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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

No. 33. 1860.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Die Geschwister.
Erzählung von Dr. J. D. H. Temme.
(Fortsetzung.)

Im Jahre 1813 war der alte Graf Gotthard von Hochstadt einer der Ersten gewesen, die dem Könige ihre Dienste anboten. Man hatte ihm ein Landwehrregiment anvertraut, das er freilich zum großen Theile selbst gebildet hatte. Noch im Laufe des Feldzugs war er wegen seiner militairischen Talente und Verdienste zum Brigadegeneral befördert worden. Er hatte eine Landwehrbrigade geführt. Nach der Einnahme von Paris hatte er seinen Abschied genommen. Nach der Rückkehr Napoleons von Elba war er wieder einer der Ersten auf dem Platze. Er wurde Divisionsgeneral. Nach dem zweiten Pariser Frieden nahm er wieder seinen Abschied, um sich ganz auf seine Güter zurückzuziehen. Er hatte nie eine andere Uniform, als die der Landwehr getragen.

Der Landwehr habe das Vaterland seine Befreiung zu verdanken. Nur die im Volke wurzelnde Landwehr sei auch künftig die feste Mauer gegen äußere Angriffe auf das Vaterland. Heute sammelte der alte, tapfere, stolze General Gaben für einen alten Leierkastenmann; der Leierkastenmann war freilich ein alter, invalider Landwehrmann, sein Camerad.

spielte der Leierkasten. Der General hatte seinen Hut in die Hand genommen. Er selbst warf zuerst einen Doppellouisd’or hinein. Das Mädchen an seinem Arm erröthete höher. Die arme Henriette hatte nichts hineinzuwerfen. Sie wollte ihr Gesicht verbergen.

„Halt, mein Kind,“ sagte der General. „Sie haben schon die reichste Gabe gegeben. Aber ich muß noch mehr thun.“

Er warf dem ersten Doppellouisd’or einen zweiten nach. Dann trat er, das Mädchen am Arm, zu dem nächsten Tische. Er hielt den offenen Hut hin.

„Für den Leierkastenmann, meine Herrschaften! Ein alter Camerad bittet für ihn.“

Er sprach es freundlich, aber mit der kurzen, derben militairischen Stimme des alten Generals und mit dem vollen Stolze des stolzen Aristokraten. Die „Herrschaften“, alle die eleganten und vornehmen Menschen auf dem weiten Platze, hatten schon längst verwundert aufgeschaut, die reichen Kaufleute der Stadt, ihre hochmüthigen und geputzten Frauen, der sich stolz und vornehm zurückhaltende Adel der Nachbarschaft, die steifen Stabs- und die beweglichen Subaltern-Officiere der Garnison.

Als das Mädchen zu dem Invaliden geeilt war, hatten sie die Nasen gerümpft, gespöttelt, gezischelt. Nur ein paar Lieutenants hatten die Bemerkung gemacht: „ein hübsches Kind.“ Wogegen aber einige derbe Rittmeister gemeint hatten: „zu mager!“

Als dann aber der alte Graf Hochstadt hinzugetreten war, war eine allgemeine Stille entstanden. Nur in höchster Überraschung hatte man sich zugeflüstert:

„Der Graf Hochstadt!“ die Adligen.

„Der reiche Graf Hochstadt!“ die reichen Kaufleute.

„Zum Teufel, der General Hochstadt!“ die Officiere.

„Was mag er wollen?“ fragten sie sich Alle.

Sie sahen es bald. Und sie sahen zugleich ein anmuthiges, ein schönes, ein edles Bild. Der hohe Greis war ein schöner Mann. Er schritt stolz einher, nur im einfachen schwarzen Rock, aber auf diesem Rocke die Ordenszeichen des ältesten Adels und der höchsten militairischen Tapferkeit. Neben ihm das zarte, schöne Mädchen von siebzehn Jahren, gleichfalls einfach, in einem abgelegten Kleide ihrer Schwester, aber an dem Arme des vornehmen und tapferen Greises, der sie mit einer Achtung, selbst mit einer Ehrerbietung führte, als wenn er einer Fürstin hätte seinen Arm bieten dürfen. Sie weinte nicht mehr; aber sie zitterte auch nicht mehr. Das Bewußtsein einer guten That erhebt und stärkt unwillkürlich auch das bescheidenste und schüchternste Herz. Eine leise Röthe verschämter Verwirrung hatte noch immer ihr feines Gesicht bedeckt. Aber ihre Augen glänzten in Freude, in Glück und in Demuth. Kein Mensch rümpfte mehr über sie die Nase.

„Teufel, sie ist schön!“ riefen jetzt eifrig die Lieutenants, ohne daß ein derber Rittmeister widersprach.

„Sie ist reizend,“ sagten selbst die stolzesten Frauen.

Und Jeder, an den der alte General mit ihr herantrat und mit seiner kräftigen Stimme die Bitte richtete: „Für den Leierkastenmann, meine Herrschaften!“ warf gern seinen Beitrag in den Hut hinein, und die reichen Kaufleute wollten auch gegen den reichen Grafen nicht zurückbleiben.

An den Tisch seines Neffen und der schönen reichen Wittwe ging der Graf Hochstadt zuletzt.

„Für den Leierkastenmann! Ein alter Camerad bittet für ihn!“ sagte er auch hier, nicht anders, als an den anderen Tischen.

Sie gaben, wie die Anderen. Die reiche Dame doch wohl nur mit schwerem Herzen. Der Hut des Generals war voll, er war voll und schwer. Er mußte ihn schon unter dem Arme tragen.

„Könnten Sie ihn tragen, mein liebes Kind?“ fragte er das Mädchen.

„O, gewiß.“

„So machen Sie den alten Mann glücklich! Nicht wahr, Sie thun es?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 513. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_513.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2017)