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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Tage der Jugend, der Täuschungen liegen hinter mir. Ich bin nicht mehr der glückliche Jüngling, der einst zu dem Weibe wie zu einer Gottheit empor schaute, ich habe das Weib kennen gelernt in seiner Schwäche – aber ich vermag mich dessen nicht zu freuen. Dich zu sehen, Dir zu folgen, stürzte ich mich in den Kreis des Hofes, für dessen Glanz und Schimmer Du mich aufgeopfert. Ich sah, wie Du verarmten Herzens nach Zerstreuung suchtest, ich sah, wie Du, hineingezogen in den Ehrgeiz Deiner neuen Familie, Dir selbst nur noch ein Mittel zur Erreichung Deiner Zwecke warst – und doch wollte ich mich darüber täuschen, doch wollte ich Anderm verbergen, was ich mir selber nicht verhehlen konnte, daß Du der Liebe nicht mehr werth warst, die ich für Dich in meinem Herzen nicht ertödten konnte.“ Er hielt abermals inne, und abermals entstand eine Pause. Die Marquise hatte sich in zorniger Bewegung erhoben und sich wieder niedergesetzt, als wolle sie sich zur Geduld zwingen, indeß ihr Auge fing an, sich spähend auf die Thüre zu richten, durch welche der Graf gekommen, und die leise, aber schnelle Bewegung, mit welcher sie den geschlossenen Fächer öffnete und wieder zusammenfaltete, zeigte, wie wenig ihre Gedanken bei der Unterredung waren, wie antheillos ihr Herz sich dabei verhielt, und wie ungeduldig sie den Schluß derselben ersehnte.

„Wir müssen ein Ende finden, Graf!“ sagte sie plötzlich, indem sie wieder aufstand, „und Sie sollen deutlich in meiner Seele lesen. Sie selbst haben es ausgesprochen, ich bin nicht glücklich. Sie haben auch darin Recht! Die Zerstreuung, nach der ich hasche, die Galanterie, in die ich mich verstricke, sie befriedigen mich nicht, sie erfüllen den Zweck nicht, mich vergessen zu machen, daß ich mein wahres, mein einziges Glück mit dem hochfahrenden Leichtsinn der Jugend, mit der schwachen Abhängigkeit des unerfahrenen Mädchens unwiederbringlich verscherzt habe. Wenn dies Gefühl mich bisweilen überwältigte, wenn ich Ihnen zu Zeiten nicht genug verbarg, wie ich noch immer an Sie gefesselt war: wollen Sie, eben Sie mich dafür tadeln? Und wenn die Scheu, dies Geheimniß dem Auge meines Gatten, dem Auge der Welt verrathen zu sehen, mich dazu antrieb, mich irgend einer Bewerbung, einer Galanterie geneigt zu zeigen, von der meine Gedanken fern, wer weiß wie fern waren, wollen Sie mir daraus ein Verbrechen machen? Sollte ich es preisgeben, das stille, unselige Geheimniß meines Herzens? Und war es an Ihnen, mir den Trost Ihrer Nähe durch dies traurige Duell mit jenem Knaben zu entziehen, der keinen andern Werth in meinen Augen hatte, als den, meinem Gatten ein angenehmer Gesellschafter zu sein, ihm keinen Argwohn einzuflößen und mich mit der Herzogin in gutem Einvernehmen zu erhalten, während er unserm Hause und unseren Interessen zugleich die Gunst des Grafen von Artois sicherte, dessen erklärter Liebling er fast seit seiner Kindheit gewesen ist?“

Graf Joseph lächelte bitter. „So klar raisonniren, so geschickt combiniren zu können, muß man sehr freien Herzens sein!“ entgegnete er ihr.

„Muß man ein Sclave seiner Verhältnisse sein!“ gab sie ihm zur Antwort. „Sie kennen, Sie beurtheilen meine, unsere Lage nicht richtig, Graf! Sie sind unabhängig, sind ein freier Mann, Sie dienen dem Könige, weil Ihr Vater ihm diente, weil es Ihnen so gefällt; aber Ihre Zukunft liegt nicht ausschließlich in der Hand des Königes. Jenseits der Alpen ist Ihnen eine Heimath, ist Ihnen ein freier, reicher Besitz unverlierbar gewiß. Ich hingegen bin hier festgebannt, ich und die Meinen sind an den Hof, sind an den guten Willen der Herzogin gekettet, sind einzig auf die königliche Gnade angewiesen, denn der unerläßliche Aufwand unseres Standes und die prachtliebenden Neigungen meines Gatten haben mein Erbe schnell verschlungen, und ich stehe nicht allein. Ich habe Kinder. Jung wie diese Kinder jetzt noch sind, werden sie doch einst eine Zukunft, eine Stellung von mir fordern. Die Herzogin kann ihnen dieselbe leicht ermitteln, wird sie ihnen schaffen; aber sie ist stolz auf ihren Namen, stolz auf die Ehre der Frauen in ihrer Familie. Scharfsichtig ahnt sie, daß unter allen Männern dieses Hofes Sie der Einzige sind, dessen Nähe meinen Frieden stört, dessen Nähe mir gefährlich ist. Wie sehr ich mich bemühte, diesem Argwohn zu begegnen, es gelang mir niemals, ihn völlig zu zerstreuen – und Ihr Duell an diesem Morgen hat mit einem Schlage vernichtet, was jahrelange Zurückhaltung und Vorsicht mir gewonnen.“

