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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

verbunden, und wer dazu gelangte, konnte nicht anders, als ihn wieder leidenschaftlich lieben. So habe ich mit ihm anderthalb Jahre auf der Universität zugebracht und einen Bund geschlossen, der für das ganze Leben gelten sollte.“

Der Bund der edlen Jünglinge wurde noch bedeutungsvoller und inhaltreicher durch den Austausch der Ideen, welche das Jahrhundert erfüllten. Es war die Zeit der durch Klopstock, Lessing, Herder und Goethe wiedererwachten deutschen Literatur. Mit Bewunderung wurde von den Freunden der nationale „Götz von Berlichingen“ aufgenommen, die Bedeutung des nordamerikanischen Freiheitskampfes in seinen politischen Folgen von ihnen gewürdigt und erfaßt. Stein erkannte, daß ein neues Zeitalter herangebrochen sei, und die alten Zustände einer Umgestaltung bedürften. Mit dieser Ueberzeugung konnte Stein, der nach seinem Abgange von der Universität einige Monate in Wetzlar zubrachte, um an dem dortigen Reichskammergericht zu arbeiten, kein Genügen an dieser alten, verrotteten Einrichtung finden. Sein Scharfblick erkannte, daß das morsche Gebäude des heiligen römisch-deutschen Reiches einzustürzen drohe, und so entschloß er sich, in die Dienste Preußens zu treten, indem er mit richtigem Instinct Deutschlands Zukunft ahnte, obgleich seine Eltern aus alter Anhänglichkeit an das Kaiserhaus es lieber gesehen hätten, wenn der Sohn sich für den österreichischen Staatsdienst entschieden hatte.

Karl Freiherr von Stein

Kurz vorher fand, besonders auf Anrathen und Wunsch der Mutter, ein Abkommen statt, wonach die übrigen Geschwister auf die Erbschaft des väterlichen Vermögens zu Gunsten Stein’s verzichteten, der sich früh als ein guter Wirth bewährt hatte und darum ausersehen war, sich zu verheirathen und den Namen, so wie den Glanz der Familie fortzupflanzen. Gegen seine Neigung gab er dieser Anordnung nach, die ihn zu seinen Geschwistern und besonders zu dem ältesten Bruder in eine peinliche Stellung brachte, wenn er auch später die größten Opfer brachte, um die scheinbare Ungerechtigkeit der Eltern vergessen zu machen.

Von dem Genius des großen Friedrich und von Preußens frischem Glanze angezogen, eilte Stein nach Berlin, wo er auf Verwendung des verdienstvollen Ministers von Heinitz am 10. Februar 1780 eine Anstellung in dem Departement des Berg- und Hüttenwesens als Referendar fand. Obgleich mit dem technischen Theile seines jetzigen Berufs noch wenig oder gar nicht bekannt, eignete er sich durch Fleiß und Beharrlichkeit bald die nöthigen Kenntnisse an, so daß ihn der ihm wohlwollende Minister schon nach zwei Jahren zum Oberbergrath vorschlug. Der König war mit dieser schnellen Beförderung keineswegs einverstanden und erklärte: er kenne den von Stein und dessen Fähigkeiten gar nicht; gleich Oberbergrath sei doch ein bischen viel; was er doch gethan habe, das zu verdienen? Um das zu werden, müsse man sich doch ein bischen distinguirt haben. Der Minister brachte jedoch so triftige Gründe vor, daß die Stelle an Stein schon den nächsten Tag verliehen wurde.

Mit der Direction des bedeutenden Bergamtes Witten in der Grafschaft Mark betraut, entwickelte Stein in seinem neuen Berufe eine ungemeine Thätigkeit; er gründete eine Bergamtsschule, sorgte für die vernachlässigte Communication und legte zwanzig Meilen Kunststraßen in kurzer Zeit an. Ein dauerndes Denkmal stiftete er durch die Schiffbarmachung der Ruhr, wodurch der Kohlenhandel jener Gegend einen großartigen Aufschwung erhielt. Als stimmführendes Mitglied in der Cleve-Meurs’schen und Märkischen Kammer führte er statt der bisherigen den Verkehr hemmenden Accise eine zweckmäßigere Steuer für die Städte und das platte Land ein, welche diese Hindernisse für immer beseitigte. Sein großes organisatorisches Talent fand von Seiten der Regierung und der von ihm verwalteten Gegend die vollste Anerkennung.

