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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

des Imam Hussein, Araber und Türken, selbst während des Schauspiels mit den heftigsten und allerernstesten Verwünschungen verflucht werden.

Obgleich ich nicht Alles verstand, was die Schauspieler, immer in singendem Tone, recitirten, so war ich doch auf’s Tiefste ergriffen von der Lebendigkeit und Wahrheit des Ausdrucks und von den Zeichen des tiefsten Schmerzes und der Klage, welche das ganze Publicum in echt homerischer Weise an den Tag legte. Man heulte und weinte, zerschlug sich Brust und Gesicht, bis das klare Blut aus den zerfetzten Körpertheilen floß, ja ich habe Perser gesehen, welche Steine vom Boden aufhoben, um sich damit die Brust zu schlagen. Je mehr sich der Augenblick höchster Gefahr für den Imam und seine Familie nähert, wobei ein ziemlicher Aufwand an Menschen, Pferden, Kameelen und Costümen stattfand, je grimmiger wird das ganze zuschauende Volk. Unaufhörlich streuten die Schauspieler Häcksel auf ihr Haupt, schlugen mit den Händen auf die Lenden und heulten immer wilder ihr Waï! Waï! ja Hassan! ja Hussein!

Persische Theatervorstellung.
Nach der Natur aufgenommen von H. Brugsch.

Auf dem Punkte, von den 72 Pfeilen getroffen zu werden, die seinem Leben ein Ende machen sollen, hat Hussein die Genugthuung, daß ein fränkischer Abgesandter – aller Augen richteten sich dabei unwillkürlich auf uns Europäer – ihm die Hülfe seines Königs anbietet, und daß selbst die wildesten Thiere, Löwe und Tiger, ihm beistehen wollen. Doch der fromme Imam weist jede Hülfe zurück, sich allein in Gottes Willen schickend, und nun geht die Mordscene in aller Ausführlichkeit vor sich.

In dem Augenblick, als das rothe Blut auf seinem von Pfeilen durchbohrten Körper sichtbar ward, erhob sich in tobender Wuth der ganze Zuschauerkreis, drängte nach der Bühne zu, und fast hatte ich Bange, der Fanatismus, einmal losgelassen, würde sich gegen uns richten. Allein es galt den Schauspielern, welche die Partei der Feinde des Imam darstellen, die sich auf das Schleunigste zurückziehen müssen, um nicht der religiösen Volkswuth anheimzufallen.

Oft genug tritt ein wirklicher Kampf ein, der bisweilen mit dem Tode mehrerer Personen endet. Ein solcher Tod wird aber als etwas Gott besonders Wohlgefälliges angesehen, und wenn sich auch der leicht erregbare Perser nicht grade danach sehnt, so fürchtet er ihn doch auch nicht. In der kleinen Stadt Demawend, in der Nähe des gleichnamigen Berges, 2 bis 3 Tagereisen von Teheran entfernt, findet fast alljährlich eine große religiöse Prügelei statt. Wer stirbt, wird als Paradiesgänger geradezu beneidet.

Trotz der ungeheuersten Aufregung ging Alles ruhig vorüber. Wir erwarteten den Abfluß der Menge, stiegen die steile Treppe nach dem Hofe der Moschee hernieder und begaben uns, von Soldaten und Dienern begleitet, zwischen – lachendem Volke nach unserer Wohnung im Garten.

Ich muß noch zum Schlusse die Bemerkung hinzufügen, daß diese Schauspiele, welche so lebhaft an die Mysterien des Mittelalters und an die heiligen Passionsspiele in manchen katholischen Ländern erinnern (man denke an die Oberammergauer Bauernspiele), sehr alten Ursprunges sind. Einer der ersten Reisenden, der sie gesehen und beschrieben, ist der bekannte Adam Olearius, welcher im Jahre 1635 als Secretair des herzoglich holstein-gottorpischen Gesandten nach Persien ging und in Ardebil einem solchen Trauerfeste beiwohnte. Nicht genug kann er in seiner drolligen Weise erzählen von den Leuten, welche „riefen und schrieen mit weit aufgesperrten Mäulern und ernsthaften Gebehrden, auch so heftig, daß sie unterm Gesichte ganz braun wurden.“

Heinrich Brugsch.



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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_029.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)