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fällen zu müssen, an welchem auch seine vertraulichen Mittheilungen bei unserem ersten Zusammentreffen nichts ändern konnten. Doch hatte ich, wie gesagt, meine aufrichtigste Freude, den originellsten Mann der deutschen Theaterwelt kennen zu lernen, und bat ihn, Mittags als mein Gast bei mir vorlieb zu nehmen. Mein Entgegenkommen schien dem alten Herrn wohlzuthun, er nahm die herzliche Einladung eben so freundlich an und erschien Mittags in Streit’s Hotel, in seiner prächtigen Haltung, geschmückt mit Stern und Ordensband, eine wahrhaft noble Erscheinung. Zu seiner Offenheit machte er auch kein Hehl daraus, daß es ihm in Altona, wo er als Regisseur „ohne Gehalt“ fungirte – Regisseur „par honneur“ wie er sich ausdrückte – sehr schlecht ginge, daß seine reichen Verwandten ihn auf das Allernöthigste beschränkt hätten, um ihn von seiner Theatersucht zu heilen, daß ihnen dies aber nicht gelingen werde, da er auf der Bühne zu sterben wünsche.

Als ich ihm einige Tage später einen Gegenbesuch in seiner Wohnung abstattete, fand ich den an die Wechselfälle des fürstlichsten Luxus und der bittersten Armuth Gewöhnten in einer Lage und einer Umgebung, die, an das niedrigste Proletariat erinnernd, mir um so mehr durch die Seele schnitt, als Graf Hahn auch nicht im Geringsten davon berührt schien.

Er liebte es, von seinen Kreuz- und Querfahrten zu erzählen, wobei er nicht selten die ergötzlichsten Anekdoten einzuflechten und mit frischem Humor vorzutragen verstand. Merkwürdigerweise hatte der sonst so feinfühlende Cavalier keine Idee davon, welch’ eine traurige Rolle er als die Hauptperson dieser komischen Erlebnisse spielte. So z. B. hatte er in St. Pauli die Jungfrau von Orleans mit einem Glanz ausgestattet, welcher das berühmte Hamburger Stadttheater weit hinter sich ließ. Er selbst wollte, in eine silberne Rüstung gehüllt, den Krönungszug anführen, zu welchem er eine Unzahl der prachtvollsten Costüme hatte machen lassen. Um dem Publicum die möglichste Illusion zu bereiten, sollte der Zug aus dem Hintergründe der Bühne eintreten, und war derselbe, 200 Mann hoch, auf der Straße vor dem an der Rückseite des Theaters liegenden Eingangsthor postirt. Graf Hahn schärfte Allen auf’s Genaueste ein, beim Beginn des Krönungsmarsches ihm mit feierlichen Schritten zu folgen. Alles war trefflich einstudirt und versprach den gewaltigsten Eindruck auf die zahlreich versammelten Zuschauer zu machen. Die Musik beginnt, und der „Erblandmarschall von Mecklenburg-Schwerin“ setzt sich an der Spitze des Zuges in Bewegung. Am Souffleurkasten angelangt empfängt den Grafen statt des erwarteten Applauses ein schallendes Gelächter, verdutzt sieht er sich nach der Ursache desselben um und bemerkt mit Schrecken, daß der ganze Krönungszug vor der Thür auf der Straße stehen geblieben, und er ganz allein in seinem glänzenden Harnisch den Festzug gebildet hatte, ohne zu bemerken, daß ihm Niemand folge.

Ein ander Mal gab er in Altona „Menschenhaß und Reue“, sein Lieblingsstück, und kündigte auf der Affiche an, daß Jeder mit seinem Billet an der Casse ein unentgeltliches Loos erhalten werde, und der glückliche Gewinner des Treffers, der nach der Vorstellung gezogen würde, „einen eben so schönen als nützlichen Gegenstand erhalte, der ihm sogleich ausgeliefert wird.“

Das Haus war voll, und als Meinau mit Eulalia seine thränenreiche Versöhnung geschlossen, begann die Ziehung, in welcher die Nummer 190 dem glücklichen Besitzer derselben entgegen leuchtete.

In schwarzem Frack und in würdevoller Haltung, mit seinem reichen Ordensschmuck angethan, erschien der Graf, an einem blauseidenen Bande ein schneeweißes Lämmchen führend.

„Wer von den Herrschaften hat das Loos Nummer 190 im Besitz?“

„Ich,“ rief eine donnernde Stimme aus dem ersten Logenrang.

„Darf ich um die Ehre Ihres Namens bitten?“ schrie Graf Hahn hinauf.

„Ich bin der Justizrath Engel,“ brüllte es wieder zurück.