Sie näherte sich dem Grafen, legte ihre Hand leise auf seine Schulter und sagte, indem sie ernst und bittend in sein Auge blickte: „Ich habe Sie und mich um Glück betrogen; müssen Sie mich deshalb ganz verderben? Soll zu dem Schweren, das mein eigenes Verschulden mir auferlegt, mich noch die Angst um Sie belasten? Ich muß es Ihnen wiederholen, der Graf von Artois ist auf das Aeußerste erzürnt über die Verwundung seines Günstlings; die Herzogin, welche diesen Neffen, den einzigen Sohn ihrer früh verstorbenen Schwester, mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit liebt und die weitgehendsten Pläne für ihn und seine Zukunft geschmiedet hat, besitzt das Ohr des Königs durch die Königin. Schon heute früh erfuhr die Königin durch sie, was sich ereignet, und als die Herzogin dann die Majestät verließ, als ich vor dieser zu erscheinen hatte, da fühlte ich, daß die Königin Alles wußte, daß die Herzogin meinen Namen genannt. Ich fühlte den Boden unter meinen Füßen nicht mehr sicher, ich empfand es, daß der Sturm, der sich gegen Sie, mein Freund, erhebt, nicht Sie allein vernichten wird, wenn Sie sich nicht entfernen.“

Der Graf hatte ihr schweigend zugehört, und ihre Worte verfehlten die beabsichtigte Wirkung nicht. Von den wechselndsten Empfindungen umhergeworfen, von der Schönheit des immer noch geliebten Weibes wie von ihren Geständnissen gerührt, so oft sie ihn auch schon getäuscht hatte, und vertraut genug mit den Verhältnissen des Hofes, um zu wissen, daß Franziska’s Schicksal sich wirklich in den Händen der Herzogin befand, fragte er sich überwindend endlich: „Was soll ich thun? was fordern Sie von mir, Franziska?“

Die Marquise athmete auf. Es war hohe Zeit! rief es in ihrem Innern, aber sie faßte sich, sie wurde ruhiger, nun sie sich ihrem Ziele nahe glaubte. „Fliehen Sie, Joseph, fliehen Sie noch diese Nacht!“ beschwor sie ihn im weichsten Tone ihrer melodischen Stimme. „Gönnen Sie Ihren Freunden Zeit, für Sie zu wirken. Der König schätzt Sie, der Graf von Artois ist nicht unversöhnlich. Bleiben Sie fort, bis der Zustand des Chevalier de Lagnac sich entscheidet, bis die Gefahr vorüber, bis er genesen ist; und er selbst – ich bürge Ihnen dafür – er selbst –“

Der Graf trat plötzlich zurück, und mit einer Kälte, welche schneidend gegen seine bisherige Stimmung contrastirte, sagte er: „O ja! der Chevalier von Lagnac wird, ich bin deß sicher, auf Ihre Bitte, meine gnädige Frau, mir vom Könige die Verzeihung für die Lection zu schaffen wissen, die er heut von mir erhalten hat. Dann aber, gnädige Frau, dann lehren Sie ihn auch die Ehre der Frauen, die sich ihm anvertrauen, besser zu bewahren, heiliger zu halten, als er es bisher gethan hat.“

Er verneigte sich und wendete sich der Thüre zu. Die Marquise fuhr bei seinen letzten Worten zusammen. Das Gefühl des nahen Triumphes, das auf ihrer stolzen Stirne geleuchtet, die Röthe der Aufregung, welche ihre Wangen bedeckt, wichen plötzlich von ihr. Sie verlor die Fassung. Sie wollte sprechen, das rechte Wort aber bot sich ihr nicht dar, und doch wollte sie ihn so nicht scheiden lassen. Schon that sie den Schritt, ihm zu folgen, ihn zu halten, schon öffneten sich ihre Lippen, ihn noch einmal zurückzurufen, als eine plötzliche Ueberlegung sie davon abstehen ließ. Die Hand fest auf den Tisch gestützt, das Auge fest auf den Scheidenden gerichtet, so verweilte sie an ihrem Platze. Sie kannte das Herz des Grafen aus langer Erfahrung, sie wußte, daß er nicht gehen werde, ohne sein Auge noch einmal auf sie zu richten, und sie hatte sich darin nicht betrogen.

Als unter der Thüre seine Blicke noch einmal zu dem geliebten Weibe zurückkehrten, sah er, wie ihre starre Gestalt zusammenbrach. Der Anblick vernichtete seinen Entschluß. Seiner selbst nicht mächtig, stürzte er zurück und warf sich vor ihr nieder. Sie hatte ihr Gesicht in ihr Tuch verhüllt. Er ergriff ihre Hände und bedeckte sie mit seinen Küssen. Da neigte sie ihr Antlitz auf sein Haupt herab, als wolle sie ihm den Anblick ihrer Bewegung entziehen, und mit den Worten: „Fliehe, damit ich Dich wiederkehren sehe!“ entließ sie ihn.

(Fortsetzung folgt.)




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