Seite:Die Gartenlaube (1862) 043.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Herrengasse, waren prächtig mit bunten Tüchern geschmückt, und aus allen Fenstern wollte das Winken und Nicken und Vivatrufen kein Ende nehmen. Aber es war nicht bloß Freude, was die Fürstin, wie vor sieben Jahren in denselben Straßen, willkommen hieß, sondern alle Frauen weinten dazu und manche Männer auch. Endlich gelangten wir vor das Schloß, die Herzogin stieg aus und betrat bald darauf den Altan desselben. Und wie sie von da aus die ungeheuere Menschenmenge überschaute, die den ganzen Raum vor dem Schlosse bis zu den Berggärten hinan erfüllte, schwenkte sie weinend ihr weißes Tuch zum Gruß und Dank, aus der ganzen Volksmasse aber erschallte plötzlich wie aus einem Munde das Lied: „Nun danket alle Gott!

Wie erhoben das Volk auch in diesem Augenblick war, so hatte es dennoch für seine tiefe Erregtheit die volle Beruhigung noch nicht gefunden. „Wir wollen sie Beide beisammen sehen! Laßt uns auch den Herzog herbeiholen! Sie müssen sich versöhnen! Wir wollen wieder Einigkeit und Frieden im Fürstenhause haben!“ So ging der Ruf auf allen Seiten, und man schritt. auch hier von Worten gleich zur That.

Der Herzog verweilte während dieser Vorgänge in dem Schlößchen zu Ketschendorf (eine halbe Stunde von Coburg, nach Süden) bei seiner Mutter; dort befanden sich auch die beiden Prinzen, Ernst und Albert, damals Knaben von sechs und fünf Jahren. Auch vor ihm erschien eine Deputation, stieß aber auf mehr Widerstreben, als bei der Herzogin. Endlich gab auch er den Bitten der Bürger nach, deren gute Absicht, auch hinsichtlich der Beruhigung der Stadt, er nicht verkennen mochte. Doch gestattete er nicht, daß man ihm den Wagen ziehe, sondern fuhr selbst mit den Prinzen in das Schloß zurück. Es war zwischen sieben und acht Uhr des Abends, als endlich des Volkes Wunsch sich erfüllte und beide fürstliche Gatten auf dem Altan des Schlosses erschienen. Es wiederholten sich die Lebehochs, und mit der erhebenden Zuversicht, „daß nun gewiß Alles wieder in’s Gleiche komme und gut werde“, zerstreute sich die Volksmasse, und Nichts störte weiter die Ruhe des Schloßhofs und der Stadt.

Wie in allen anderen Vorstädten saßen und standen die Leute auch aus dem Stetzenbach noch spät in die Nacht hinein vor den Hausthüren, wie es dort in meiner Kindheit Sitte war, und die Nachbarn erzählten sich wieder einmal alle alten schönen Geschichten von der Rosenau, die sie früher so oft erzählt hatten. Wie ich nie vorher gesehen, so freudig reichten sie sich zur guten Nacht die Hände, noch ganz begeistert über den vergangenen Tag. Ich aber ging sehr stolz zu Bette, denn auch ich hatte „sie“ mit hereingefahren.

So war in Deutschland auch einmal durch das Volk „Ruhe und Ordnung“ im Fürstenhause scheinbar wieder hergestellt worden.

Leider kann diese Erzählung nicht hier enden; die aufgeregten Wogen sollten nicht so rein verlaufen, sie erforderten noch einen Tag, an welchem, nachdem man die Eintracht wieder gewonnen glaubte, gegen den angeblichen Urheber der Zwietracht der öffentliche Zorn losbrach.

Lange vor der Erfindung der Ministerverantwortlichkeit bestand schon etwas Aehnliches im patriarchalischen Staate. Das Volk wälzte alle Schuld fürstlicher Mißregierungen und Missethaten, auch wenn sie unmittelbar von Fürstenhand begangen waren, auf die Umgebung, auf die Günstlinge des Hofs, die der Fürst allerdings auch meistentheils mit den höchsten Staatsämtern zu betrauen pflegte. Auf sie warf sich der Haß des Volks; galt es aber gute Thaten der Regierung mit Liebe zu lohnen, so fiel diese ausschließlich der Person des Fürsten zu.

In Stadt und Land Coburg traf dieser Haß der Verantwortlichkeit für den gestörten Frieden im Fürstenhause den bereits genannten Oberst von Szymborsky, der zugleich Geheimrath war. Mit wie viel Recht dies geschah, ist hier nicht zu erörtern. Thatsache ist’s, daß die allgemeine Stimme jetzt seine Entfernung nicht bloß vom Hofe, sondern aus dem Lande verlangte. Diese Stimme machte sich nicht durch Zeitungen laut, derlei besaß das Ländchen nicht, sondern sie schrie durch die Straßen und drang bis zu der Wohnung des Gehaßten und bis zum Schlosse des Fürsten vor.

