschende war. Mit strenger Consequenz trat er jeder Neuerung entgegen; die alten Zustände fanden an ihm einen hartnäckigen Vertheidiger; weshalb er auch nur ungern den vertrauten Umgang seiner Tochter mit dem durch seine freisinnigen Grundsätze bekannten Hause seines Collegen Hagen sah.

Schon nach kurzem Verweilen mußte Friedrich in Juliens Zügen und in ihrem ganzen Betragen eine Betrübniß bemerken, die sie ihm auch nicht langer vorenthielt.

„Mein Vater,“ sagte sie, „ist im höchsten Grade aufgebracht wegen des Wartburgfestes und hat sich in einer Weise darüber ausgesprochen, die mich das Schlimmste fürchten läßt. Noch scheint er nicht zu wissen, daß Du Dich daran betheiligt hast. In meiner Angst bin ich hierhergeeilt, um Dich vor den möglichen Folgen zu warnen.“

„Ich danke Dir,“ entgegnete Hagen, „für Deine Liebe, die Du mir von Neuem bewiesen hast, aber Deine Angst kann ich nicht theilen, da ich mir keiner Schuld bewußt bin.“

„Ich glaube Dir, aber in der Stadt gehen die schrecklichsten Gerüchte von einer gefährlichen Verschwörung um. Der Geheimrath Schmalz, der ein Freund meines Vaters ist, hat bereits eine Schrift verfaßt, worin er auf die Gefahren hinweist, welche durch die Burschenschaft dem Staate drohe. Der Minister Kamptz soll außer sich sein und für die ihm angethane Beschimpfung Satisfaction verlangen und auf Bestrafung der Urheber und Rädelsführer angetragen haben.“

„Du kannst darüber ganz ruhig sein, da ich dem Autodafé dieser Bücher, die nach meiner Meinung meist kein besseres Schicksal verdient haben, zwar mit beigewohnt, aber es keineswegs veranlaßt habe. Ich und viele meiner Bekannten waren durchaus nicht damit einverstanden, weil wir nicht die schöne und erhebende Feier des Tages durch ein derartiges Strafgericht entweiht sehen wollten. Aber ich begreife nicht, wie man den Muthwillen der aufgeregten Jugend gleich zu einem Verbrechen stempeln kann. Darum hoffe ich auch, daß dies Geschrei der Betroffenen bald wieder verhallen und daß weder für mich, noch für meine Brüder eine größere Unannehmlichkeit daraus erwachsen wird.“

„Gott gebe es!“ seufzte das liebenswürdige Mädchen, den kleinen Lockenkopf bedenklich schüttelnd. „Ich wünschte nur, daß Du nicht auf der Wartburg dabei gewesen wärst.“

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_092.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)