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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

No. 10.   1862.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Im Schloß.
Von Th. Storm.[1]


1. Von der Dorfseite.

Vom Kirchhof des Dorfes ein Viertelstündchen hinauf durch den Tannenwald, da lag es vor Einem; zunächst der parkartige Garten von alten ungeheueren Lindenalleen eingefaßt, an deren einer Seite der Weg vom Dorfe vorbeiführte; dahinter das große steinerne Herrenhaus, das nach vorn hinaus mit den Flügelgebäuden einen geräumigen Hof umfaßte. Es war früher das Jagdschloß eines reichsgräflichen Geschlechts gewesen; die lebensgroßen Familienbilder bedeckten noch jetzt die Wände des großen Rittersaals, wo sie vor einem halben Jahrhundert beim Verkaufe des Guts mit Bewilligung des neuen Eigenthümers vorläufig hängen geblieben und seitdem, wie es schien, vergessen waren. – Vor etwa zwanzig Jahren war das Gut, dessen wenig umfangreiche Ländereien zu den Baulichkeiten in keinem Verhältniß standen, in Besitz einer alten weißköpfigen Excellenz, eines früheren Gesandten, gekommen. Er hatte zwei Kinder mitgebracht, ein blasses, etwa zehnjähriges Mädchen mit blauen Augen und glänzend schwarzen Haaren und einen noch sehr jungen kränklichen Knaben, welche beide der Obhut einer ältlichen Verwandten anvertraut waren. Später hatte sich noch ein alter Baron, ein Vetter des Gesandten, hinzugefunden, der Einzige von der Schloßgesellschaft, der sich zuweilen unten im Dorfe blicken ließ und auch mit den Leuten im Felde wohl einmal einen kurzen Discurs führte; denn im heißen Sommer oder an hellen Frühlingstagen pflegte er weit umher zu wandern, um allerhand Geziefer einzusammeln, das er dann in Schachteln und Gläsern mit nach Hause nahm. Selten einmal war auch das junge Fräulein bei ihm; sie trug dann wohl eins der leichteren Fanggeräthschaften und ging eifrig redend an des Oheims Seite, aber um die Begegnenden kümmerte sie sich nicht weiter. Die kleine hagere Gestalt der alten Excellenz hatte, außer beim sonntäglichen Gottesdienste in dem herrschaftlichen Kirchenstuhle, kaum Jemand anders als vom Wege aus gesehen, wenn er in der breiten Lindenallee des Gartens auf und ab wandelte oder stehen bleibend das Moos auf dem Steige mit seinem Rohrstocke losstieß. Den scheuen Gruß der vorübergehenden Bauern pflegte er wohl mit einer leichten Handbewegung zu erwidern; was er sonst mit ihnen zu schaffen hatte, wurde von dem Verwalter abgethan, dem die Bewirthschaftung des kleinen Gutes überlassen war.

Nach Jahren war diese Hausgenossenschaft noch durch einen Lehrer des kleinen Barons vermehrt worden. Die Leute im Dorfe erinnerten sich noch sehr wohl seiner; er war aus der Umgegend und stammte auch von Bauern her. Man hatte ihn oft mit dem alten Baron gesehen, und auch das Fräulein, damals schon eine junge Dame, war mitunter in ihrer Gesellschaft gewesen. Man erzählte sich noch, wie er mit dem alten Herrn in den Tannen einen Dohnenstieg angelegt; aber das Fräulein sei meist schon vor ihnen dagewesen und habe die Drosseln, die sich lebendig in den Schlingen gefangen, heimlich wieder fliegen lassen. Einmal auch hatte der junge freundliche Herr den kleinen verkrüppelten Knaben auf dem Arm durch das Tannicht getragen, denn mit dem Rollstühlchen war auf dem schmalen Steige nicht fortzukommen gewesen, und das Kind hatte die gefangenen Vögel selbst aus den Dohnen nehmen können.

Bald aber war es wieder einsamer geworden; der arme Knabe war gestorben und der Hauslehrer fortgegangen. Schon früher hatte man im Dorfe selten von den Gutsnachbarn oder aus der Stadt drüben einen Besuch den Weg nach dem Schlosse fahren sehen; jetzt kam fast Niemand mehr; auch die alte Excellenz sah man selten in der breiten Allee des Gartens wandern.

Nur noch einmal, im Herbste des folgenden Jahres, war es droben auf einige Tage wieder lebendig geworden, als die Hochzeit des jungen Fräuleins gefeiert wurde. Unten in der Dorfkirche war die Trauung gewesen; seit lange hatte man dort so viele vornehme Leute nicht gesehen. Aber die hagere Gestalt des Bräutigams mit dem dünnen Haar und den vielen Orden wollte den Leuten nicht gefallen; auch die Braut, als sie von der alten Excellenz an die mit Teppichen belegten Altarstufen geführt wurde, hatte in dem langen weißen Schleier, mit den dicht zusammen stehenden schwarzen Augenbrauen ganz todtenhaft ausgesehen; was aber das Schlimmste war, sie hatte nicht geweint, wie es doch den Bräuten ziemt. Der alte Baron, der in sich zusammen gesunken in dem herrschaftlichen Stuhl gesessen und mit trübseligen Augen auf die Braut geblickt hatte, war nach Beendigung der Ceremonie allein und heimlich seitwärts über die Felder gegangen. Am darauf folgenden Nachmittag hielt der Wagen mit den Neuvermählten eine kurze Zeit in der Durchfahrt des Dorfkreuzes; und die Leute standen und besahen sich das Wappen auf dem Kutschenschlage, einen Eberkopf in blauem Felde. Der hagere, vornehme Mann war ausgestiegen und brachte der jungen Frau ein Glas Wasser an den Wagen; von dieser selbst war wenig zu sehen, sie saß im Dunkel des Fonds schweigend in ihre Mäntel gehüllt.

Der Wagen fuhr davon, und seitdem vergingen Jahre, ohne daß man von dem jungen Fräulein wieder etwas hörte. Nur dem Prediger hatte einmal der alte Baron erzählt, daß ein Knabe, den sie im zweiten Jahre der Ehe geboren habe, von einer Kinderepidemie

dahin gerafft worden sei; und später dann, als die alte


  1. Verfasser der in achter Auflage erschienenen Erzählung „Immensee“.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_145.jpg&oldid=- (Version vom 6.4.2019)