Seite:Die Gartenlaube (1861) 615.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Viehes wieder einzufangen, und – glücklicherweise befand sich unter den von den Kabylen geraubten Gegenständen nichts, was einen besonderen Werth für mich hatte oder ein unersetzlicher Verlust gewesen wäre.

Dieser Vorfall hatte mir indessen gezeigt, wie wenig selbst die Nähe der Stadt Algier und des Forts, unter dessen Kanonen gewissermaßen meine Besitzungen lagen, mich vor der zu großen Nachbarschaft der Kabylie schützte, und ich beschloß deshalb die erste günstige Gelegenheit oder Offerte zu benutzen, um in einer besseren Gegend mich niederzulassen. Noch im Laufe des Sommers fand sich ein Malteser, dem meine Ländereien gefielen und der die Absicht hatte, dieselben zur Anlage einer Rübenzuckerfabrik zu benutzen. Ich schloß mit ihm einen sehr vortheilhaften Handel ab und unternahm gleich darauf, nur von meinem aus Deutschland mitgebrachten Diener begleitet, von Algier aus zur See die Reise nach Oran, um in dieser in jeder Beziehung besseren Provinz mich anzukaufen. Nach einer vierzehntägigen Abwesenheit kehrte ich als Eigenthümer der Grundstücke zurück, in deren Besitz Sie mich noch heute sehen und deren Bewirthschaftung ich im Herbst 1841 übernahm. Ich hatte allerdings auch hier im Anfang mit vielen Unannehmlichkeiten zu kämpfen, indem die Provinz nur erst seit Kurzem und noch nicht einmal in ihrer heutigen Ausdehnung sich unter französischer Botmäßigkeit befand; allein hier hatte ich wenigstens die Kabylie nicht zur Nachbarschaft, sondern nur die weit friedlicher gesinnten Stämme nomadisirender Araber, ohnehin schon seit vielen Jahrzehnten an die eingewanderten Spanier gewöhnt, bevölkerten hin und wieder die Umgegend; von ihnen hatte man höchstens kleine Diebereien zu befürchten, vor denen man sich ja schützen konnte. Außerdem war in unmittelbarster Nähe meiner Niederlassung ein permanentes Lager etablirt, in dem sich durchschnittlich 2 bis 3000 Mann Truppen befanden. Noch andere Colonisten kamen nach und nach hinzu, und so entstand mit der Zeit das Dorf, dessen ältester Einwohner und, wenn Sie wollen, Begründer ich bin. Von Jahr zu Jahr ging es mit meiner Haus- und Feldwirthschaft besser und wurde sie einträglicher; mein Viehstand vermehrte sich mehr und mehr. Im Anfang hatte ich mir eine hölzerne Baracke gebaut, dann ein etwas größeres und solideres Gebäude ausgeführt, und endlich – im Jahre 1850 – habe ich das Haus gebaut, welches Sie jetzt vor sich sehen, und ihm die nöthigen Stallungen und Wirthschaftsgebäude hinzugefügt. Das Alles ist mein zwar mühsam und oft gefahrvoll, doch vollkommen rechtmäßig erworbenes Eigenthum. Meine Felder sind in gedeihlichem und gesegnetem Zustande, mein Weizen ist auf dem Markte zu Oran der gesuchteste und ohne Widerrede höher bezahlt als jeder andere; ich bin der Erste, dem es geglückt ist, hier eine Baumwollenpflanzung in’s Werk zu setzen und nicht unbeträchtlichen Gewinn aus ihr zu ziehen; wenn es sich um Lieferungen für die Truppen handelt, werden mir von Seiten der Behörden Privat-Offerten gemacht, bevor öffentliche Bietungstermine angesetzt werden. Ich habe einige Mal Gelegenheit gehabt, der Behörde nicht unwesentliche Dienste zu leisten, und besitze dafür deren unbegrenztes Vertrauen – mit einem Worte, ich bin zufrieden mit meinem Loose und wünschte nur, daß ein jeder deutsche Colonist hier ein Gleiches sagen könnte. Doch dem ist nicht so; denn leider findet man unter den hier lebenden Landsleuten nur wenig wirklich brave und rechtschaffene Leute; den bei weitem größeren Theil der hiesigen Deutschen haben traurige und compromittirende Antecedentien zur Uebersiedelung nach Afrika veranlaßt. Ich habe in dieser Beziehung manche herbe Erfahrung gemacht, um so mehr als ich seit der Gründung des Dorfes Ortsvorsteher (Maire) in demselben bis auf den heutigen Tag gewesen bin.

Nun, Herr Lieutenant, kennen Sie meine Schicksale; sollten Sie einmal nach Deutschland und wohl gar in meine liebe Heimath kommen, so erzählen Sie nur den Leuten dort, daß der Christian Wöhler es nicht bereut, nach Afrika gegangen zu sein, daß er jedoch durch langjährige Erfahrung hier zu der Ueberzeugung gekommen ist, daß nur solche Colonisten glücklich werden mögen, die ein gutes Gewissen mitbringen und an deren Anlagecapital kein Fluch oder gar Schlimmeres klebt!“ ...

