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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

abgedruckt), in welcher Gotter als ein grasser Epikureer mitgenommen wird. Dem also Angesungenen, längst über die Jahre rosenfarbner Phantasie und anakreontischen Lebensgenusses hinaus, that der bittere Spott weh, doch ergriff er die einzige Partie, die ein weltkluger Kopf, wie der seinige, unter diesen Umständen wählen konnte: er versteckte seine verletzte Empfindlichkeit hinter Scherz, indem er der königlichen Muse in einem launigen Briefe seinen tief empfundenen Dank abstattete, daß sie zu seinem unbeschreiblichen Erstaunen geruht habe, einen alten abgelebten Mann wieder aus der Dunkelheit hervorzuziehen, und ihm an der Grenze des Lebens ein so herrliches Unsterblichkeitsdiplom auszufertigen, in dessen Anerkennung die Nachwelt ihn wenigstens als einen Epicuri de grege porcum unmittelbar zwischen des großen Friedrichs Tischgenossen und Schooßhunde classificiren werde.

Das Leben, welches Gotter in Molsdorf führte, namentlich in der letzten Periode als Graf, war nichts weniger als einfach idyllisch und frugal. Vielmehr haben sich von der schwelgerischen Ueppigkeit desselben, von den glänzenden Festen, die er dem Hofe und dem benachbarten Adel gab, manche Anekdoten erhalten, die wenigstens in meiner Jugend noch vielfach erzählt wurden. Er hatte sich in dieser ländlichen Zurückgezogenheit mit einem wahrhaft fürstlichen Hofstaate umgeben, bei dem auch die üblichen Laufer nicht fehlen durften. Ja, er that sich sogar etwas darauf zu gut, ein wahres Prachtexemplar, einen sogenannten Parforcelaufer zu besitzen, der, wie man behauptete, aus Molsdorf selbst gebürtig war, Namens Heinhold. Zufolge einer Wette des Grafen mit einem anderen Standesherrn mußte dieser Mensch von hier bis nach dem ungefähr fünfzig Stunden weiten Hannover und zurück in sechsunddreißig Stunden laufen. Der Läufer vollendete diese Reise wirklich in noch kürzerer Frist, erlag jedoch der übermäßigen Anstrengung dicht vor Molsdorf auf dem sogenannten Palmberge, wo ein Blutsturz seinen raschen Tod herbeiführte. Was that’s? Der Herr Graf hatte die Wette gewonnen. Mich dünkt, dieser eine Zug verbreitet über den Charakter des Mannes hinlänglich Licht. Unmittelbar neben der der Herzogin dargebrachten raffinirten Huldigung und den schwelgerischen Festen der todtgehetzte Laufer!

Es wird noch von einer andern nicht minder tollen Wette erzählt, die er einer adligen Dame aus der Nachbarschaft abgewann, die Wieland oder Thümmel wohl in seinen Versen hätten erzählen können, die aber heutigen Tages der Schicklichkeit halber sich nicht mehr mittheilen läßt, aber beweist, daß er in solchen Fällen sein eigenes Leben so wenig schonte, wie das seines Läufers. Er scheint überhaupt auf dem Gipfelpunkte des aristokratischen haut-goût seiner Zeit gestanden zu haben, und es werden in dieser Beziehung Dinge von ihm erzählt, die wie Erfindungen einer tollgewordenen Phantasie klingen, aber gerade ihrer Ungeheuerlichkeit wegen nicht von einer anständigen Feder mitgetheilt werden können und mit seiner galanten und ehrfurchtsvollen Schwärmerei für die edle und sittenstrenge Herzogin seltsam contrastiren. Er war dabei ein fröhlicher Herr, der kein Vergnügen zu theuer fand. Als er das große Loos zum ersten Male gewonnen hatte, veranstaltete er ein großes Festmahl, dessen Hauptgericht junge Erbsen, sein Lieblingsgericht, waren; er bezahlte jede Erbse mit einem Groschen.

Auf dem Schloßthore sieht man heute noch zwei männliche Figuren aus Stein mit Gotter’s Wappenschild, Spieß, Schwert und einer großen Geldkatze über dem Rücken, in welcher sich große Geldstücke abdrücken. Sie werden die Geldmänner genannt und sollen die Ueberbringer der beträchtlichen Summen gewesen sein, welche ihm zu bestimmten Zeiten von Berlin überschickt wurden. Sie standen mit dem Gesichte nach dem Schlosse zu, gleichsam als eben ankommende Freudeboten. Als die Gelder ausblieben, ließ er die steinernen Glücksmänner herumdrehen. So kehren sie noch dem Schlosse den Rücken zu.

Als er selbst endlich gezwungen war, dasselbe zu thun und auf seinem Hengste durch den hinter Molsdorf befindlichen Weidgarten sprengte, wandte er sich lachend noch einmal zurück und rief: „Leb’ wohl, mein liebes Molsdorf! Du hast mich viel Geld gekostet. Nun ich keins mehr habe, müssen wir scheiden. Wir sehen uns nicht wieder!“ Und er ritt auf und davon.