Mitten in dieser segensreichen Thätigkeit wurde er von Friedrich dem Großen zu einer diplomatischen Mission berufen. Die Uebergriffe Oesterreichs und das Streben des Kaisers, seine Macht in Deutschland zu vergrößern, forderte Friedrich’s Wachsamkeit heraus. Zum Schutze des bedrohten Bayern beschloß der König, einen Bund der mittleren und kleinen Reichsstände, ähnlich dem schmalkaldischen Bunde, zu bilden. Es galt, den verderblichen Plänen der österreichischen Vergrößerungssucht entgegenzutreten und die kleinen Fürsten zu gewinnen.

Unter diesen nahm der Kurfürst von Mainz, als erster geistlicher Fürst und Kurkanzler des Reichs, eine hervorragende Stelle ein. Zu ihm wurde Stein, der vermöge seiner Familienverhältnisse mit den dortigen Zuständen bekannt war, abgesendet, und es gelang ihm, dem jungen, kaum siebenundzwanzigjährigen Diplomaten, über die Intriguen des österreichischen und französischen Gesandten zu siegen. Trotzdem bat er um seine Zurückberufung, da der Redlichkeit, Offenheit und Wahrheit seines Charakters dies diplomatische Gaukelspiel voll Verstellung, List und Falschheit widerstrebte. Seiner früheren Wirksamkeit zurückgegeben, setzte er das begonnene Werk in einer Weise fort, daß ein Mann wie Alexander von Humboldt ihm das Zeugniß gab, daß Stein einer der ausgezeichnetsten Bergwerkskundigen seiner Zeit gewesen und zuerst bei der Salzfabrikation chemische Kenntnisse in Anwendung gebracht. So leistete er zunächst im Kleinen Großes, und bereitete sich in beschränkten Verhältnissen für die Leitung des ganzen Staates vor.

Nach dem Tode Friedrich des Großen schlug Preußen unter seinem Nachfolger, der sich von einem Wöllner und Bischoffswerder leiten ließ, jene verderbliche Politik ein, welche mit dem Ruin des Staates enden mußte. Obgleich die neue Regierung Stein ihre Zufriedenheit durch seine Ernennung zum Geheimen Oberbergrath zu erkennen gab, konnte er sich mit ihrem verderblichen System nicht einverstanden erklären. Er forderte einen längeren Urlaub, den er in Gesellschaft des originellen Grafen Schlabrendorf zu einer Reise nach England benutzte.

Hier, an der Quelle des parlamentarischen Lebens und einer freisinnigen Regierung, legte er den Grund zu einer großartigen Auffassung der heimischen Verhältnisse, indem er die Wohlthaten einer freien, ungehemmten Entwicklung für das Volk kennen lernte. Außerdem machte er sich die Fortschritte der englischen Industrie zu eigen, um sie auf seinen bisherigen Wiekungskreis anzuwenden. Mit dieser reichen Ernte von politischen und socialen Kenntnissen kehrte er in sein Vaterland zurück, wo er, nachdem er die ihm angetragenen Posten eines Gesandten nach dem Haag oder Petersburg ausgeschlagen hatte, zum ersten Director der Kriegs- und Domänenkammer zu Cleve und Hamm ernannt wurde.

Unterdeß war die erste französische Revolution ausgebrochen, zu deren Bekämpfung das absolutistische Oesterreich mit Preußen sich verband. Der Kreuzzug der Reaction gegen die junge Freiheit endete mit dem traurigen Rückzug aus der Champagne, welchem später der einseitige Friede folgte, den Preußen in Basel schloß, um freie Hand für die Theilung Polens zu erhalten.

Stein, dessen organisatorisches Talent zur Verpflegung des preußischen Heeres verwendet wurde, lernte in der Nähe die verderbliche Wirkung eines Cabinetskrieges, vor Allem aber „den weichlichen, selbstsüchtigen, den Staatsverein auflesenden Geist der Fürsten, die, gleichgültig gegen das Schicksal des Vaterlandes, nur für die Erhaltung ihres gebrechlichen Daseins besorgt waren,“ genau kennen. Mit Entrüstung sah er schon damals den Zwiespalt der Meinungen im preußischen Heere, die zwischen Preußen und Oesterreich herrschende Eifersucht, die Selbstsucht der kleineren Fürsten, von denen sich der Landgraf beider Hessen weigerte, mit seinen Truppen dem bedrängten Mainz zu Hülfe zu eilen, das er retten konnte. Stein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 585. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_585.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)