Seite:Die Gartenlaube (1862) 168.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

den Halligen keine Aecker. Zwei Mal an jedem Tage würden die salzigen Wellen diese Aecker zerstören und umwühlen. Um sich vor diesen Fluthen zu schützen, bauen die Halligbewohner ihre Wurten dicht an einander. Eine Wurt schützt und stützt die andere; Pfähle und eiserne Klammern halten die Hügel zusammen. Die Kirche hat eine besondere Wurt, auf der auch gewöhnlich das Pfarrhaus steht. Aber auch diese besondere Wurt ist mit den andern Wurten, auf denen die Häuser stehen, fest verbunden. In der Regel kosten die Wurten weit mehr Geld, als sämmtliche Gebäude, welche sich auf denselben befinden und dicht aneinander geschaart stehen. Der Raum ist auf den Halligen kostbar; er ist mit großer Mühe gewonnen. Deshalb muß man sparsam mit demselben umgehen. Bei jedem Hause sind einige kleine Räume durch Pfahl- oder Gitterwerk eingezäunt, ein kleiner Garten, in dem einige Stachelbeerbüsche, einige Kohlpflanzen und einige Rüben wachsen, und ein oder zwei Räume für den Viehbestand des Hauses, für ein halbes Dutzend Schafe oder Schweine; den größten und schönsten Garten hat regelmäßig das Pfarrhaus; neben den Stachelbeerbüschen, zwischen den Kohlpflanzen und Rüben blühen dort zuweilen Rosen und Lilien. Die größte Noth auf den Halligen besteht aber darin, daß es keine Süßwasserquellen giebt. Die Halligbewohner leiden eine doppelte Wassersnoth. Während sie immerfort mit den salzigen Wellen des Meeres auf ihren Wiesen kämpfen, müssen sie oft Durst leiden, weil sie kein Trinkwasser haben. Statt rieselnder Bäche hat die Natur sie mit salzigen Meereswogen beschenkt, statt des Brodes, das auf den Feldern und Marschen des Festlandes wächst, hat sie ihnen Heu gegeben. So müssen sie sich statt des Trinkwassers mit dem Regen begnügen, welchen ihnen der Himmel herabsendet, und wenn es Wochen lang nicht regnet, oder wenn die salzigen Meereswellen in ihre Cisternen strömen, dann müssen sie durch Sturm und Wellen nach dem Festlande segeln und sich dort Trinkwasser erbitten, um nicht vor Durst zu sterben.

Wohl hatte der alte Plinius Recht, wenn er von der „Misera gens“ sprach, welche an der Nordsee in ihren Wurtdörfern wohne. Deshalb hat jedes Haus seine Cisterne, in der das Regenwasser vorsichtig gesammelt und aufbewahrt wird, wie ein kostbarer Schatz. Bei meinem ersten Besuche auf einer Hallige bemerkte ich neben den Häusern im Boden eine Oeffnung, welche einen Durchschnitt von ungefähr vier Zoll hatte und mit einem Steine oder auch mit einem runden Holze zugedeckt war. Wozu diese Röhre diene, konnte ich nicht errathen. Da nahm ein Halligmann den Stein von der Oeffnung, zeigte mir, daß das Loch sich nach unten erweitere, und daß dieser Raum zum Auffangen von Regenwasser bestimmt sei, welches durch Röhren und Rinnen aus der nächsten Umgebung hineingeleget werde. Diese Art von Cisterne nenne man „Soth“, sagte er mir, und das auf diese Weise gesammelte Regenwasser diene als Trinkwasser für die in dem Wurtdorfe wohnenden Menschen. Ich war erstaunt. „Und Euer Vieh, Eure Kühe, Schafe und Schweine, wie tränkt Ihr denn diese?“ fragte ich. „Für den Viehbestand ist doch das im „Soth“ enthaltene Trinkwasser nicht ausreichend?“

Und dann führte er mich zwischen die auf dem höchsten Punkt des Wurtdorfes liegenden Häuser und zeigte mir mehrere tiefe, mit Rasen ausgelegte Bassins, in denen sich das Regenwasser ebenfalls sammele, wie in den Cisternen.

„Aber wenn nun die Wellen des Meeres über das ganze Dorf hinwegströmen, wenn die Fluth bis in Eure Häuser und Stuben steigt, dann wird doch das in den Cisternen befindliche Trinkwasser so versalzen, daß es nicht mehr zu trinken ist?“

„So ist es. Ja, wir haben viel Noth und Sorge mit dem blanken Hans.“

Ich dachte unwillkürlich an die Gefangenen, welche zu einer Freiheitsstrafe, geschärft durch Wasser und Brod, verurtheilt sind, und mußte mir sagen, daß eine solche Gefängnißstrafe bei Wasser und Brod oft dem Leben auf einer Hallige vorzuziehen sei.