Graf Hahn verbeugte sich: „Herr Justizrath, Sie erhalten als glücklicher Gewinner dieses reizende Lämmchen hier, das Bild der Unschuld und Kindlichkeit. Ich bitte Sie, auf die Bühne zu kommen und Ihren Gewinn vor den Augen des Publicums in Empfang zu nehmen.“

„Den Deubel werd’ ich Ihnen thun!“ schrie der Justizrath. „Schicken Sie es mir doch in mein Haus.“

„Bedaure,“ entgegnete Graf Hahn achselzuckend, „es ist aber ausdrückliche Bedingung, daß der Gewinner hier vor den Augen des Publicums seinen Gewinn empfängt.“

„Nun, so behalten Sie das Lamm und lassen Sie es sich braten!“

„Ich werde Ihren Rath befolgen,“ erwiderte ganz ernsthaft der Graf, „aber das Fell werde ich Ihnen zusenden.“

Eine recht ergötzliche Anekdote entnehme ich den sehr frisch geschriebenen „Charakterzügen aus dem Leben des Grafen Hahn-Neuhaus“, welche den Schauspieler Mayer in Hamburg zum Verfasser haben.

Es war eine Eigenheit des Grafen, daß die jämmerlichste Ausstattung, wie sie bei wandernden Truppen an der Tagesordnung ist, seine Illusion nicht im Mindesten störte; bei seinem eigenen Theater verwendete er darauf aber immer die größeste Sorgfalt und scheute keine Unkosten, in dieser Hinsicht das Möglichste zu leisten; je theurer ihm die Geschichte zu stehen kam, um so vergnügter war er.

Sein Unstern wollte es aber, daß seine sinnreichsten und kostspieligsten Arrangements nicht selten total mißglückten, und Lauchstädt war Zeuge eines höchst drolligen Quidproquos in dieser Art. Graf Hahn hatte nämlich das Wiener Schauer- und Spectakel-Melodram „Ein Uhr“ (mit einer vortrefflichen Musik von Freiherrn von Lanoy) einstudiren lassen. Der Held dieses Dramas ist ein taubstummer Knabe, der von einem bösen Ritter einer Waldhexe geopfert werden soll, sich aber dadurch rettet, daß er den Stundenzeiger einer kolossalen Wanduhr im entscheidenden Augenblick auf Eins stellt; sowie der Stundenschlag ertönt, holt den bösen Ritter der leidige Satan, die Uhr aber verwandelt sich in einen Thron, auf welchem der taubstumme Oskar als rechtmäßiger Herzog sitzt.

Der von dem Grafen und Julius Müller aus Leipzig entführte Maler hatte alle Kunst aufbieten müssen, Uhr und Thron so prachtvoll wie möglich zu malen, auch die Mechanik ließ nichts zu wünschen übrig. Aus der Probe aber bemerkte der Graf: „Alles recht hübsch, mein Lieber, aber Sie haben da auch ein Zifferblatt gemalt, das ist mir nicht recht! ich hab’ es mir anders gedacht.“ –

„Wie denn, Erlaucht?“

„Sie wissen, ich habe eine große, ausgezeichnet schöne Schlaguhr, ein kostbares Werk, es ist ein altes Erbstück aus Neuhaus, mit einem wundervollen Ton; auch will ich, daß man den ganzen Act hindurch den Pendelschlag hört, das macht sich recht schauerlich während der großen Pause, die der Hauptscene vorhergeht; lassen Sie also Ihr gemaltes Zifferblatt herausschneiden, wir befestigen dann in der Oeffnung das wirkliche Werk.“

Der Maler kannte seinen Grafen zu gut, um nur einen Versuch zu machen, ihn von seiner Idee abzubringen. Das gemalte Zifferblatt wurde herausgeschnitten, das kostbare alte Erbstück geholt und von dem Theatermeister geschickt in den Ausschnitt befestigt, so zwar, daß es schnell wieder fortgenommen werden konnte, wenn die Verwandlung vor sich gehen sollte.

Und jetzt wurde probirt, der Graf erklärte dem Fräulein Hanstein, welche den Oskar spielte, den Mechanismus des Werks, zeigte ihr, wie sie den Zeiger von 11 schnell auf 1 Uhr rücken müsse, so wie den Repetirknopf; wenigstens ein Dutzend Mal ließ er sie die Sache machen, und immer ging Alles ganz vortrefflich. Der Graf war außer sich vor Vergnügen und sprach fast den ganzen Tag von Nichts als von dem Effect, welchen die Uhr am Abend machen werde.

Die Vorstellung ging denn auch am Abend sehr präcise und fand reichlichen Beifall bei dem zahlreich versammelten Publicum. Fräulein Hanstein spielte ihren stummen Knaben sehr brav und sah reizend aus. So kam der fünfte Act heran, der Graf selbst war bei dem Aufstellen der Uhr mit behülflich, ließ das Wegnehmen und die Verwandlung nochmals probiren und, da Alles tadellos ging, den letzten Act in Gottes Namen beginnen; er selber postirte sich hinter der Coulisse, vor welcher die Uhr stand. – Auch der letzte Act ging wie am Schnürchen.

Jetzt kam die große Pause, man hörte das „Tiktak“ des Pendels, deutlich, und jetzt ertönte die Stimme der Waldhexe: „Mein Mahl, mein Mahl!“ Gleich darauf stürzt Oskar, von dem

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