„Recht so, mein Freund,“ entgegnete ich und schüttelte die dargebotene Rechte des Biedermannes. Ich hätte gern noch länger mit ihm geplaudert; allein meine Dienstpflichten nahmen jetzt meine Zeit in Anspruch, und ich beschloß, da das Commando noch vor Tagesanbruch die letzte Etappe nach Sidi-bel-Abbès antreten sollte, und ich bis dahin zu viel zu thun hatte, um noch einen Besuch bei der Colonistenfamilie machen zu können, gleich definitiven Abschied zu nehmen. Die sämmtlichen Bewohner des Hauses hatten sich inzwischen nach und nach im Garten eingefunden. Wöhler’s ältester Sohn, ein rüstiger junger Mann von 26 Jahren, zeigte mir auch seine in jener Schreckensnacht verstümmelte Hand, von welcher ihm Zeige- und Mittelfinger abgeschossen waren. Auch den mehrerwähnten treuen Diener Wöhler’s, den dieser noch aus Deutschland mitgebracht, lernte ich kennen. Elise, die kleine Nichte, nahm mich dann noch in Beschlag und wollte mir die Herrlichkeiten der Ställe und des Hühnerhofes, sowie die zahmen Gazellen, Schakals, Strauße etc. zeigen; allein ich brach kurz ab, indem ich herzlich und freundlich dankend mich verabschiedete. Doch mußte ich Allen das feierliche Versprechen ablegen, meinen Besuch unfehlbar jedesmal zu erneuern, wenn ich – was allerdings nicht selten geschah – durch Tlelat passirte.

Als ich mit meinem Fritz die breite, einzige Straße des Ortes hinunterschritt, kamen wir unter Andern an eine offene Hausthür, vor welcher unter dem Schatten einer Akazie zwei Frauen saßen, Mutter und Tochter, wie ich nachher erfuhr. Fritz grüßte sie mit einem „guten Abend!“ – Erfreut erhoben sich Beide, und die Tochter sagte im reinsten und unverfälschtesten Dialekt des Elsaß: „O! sprachet ’r aach dietsch?“

Als wir darauf einige Minuten uns mit den beiden Frauen unterhalten hatten, sagte mir die Mutter ganz treuherzig: „’r spraachet a racht schlachtes Dietsch.“ – Die gute Frau hielt ohne Zweifel den Elsässer Dialekt für das richtige und reine Deutsch und meine Aussprache für eine verdorbene und falsche. Doch ließ sie es sich nicht nehmen, uns mit einem Glase Piquette (eine Art Dünnbier) zu tractiren und uns zugleich mit vieler Zungengeläufigkeit Einiges aus, der Chronique scandaleuse des Ortes zu erzählen.

Endlich waren wir in unserer Zeltstadt angelangt, wo bald ein erquickender Schlummer mich für den letzten starken Marsch stärkte. Die Sonne sank schon gegen die fernen Gebirge des Atlas hinab, als wir am folgenden Tage, von der herrlichen 80 Mann starken Musik unseres Regiments eingeholt, in unser Standquartier Sidi-bel-Abbès einrückten. Noch zu verschiedenen Malen habe ich späterhin meinen Besuch im Hause des braven Wöhler erneuert und mich stets der besten und herzlichsten Aufnahme zu erfreuen gehabt.

Theodor Küster.




Christenverfolgung in Italien.


Die Gartenlaube hat erst jüngst ein Beispiel erzählt, in welcher Weise das Volk in Deutschland beim alten Glauben erhalten oder zu ihm zurückgeführt wurde: die Geschichte von den Salzburger Auswanderern. Wenn nun selbst im deutschen Oesterreich, wo die Inquisition niemals und am wenigsten in spanischer und italienischer Weise Eingang gefunden, eine solche Ausrottung des Protestantismus möglich war, wie sollte in Italien der Kampf des armen verlassenen Volkes gegen die Allgewalt des Papstthums enden?

Alle Schilderungen über die Christenverfolgungen, welche von den heidnischen Römerkaisern, selbst einem Nero, verhängt worden sind, verlieren von dem Gräßlichen ihres Eindrucks, sobald sie neben die Entdeckungen gestellt werden, welche die Durchforschung der Inquisitionsgebäude und Archive in Rom, zur Zeit der römischen Republik von 1849, zu Tage gefördert hat. Martern, wie nur eine teuflische Phantasie sie ersinnen kann, sind hier verübt worden seit jenem 1. April 1543, an welchem Paul III. die ersten Generalinquisitoren ernannte und die „Congregation des heiligen Officiums“ in Rom gegründet hatte, bis fast zur jüngsten italienischen Fürstenflucht. Man hat Protestantischgesinnte mit Pech bestrichen und so lebendig verbrannt, man hat sie öffentlich mit eisernen

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 615. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_615.jpg&oldid=- (Version vom 14.10.2022)