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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Summe einsetzt. Es ist eine Speculation auf den Kosmopolitismus der Industrie und des Handels, auf den Fleiß und Schweiß aller Völker, ein freies, großes Privatunternehmen, dem es auch freistehen muß, die Bedingungen zu stellen, unter welchen die Menschen der Erde sich betheiligen sollen. Da es letzteren ebenfalls vollkommen freisteht, sich diesen Bedingungen zu fügen oder nicht, wird im schlimmsten Falle Niemand betrogen, da er sich dann immer nur selbst betrogen haben würde.




Das Voigtland und die Voigtländer.

(Schluß.

Mehr noch, als in seiner Tracht, spricht sich der Stammescharakter des Voigtländers in seiner Mundart aus, die auf dem Lande noch ihr volles provinzielles Gepräge behalten, aber selbst in den Städten sich noch nicht ganz verwischt hat. Sie zeichnet sich durch eine gewisse Derbheit, gezogene Gedehntheit und dumpfere Aussprache der Vocale aus, und wenn man den echten Voigtländer hört, möchte man an seine geradlinige Abstammung von den alten Angelsachsen glauben; soviel verwandte Anklänge an das Englische vernimmt man aus seinem Munde. Besonders die Aussprache des a läßt in den meisten Worten das echt englische hören. „Iech hoa soat“ (ich habe satt) – „holt er ä wäng oah!“ (halt er ein wenig an!) spricht der voigtländische Bauer, und einen Kühjungen hörten wir einst singen:

„Söllt’ iech nett lustig sei?
Bih gu nett krank, nett krank!
Unn’re Poar Lebensgoahr’
Dauern nett langk, nett langk!“

Auch seine besondern Wortformen und Wortbildungen hat der Voigtländer; so verwechselt er regelmäßig das Präsens und den Imperativ mancher Zeitwörter, und giebt auf die freundliche Einladung: „Eß doch noch ä wäng!“ die Antwort: „Iech iß scho!“ Ebenso erkennt man ihn leicht an dem Weglassen des halbstummmen e am Ende der Hauptwörter („die Mütz, die Stub, die Küch“) und an der Verkleinerungssylbe el statt chen („das Häusel, das Oechsel, das Mädel“ – im Plural: Häusle, Oechsle, Mädle); die dumpfere Aussprache des a und des ei vermag aber selbst der gebildete Voigtländer, der seine Heimath nie auf die Dauer verlassen, nur schwer und selten ganz zu überwinden. Eigenthümlich ist, daß in der Gegend um Adorf das r theils weggelassen wird, wo es hin gehört, theils wieder merkwürdig schnarrend hinzugesetzt, wo es nicht hingehört, wie denn z. B. „d’rob’n br’ uns“ die sprüchwörtlich gewordenen „Adöffe Butteweibe“ von dem „rothen R’oberrock“ sprechen, den die Frau „Amtmänne af der letzten Kirrwe oagehot hot“.

Wie in seiner Sprache, ist der bäuerliche Voigtländer auch in seiner Lebensweise, seinem Verkehre mit Andern, seinen Vergnügungen und Gewohnheiten derb und etwas schwerfällig, aber treuherzig und gemüthlich. Ihm besonders eigene Volksfeste oder Volksspiele hat er eben nicht; die festlichen Tage, die ihm den gewohnten Kreis des Lebens freundlich unterbrechen, sind an die Ereignisse der Familie und der ländlichen Beschäftigung geknüpft. Bei einem „Guten Muth“ (wie er die Kindtaufe nennt), bei einem „Hochzich“ (Hochzeit), bei dem Erntefest und der „Kirrwe“ (Kirchweih) geht es im Hause und in der Schenke je nach Kräften hoch her, und die letzteren Feste werden besonders vom jungen Volke mit unermüdlicher Tanzlust gefeiert, wobei der alte mit Gesang verbundene „Rondar“ immer mehr von den modernen Salontänzen verdrängt wird, die sich auf einem voigtländischen Dorftanzboden freilich wunderlich genug ausnehmen. Von alten Hochzeitsgebräuchen hat sich hie und da nur noch der feierliche Einzug der Braut in die neue Wirthschaft erhalten, bei dem sie auf ihrem mit Blumen geschmückten, von kräftigen Ochsen gezogenen „Kammerwagen“ hoch oben auf ihrem „Kistengeräthe“ und „Fahruß“ thronend einherfährt, wenn sie in ein anderes Dorf heirathet.

