Seite:Die Gartenlaube (1861) 464.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Der Wachtmeister trat hinzu und befühlte Hände und Brust der Frau. „Da ist nicht mehr zu retten und zu helfen,“ sagte er, „die arme Frau hat’s überstanden … aber kommt, Vesi, Euch kann noch geholfen werden! – Macht’s mit Euch selber aus, Durnerbauer, was Ihr gethan habt,“ fuhr er, zu diesem gewendet, fort, „vor der weltlichen Obrigkeit werdet Ihr es nicht zu verantworten haben, denn Eure Tochter wird Euch nicht anklagen, und ich will schweigen, ihretwegen und wegen Eures braven Martin, der mein Kriegscamerad gewesen ist!“ – Damit trat er zu Vesi, suchte sie emporzuziehen und sagte: „Kommt, Vesi, Ihr seid in dem Hause nicht mehr sicher; folgt mir, ich will Euch an einen Ort bringen, wo Ihr gut aufgehoben sein sollt.“

Vesi verharrte in ihrer Stellung und schüttelte mit dem Kopf. „Ich dank’ schön, Herr Wachtmeister,“ rief sie unter Thränen, – „aber ich geh’ nit fort. In das Haus gehör’ ich, und da muß ich aushalten … Die Mutter ist todt, der Vater wär’ jetzt ganz allein… Geht nur in Gott’s Namen, Herr Wachtmeister… wenn ihn auch der Zorn übergangen hat … es hat keine Gefahr für mich bei meinem Vater!“

„Hört Ihr das?“ sagte der Wachtmeister zu dem Bauer, der mit dem Fallen des Schusses todtenblaß, aber unbeweglich dagestanden war und die Büchse fest in den Händen hielt. „Könnt Ihr das hören, und es rührt Euch nicht?“

In das Angesicht des Bauers kehrte Leben und Röthe zurück, mit ihnen aber auch der Hohn und die alte Wildheit.

„Oho,“ lachte er grimmig, „mich macht man so leicht nicht kleinmüthig! Sie meint wohl, sie zwingt mich zuletzt doch noch mit ihrem Gewinsel … Hat sie mich denn schon gefragt, ob ich sie behalte, wenn sie bleiben will? Wenn sich Eins von uns demüthigen und zum Kreuz kriechen muß, ist sie’s! – In meinem Haus ist kein Platz für Leut’, die nit thun was ich will, und hab’ ich heut meinen Sohn verloren und mein Weib dazu, was frag’ ich darnach, wenn ich auch noch die Tochter verlier’!…“

Vesi wendete sich auf den Knieen und blickte nach dem Vater hin, die Thränen stockten in ihren starr aufgerissenen Augen.

„Rede,“ schrie er sie mit steigender Bewegung an, „gieb mir eine klare Antwort. Entweder Du bleibst bei mir und thust, was ich von Dir verlang’, oder Du bist mein Kind nit mehr und marschirst mir aus dem Haus noch in der Viertelstund’ … Red’, sag ich – ich hab’ noch eine zweite Kugel im Lauf…“

„Fort, Vesi,“ rief der Wachtmeister dazwischen springend, als er wirklich wieder eine Bewegung mit dem Stutzen machte. „Kommt mit mir – Ihr seht, daß er von Sinnen ist!“

– – „So will ich wenigstens noch Abschied nehmen – von meiner todten Mutter,“ erwiderte Vesi und drückte noch einen langen, innigen Kuß auf die fühllosen, erstarrenden Lippen der Leiche. Dann blickte sie ihr noch einen Augenblick mit verschwimmenden Augen in das entseelte Gesicht, auf welchem jetzt ein Friede lag, der ihm seit langer Zeit fremd gewesen im Leben. Rasch sich erhebend schritt sie dann der Thüre zu.

An dieser brach die gewaltsam angespannte Kraft, sie schwankte und wäre zusammengesunken, wenn nicht der Wachtmeister sie unterstützt hätte. An seinem Arme wankte sie über die Schwelle des väterlichen Hauses auf den zierlichen Wegen die Anhöhe hinab.

Als sie einige Schritte gegangen war, flog ihr aus der Thüre ein Bündel nach. Der Bauer hatte, als er sie gehen sah, den Kasten aufgerissen und, was ihm von ihren Kleidern zuerst in die Hände kam, in einen Pack zusammengebunden und schleuderte ihn der Scheidenden nach.

Schweigend hob sie ihn auf und schritt weiter, während die Thüre des Hauses schwer zufiel und der von innen vorgestoßene Riegel rasselte. – –

– – – Einige Tage später fand für dieses Jahr die letzte Aufführung der Passionsvorstellung statt. Dieselbe wurde damals nicht so oft wiederholt, als es seither üblich geworden; auch war der Besuch von Zuschauern um Vieles geringer, so daß häufig die Mühe der wackern Ammergauer unvergolten blieb und der Gemeindeseckel statt des jetzt sich ergebenden ansehnlichen Gewinns nicht selten ein beträchtliches Sümmchen auf die Kosten zu zahlen bekam. Diesmal war der Zudrang ungewöhnlich, denn das Spiel war lange verboten gewesen und jetzt in noch ungesehener Pracht und Schönheit der Anzüge wie der ganzen Ausstellung wieder hergestellt worden.