Die Nachricht von dem, was am Sonntag in der „Stadt“ vorgefallen war, hatte sich während der Nacht über das ganze Land bis zum letzten Dorf hinaus verbreitet. Kein Wunder, daß am Montag Morgen das Landvolk zu allen Thoren der Stadt hereinkam, um mit eigenen Augen zu sehen, was geschehen war oder noch werden sollte. Es mochte Zufall sein, daß viele der Bauern ihre Dreschflegel auf der Achsel trugen. Beruhigend war der Anblick nicht, besonders bei den Aeußerungen, welche aus einzelnen Haufen gehört wurden, daß man es „dem Stadtvolk“ schon weisen werde, wenn es dem Herzog nicht folgen wolle.

„Wos? Dös führnahma Zeug will unnern Herzog net folg? Mr wöll’n s’na ahstreich!“[1]

„Ha, der Schimborschky soll dra schuld sei!“[2]

„So wird er ah gehiehm!“[3]

Trotz solcher gefährlichen Reden und der sonstigen Schlagfertigkeit dieses Geschlechts geschah von Seite der Bauern nichts Derartiges, sie betheiligten sich später auch nicht an den Excessen des Tages und bildeten mehr den malerischen Hintergrund der Bewegung.

Diese Bewegung ging wohl nicht von den untern Classen allein aus, nur hatten diese mehr Gelegenheit, sich hervorzuthun, als am vergangenen Tage. Als der Tumult begann, floh v. Szymborsky in das Residenzschloß, wohin sich auch die Mutter des Herzogs, eine hochgeachtete Matrone, begeben hatte. Während sich nun im Schloßhofe Bürger und Bauern in immer gedrängteren Massen versammelten, begann eine wilde Schaar die Zertrümmerung des Eigenthums des Verfolgten, schlug die Fenster seiner Wohnung ein, zerstörte ein Gartenhaus, einen Blumengarten und eine Baumanlage desselben und gesellte sich dann zu den Volkshaufen vor dem Schlosse. Hier wurde das Schreien der Menge gegen „den Szymborsky, den Landverderber“ immer heftiger.

„Naus mit dan fremma Karl! Naus muß er!“

„Vitvathoch, die Fra Herzogin soll lab! Hoch!“

„Naus mit ’n Leutsploger! Mit dan Landverdarber!“

„Vitvathoch, der Herr Herzog soll lab! hoch!“

„Schlat’n todt, dan Bauernschinder! Naus mit dan fremma Karl!“

So tobten Loyalität und Bestialität durcheinander, aber bedeutend ward stets „der Fremde“ betont, der den heimischen Frieden störe. Kein Zureden der vielen friedlicheren Bürger, kein Bitten der sonst angesehensten Beamten half, und eben wagten sogar Einige, in das Schloß einzudringen, als der Herzog auf der Treppe erschien. Wie man ihn immer, bis in sein Alter zu sehen gewöhnt war, im grünen bis oben zugeknöpften Jagdrock, mit den langen braunen Kamaschen und dem weißen Cylinderhute, trat er vor den herandrängenden Strom, ja, er brauchte sogar gegen Einige, die an ihm vorüber in das Schloß zu kommen suchten, nachdrücklich sein Hausrecht und setzte die Nahestehenden streng zur Rede. Dem Toben gegenüber verhallte jedoch auch seine Stimme, und er kehrte in das Schloß zurück. Bald darauf sah man den Major des herzoglichen Bataillons, v. Wangenheim, in die Residenz eilen; es soll einen harten Auftritt zwischen dem Herzog und ihm gegeben haben; er soll sich geweigert haben, das Militär gegen das Volk zur Herstellung der Ruhe zu verwenden. Man sah ihn später mit großen Schritten im innern Schloßhof auf und abgehen; kein Soldat zeigte sich. Dagegen erschien die bürgerliche Schützencompagnie und die städtische Spritzenmannschaft, um alle Eingänge des Schlosses zu besetzen. Hohn empfing sie, und der Tumult ward immer drohender, der Ruf nach Szymborsky immer wilder. Da traten aus dem mittleren Portale des Schlosses sämmtliche Geistliche der Stadt im Ornate hervor und zerstreuten sich vor der Fronte der Masse, um mit dem Wort Gottes zur Ruhe zu mahnen. Aber auch ihre Reden verhallten ohne Erfolg, sie mußten manchen frechen und beleidigenden Zuruf hören, und noch war das Aergste zu befürchten, als es der List eines Kammerdieners gelang, den Sturm durch die glückliche Entfernung seines Urhebers zu beschwören. Eine vierspännige geschlossene Chaise fuhr an dem dem Schauplatz des Tumultes entgegengesetzten Thore des Schlosses vor. Sogleich stürzte die wildeste Masse der Schreier dorthin. Da bedeutete sie der kluge Kammerdiener, daß hier jetzt die durchlauchtigste Frau Herzogin Mutter einsteige und daß man doch die hochgeehrte Dame nicht beunruhigen möge. Das half. Gläubig kehrte der Schwarm zurück, Szymborsky sprang in den Wagen, der nun mit rasender

  1. „Was? Das vernehme Zeug will unserem Herzog nicht folgen? Wir wollen es ihnen anstreichen.“
  2. „Ja, der Szymborsky soll daran schuld sein.“
  3. „So wird er auch gehauen!“
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_043.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)