In seiner Nahrungsweise ist der Voigtländer im Ganzen mäßig und nüchtern. Der sonst viel häufigere Genuß des Branntweins wird durch die in überall entstandenen Brauereien erzeugten besseren Biere immer mehr und mehr beschränkt. Ein Hauptnahrungsmittel der Reichen – mit Fleisch – und der Armen – leider meist ohne Fleisch – ist und bleibt die Kartoffel, die aber auch im Voigtlande ein wahrer Proteus der Küche ist. Ein voigtländisches Städtchen bewirthete einen sächsischen Prinzen einmal mit einem Mittagsessen von vielen Gängen, deren jeder die Kartoffel in anderer Gestalt als Hauptbestandtheil enthielt, und die Gerichte sollen dem durch den Hofkoch verwöhnten Gaumen des hohen Herrn ganz prächtig gemundet haben. Außer den gewöhnlichen Kartoffeln in der Schale und den unvermeidlichen Begleitern des Beefsteaks, den geschmorten, kennt das Voigtland gebratene, gebackene, eingeschnittene Erdäpfel, Erdäpfel in der Pfanne, süße und saure Erdäpfelspalten, Erdäpfelsuppen verschiedener Art, Erdäpfelbrei, Erdäpfelkuchen, Erdäpfeltorte, und vor Allem „Bambus“ und „Klöße“. Letztere, welche in zwei Species, als gewöhnliche und als grüne oder „grüngeniffte“ auftreten, fehlen in Stadt und Land fast bei keinem Sonntagsbraten.

Wie alle Bergbewohner ist der Voigtländer ein großer Freund des Gesanges, und an schönen Sommerabenden hört man gar oft die einfachen Weisen bekannter Volkslieder, von frischen Mädchenstimmen oder aus der kräftigen Kehle junger Burschen gesungen, durch das Dorf ertönen, ja selbst aus den Fabriksälen in den Städten, wo Dutzende von Arbeiterinnen mit der Vorrichtung der „weißen Waare“ beschäftigt sind, schallt nicht selten ein munterer Gesang heraus, der ihnen die einförmige Arbeit verkürzt. Jetzt giebt es in allen Städten und in vielen Dörfern des Voigtlandes Gesangvereine, die durch Einführung besserer Lieder viel zur Veredlung des Volksgesanges und der Bildung überhaupt beigetragen haben. – Nicht minder beliebt, als frischer Sang aus froher Menschenbrust, sind die Freiconcerte, welche die kleinen befiederten Sänger der Gärten und Wälder zum Besten geben. Leider aber wird diesen kleinen Virtuosen der Natur zum Danke für ihre schönen Leistungen, besonders in den Waldgegenden des obern Voigtlandes, gewaltig nachgestellt, und sie müssen die goldene Freiheit meist mit trauriger Gefangenschaft vertauschen. Die Amsel, die Grasmücke, die man die voigtländische Nachtigall nennen möchte, der Fink, zumal wenn es ein richtiger „Reitzugfink“ ist, der Gimpel, der prächtig pfeifen lernt, sind die gesuchtesten Stubenvögel, mit denen selbst der Arme die dürftigen Brocken gern theilt. Neben ihnen ist der merkwürdige Bewohner der voigtländischen Wälder, der Kreuzschnabel, der um Weihnachten sein Nest baut, und von dem die von Julius Mosen in einem herrlichen Gedichte behandelte Sage geht, daß er seinen krummen, verbogenen Schnabel und die rothen Blutstropfen auf seinem Gefieder von dem vergeblichen Bemühen, dem am Kreuze blutenden Erlöser die Nägel aus den durchstochenen Händen zu ziehen, erhalten habe – ein häufiger Stubengenosse des Voigtländers; denn wenn er auch nicht singen kann, so heilt er dafür, nach dem alten Volksglauben, die Gicht und das Reißen, indem er diese Krankheiten aus dem Körper der in seiner Nähe Weilenden in sich aufnimmt und nach und nach hinsiechend für Anderer Rettung zum Opfer fällt.

Werfen wir nun noch einen Blick auf die Beschäftigungen des Voigtlandes, so begegnet uns überall ein frisches, emsiges Leben und Treiben; denn ein fleißiges Völkchen sind die Voigtländer in Stadt und Land. In den Städten und Städtchen – die in den letzten Jahrzehnten fast alle nach großen Bränden, einer natürlichen Folge der alten Schindelbedachung, mit netten, stattlichen, schiefergedeckten Häusern neu aus der Asche erstanden sind – ist eine Fülle und Regsamkeit des Gewerbfleißes zusammengedrängt, dessen Erzeugnisse sich über die ganze bewohnte Erde verbreiten. Auf Markneukirchner und Klingenthaler Geigen und Clarinetten spielt der Nigger dem Yankee zum Tanze auf, die wollenen Kleiderstoffe und gedruckten Tischdecken Reichenbach’s sind auf den fernsten Märkten gesucht und beliebt, und die vornehme Dame, welche auf den Bällen in Petersburg oder Stockholm mit dem wundervoll gestickten Taschentuche sich Luft zufächelt, ahnt nicht, daß die fleißige Hand einer Bäuerin in dem fernen Voigtlande, das sie nicht einmal dem Namen nach kennt, das feine Linnengewebe mit diesen geschmackvollen Blumen und Arabesken verziert hat, denn ihr ist es natürlich als echtes Pariser Fabrikat verkauft worden, mit dem es auch dreist in die Schranken treten kann und auf der Pariser Ausstellung vor zehn Jahren wirklich in die Schranken getreten ist. – Ueber das ganze Voigtland erstreckt sich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 287. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_287.jpg&oldid=- (Version vom 4.5.2022)