Die letzten Töne des Schluß-Hallelujah der Schutzgeister waren verklungen, und erschüttert drängte das Volk nach allen Seiten durch die vielen Ausgänge in’s Freie. Während die Einen zur langentbehrten leiblichen Erholung den verschiedenen Wirthshäusern zueilten, sammelten sich rings die Gruppen der Wallfahrer, welche aus Tyrol und Schwaben herbeigekommen und sich betend zur Rückwanderung anschickten. Bald rasselten Fuhrwerke aller Art zu den beiden Enden des Dorfen hinaus, und durch den anmuthigen Ammergrund hin schlängelten sich die nicht abbrechenden Züge der Fußwanderer.

Unweit des Schauplatzes hielt eine glänzende Equipage, mit vier prachtvollen Rappen bespannt und von reich galonnirter Dienerschaft umgeben. Dahin begleiteten einige Männer ehrfurchtsvoll einen etwas beleibten stattlichen alten Herrn mit einem mächtigen Ordensstern auf dem Oberrock. Es war der damals allmächtige Minister Montgelas, der eigens von München gekommen war, die Bauernkomödie zu sehen, welche er als der Aufklärung der Zeit widersprechend verboten, und die der leutselige Max Joseph gegen seinen Willen gestattet hatte. Er war von der Aufführung sehr befriedigt und nickte noch aus dem Wagen gnädig auf den Pfarrer Albinus Schweiger, Pater Ottmar Weiß und Lehrer Dedler heraus, welche mit entblößten Häuptern denselben umstanden. „Leben Sie recht wohl, meine Herren,“ sagte er, „danken Sie allen Ammergauern von mir für den seltenen Genuß, den sie mir bereitet haben, und sagen Sie ihnen, ich werde es Seiner Majestät dem König genau erzählen und dafür sorgen, daß es ihnen nie mehr verwehrt werden soll, die Passion zu spielen!“ Damit rollte der Wagen hinweg, und die Männer eilten der Bühne zu, den Mitwirkenden diesen neuen und gewichtigen Beweis zu bringen, wie gut sie ihre Sache gemacht hätten.

(Fortsetzung folgt.)

Kleiner Briefkasten.
Zur Nachricht.

Es werden uns häufig Manuscripte unter Chiffre gesandt, mit der Bitte, sie im Falle der Nichtverwendung unter jener poste restante zurückgehen lassen. Wir bemerken, daß die Rücksendung auf diese Weise nur in Briefform, also für höheres Porto stattfinden kann, da Packete mit Chiffre ohne bestimmte Adresse von der Post nicht angenommen werden. Man wolle daher in Fällen, wo das Manuscript des niedrigern Porto’s wegen als Packet unter Chiffre zurückgehen soll, mit dieser zugleich eine bestimmte Adresse bezeichnen, damit die Absendung nicht aufgehalten wird.




A. S. in W. Auf unsere an Sie gerichteten Privatanfragen hatten Sie keine Sylbe Antwort, obwohl wir Sie dringend darum ersuchten. Werden Sie es unbillig finden, wenn wir dagegen Ihre „poetischen Lebenszeichen“ unbeachtet lassen?

M. M. in N. Nicht angenommen.

W. in B. Wollen Sie uns mit dem Beitrag für Glarus zwingen, Ihr Buch zu besprechen? Dann ziehen Sie die Gabe der Speculation gefälligst zurück.

G. W. in W. „Gruß an die Heimath“. Gut gemeint, aber schwach.

Der Bekannte aus Hannoverland. Wir haben das Vergnügen, Sie nicht zu kennen, und möchten Sie auch freundlichst ersuchen, Ihrerseits dieses Vergnügen durch Unterlassung aller weiteren Zuschriften zu verlängern. Ihr „Offener Brief an den Nationalverein“ und die aus dem Jahre 1848 stammenden Gedichte enthalten so viel ausgezeichnete Proben des höheren Blödsinns, daß wir mit dieser ersten Sendung vollständig befriedigt sind.

W. in I. Sie werden nächstens Ihren Wunsch erfüllt sehen.

K. in W. Lieber Herr, das ist zu viel verlangt! Wir kennen wirklich die Preise der Londoner Hotels nicht und können Ihnen beim besten Willen nicht sagen, wo Sie in London am billigsten logiren. Fragen Sie gefälligst Bädeker’s Reisehandbuch, die Redaction der Gartenlaube hat augenblicklich einige nothwendigere Angelegenheiten zu erledigen.

Schm. in St. P. Gesandte Tratte ist längst an das Comité der Arndtstiftung abgegeben.

v. R. in Riga. Wir haben kein Manuscript unter dem angegeben Titel empfangen.

R. O. in Mannheim. Sie haben sich nicht getäuscht. Der Held der Temme’schen Erzählung: „Deutsche Herzen, deutscher Pöbel“ ist allerdings der standrechtlich erschossene A. v. T –r.

Drei Bursche. Enthält viel Schönes, eignet sich aber nicht zur Illustration.

Hfd. in Mühlh. Wir können beim besten Willen nicht überall helfen. Suchen Sie in Ihrer nächsten Nähe die nöthigen Mittel.



Zur gefälligen Beachtung.

Durch eine kleine Erholungsreise bin ich für die nächsten drei Wochen an der Beantwortung der eingehenden Briefe und Manuscriptsendungen behindert. Ich bitte für diese Zeit um freundliche Nachsicht.

Ernst Keil.     

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 464. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_464.jpg&oldid=- (Version vom 9.11.2022)