Seinem Ende gingen schwere Leiden voraus, aber er war so bewundernswürdig ehrlich, selbst einzugestehen, daß sie verdiente seien. Dieses Geständniß ist fast geeignet, mit seinem schrankenlosen Leben zu versöhnen. Selbst Schmerzen leidend, verleugnete er seine joviale Natur nicht. Er hatte den Becher süßer Lebensfreuden bis zum Bodensatze geleert, und als ihm dieser in seiner bösen Herbigkeit nicht erlassen wurde, nahm er ihn Tropfen für Tropfen, ohne den Mund zu verziehen. Und so blieb er ein echter Epikureer bis zur letzten Stunde, die ihm am 28. Mai 1762 in Berlin schlug. Siebzig Jahre alt, starb er als königlich preußischer Staats- und Kriegsminister, Vice-Präsident des General-Directoriums für den Krieg und die Finanzen, Oberhofmarschall und Generalpostdirector. Verheirathet war er nie, aber es gab in Molsdorf und der Umgegend viel heimliche und öffentliche Nachkommenschaft von ihm. Er hat sie Gott empfohlen; mehr konnte er nicht thun. Auch seinen Verwandten im Lande Gotha hat er gar nichts genützt. Keinem hat er eine Laufbahn bereitet. Der Vater meiner Mutter und dessen Bruder, ein paar blutarme Studenten, ihm so nah verwandt und persönlich bekannt, haben kein Stipendium, auch nicht die kleinste Unterstützung durch ihn erhalten. Die Familie hat sich mit der Ehre seiner Verwandtschaft begnügen müssen. Es ist mit der menschlichen Schwachheit zu entschuldigen, daß die Familie doch stolz auf den Herrn Grafen war.

Im Andenken des Volkes hat sich Gotter nur als vornehmer jovialer Wüstling erhalten; was er als Mensch, Staatsmann und Gelehrter war, ist vergessen.

Der einst steife, von der Scheere in Ordnung gehaltene französische Garten wurde nach dem Aussterben des Fürstenhauses Gotha in einen sogenannten englischen Park umgewandelt, aus dem allmählich nicht nur die zahlreichen Götterstatuen, sondern auch die Götter selbst verschwunden sind. Das kleine Schloß hat dem Anscheine nach erhalten werden sollen, wie es zu Gotter’s Zeit war, aber sein einst so reiner Spiegel ist vom Hauche der Zeit stark getrübt. Der heutige intelligente Besucher der einst so berühmten glänzenden Schöpfung wird sich schwerlich einer unbehaglichen Verstimmung erwehren können. Nichtsdestoweniger wird auch jetzt noch der Garten den Sommer über aus den benachbarten Städten Erfurt, Arnstadt, Gotha und den übrigen Ortschaften als Rendezvous und Vergnügungsort benutzt. Sehr interessant sind die zum Theil werthvollen Bilder, mit welchen Gotter Saal und Zimmer des Schlosses geziert hat, doch sind die besten davon in neuester Zeit ausgewandert. Es sind meist historische Portraits aus seiner Zeit, zumal eine große Anzahl fürstlicher Personen. Der Kenner der Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts wird sich gut in diesen Räumen unterhalten. Seine Blicke werden von einem lebensgroßen Bilde Friedrich des Großen als sechzehnjährigen und einem Brustbilde desselben als sechsundzwanzigjährigen Kronprinzen gefesselt werden.

Gotter’s mächtiger Gönner und Freund Prinz Eugen ist ebenfalls in Lebensgröße zu sehen; desgleichen Friedrich Wilhelm I. von Preußen. Im Damenzimmer, so genannt, weil lauter Portraits vornehmer Damen darin hängen, sehen wir die jugendlichen Gestalten der beiden späteren Kaiserinnen Maria Theresia und Katharina II. Wenn die Erstere eine liebenswürdige Erscheinung ist, so ist die Zweite eine zarte Hebegestalt, in welcher man wahrlich die spätere nordische Semiramis nicht ahnen würde. Für mich hat das Bild der geistreichen Herzogin Louise Dorothee von Gotha in der Ordenstracht der fröhlichen Einsiedler die meiste Anziehungskraft. In einem anderen Zimmer findet man auch Portraits berühmter Schauspielerinnen, Sängerinnen und Tänzerinnen jener famosen Zeit. Das werthvollste aller Bilder ist ein Bruststück vom Grafen Gotter selbst (es sind zwei Portraits von ihm da). Wenn irgend ein Portrait wahr und getroffen sein muß, so ist es dieses, das den Beweis liefert, daß die Erscheinung nie lügt.

Die ganze Individualität Gotters tritt uns aus diesen Zügen entgegen. Wir begreifen, daß dieser schöne kräftige Mann mit dem braunen Teint und dem braunen Haare (er ist als angehender Vierziger gemalt), mit diesen flammenden, heiter lachenden, geistreichen Augen, mit diesem üppig geschwellten Munde der Liebling aller liebebedürftigen Frauen sein mußte. Seine Genialität thut sich schon darin kund, daß er die unerläßliche Perrücke, den Galarock und die Halsbinde verschmäht und in einer poetischen, wahrscheinlich idealen Tracht erscheint. Unter den übrigen Perrückenträgern nimmt sich dieses Bild überraschend fremdartig aus. Man meint einen [[William Shakespeare|Shakespeare]ischen Helden unter den Darstellern einer Staatsaction zu sehen.[1]

  1. Unser Holzschnitt ist nach einer von diesem Bilde genommenen Photographie gemacht.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_114.jpg&oldid=- (Version vom 22.2.2023)