Das Wurtdorf auf Oland glich in Allem den Wurtdörfern, welche ich auf den andern Halligen gesehen hatte. Nur war es noch ärmlicher, enger und kleiner. Dreizehn Häuser standen eng an einander gedrängt und umschlossen einen kleinen Raum, den mittlern Raum der Wurt, durch den zwei Stege hindurch führten. Zwischen den ärmlich aussehenden, aber sehr reinlich gehaltenen Häusern lagen kleine, nur einige Fuß breite Gärten, welche kaum einen solchen Namen verdienten, die mit dünnem, hölzernem Pfahlwerk eingezäunten Ställe für das Vieh und drei mit Rasen ausgesetzte Regenwasserbassins oder „Fadings“, wie man hier sagte. Zwischen mehreren Häusern standen hohe, massive Heuschober, fast so hoch, wie der Kirchthurm, der neben dem Pfarrhause die eine Ecke des Wurtdorfes bildete. Diese Heuschober waren mit einem Netz von Stricken umgarnt, an denen schwere Steine befestigt waren, welche das Heu fest aufeinander preßten. Die Heuschober sind die festesten Punkte auf der Hallige. Das vom Meerwasser getränkte Heu preßt sich durch den Druck der Steine und der Stricke und durch die eigene Schwere eng und fest aneinander. Mitten zwischen den brandenden und schäumenden Meereswellen hält ein solcher Heuschober unerschütterlich Stand. Das Gebälk und die Mauern der Häuser reißen die Wogen auseinander; dann besteigen die Halligmänner mit ihren Frauen und Kindern die Gipfel ihrer Heuschober, und erwarten dort das Zurücktreten der Fluth – oder den Tod.

Wir gingen nun zurück zum Pfarrhause, um den „großen deutschen Mann“, wie die bei der Heuernte beschäftigten Halligfrauen ihn nannten, zu sehen, der von den Dänen auf dies wüste Eiland geschickt war, um in diesem nordischen Cayenne des dänischen Regiments in Schleswig-Holstein seine Charakterfestigkeit, seine Consequenz und seine erhabenen Tugenden zu büßen. Er ist ein Märtyrer für die Freiheit und nationale Unabhängigkeit Nordfrieslands in dem beginnenden Kampfe mit dem Dänenthum.

Auf dem kleinen Flur des Hauses war Niemand zu sehen. Wir klopften an die Stubenthüre, welche in die Wohnung führte, und traten ein. Ein großer, hochgewachsener Mann mit gelbblondem Haar, das Haupt etwas gebückt, kam uns entgegen. Sein Gesicht hatte scharfe, markirte Züge, seine blauen Augen blickten mild und gütig, auf der hohen Stirn thronten Geist und Verstand. Ich überreichte ihm die Karte eines Freundes vom Festlande, dessen Name in ganz Schleswig mit Hochachtung und Verehrung genannt wird, und mit der Tournure eines Mannes von Welt hieß er uns willkommen und ersuchte uns, Platz zu nehmen. „Die Sonne und der Sommer“, sagte er lächelnd, „haben Oland heute in den Festanzug gekleidet, aber die arme Hallige trägt diesen Festanzug selten, bald setzt sie die Nebelkappe auf und zieht den nassen Regenrock an. Wir bringen deshalb schnell die Heuernte in Sicherheit.“

„Schon vor einigen Tagen sah ich Oland aus der Ferne in Nebelkappe und Regenrock, Herr Pastor,“ erwiderte ich lachend; „ich war unterwegs zu Ihnen, aber Sturm und Wetter trieben meinen kleinen Schooner an die Küste von Föhr zurück. Stand das Wasser hier hoch bei Ihnen?“

„Die Springfluth ging über die ganze Insel und stieg bis zur Höhe der Wurt, auf der die Häuser stehen. Es sah gefährlicher aus, als es war. Sie wissen wohl, die gefährlichen Fluthen und die Stürme kommen erst im November. Aber meine arme Frau und meine Kinder, welche erst seit drei Wochen auf Oland sind, fürchteten sich sehr. Wir sahen die Springfluth zum ersten Male so in der Nähe.“

„Und wie lange sind Sie auf Oland, Herr Pastor?“

„Erst seit drei Monaten. Meine Frau blieb zwei Monate länger in Silt, um unsere Hauseinrichtung zu verringern und die Mobilien, welche wir in diesem kleinen Hause stellen konnten, herüberzuschaffen.“

Ich blickte unwillkürlich in dem Zimmer umher und warf einen Blick in die beiden anstoßenden Gemächer, deren Thüren geöffnet waren. Die Decke war recht niedrig. Wenn die hohe Gestalt des Predigers aufrecht stand, mochte zwischen seinem blondgelockten Haupte und der niedrigen Decke kaum der Raum eines Fußes sein. Die Wände sahen uns ärmlich und dürftig an. Die Mahagonymöbels bildeten mit der ärmlichen Umgebung einen sonderbaren und traurigen Contrast.

„Waren Sie lange Pfarrer auf Silt, Herr Pastor?“

„Eine lange Reihe von Jahren. Es war eine schöne und reiche Pfarre. Hier ist es anders.“

„Und darf ich Sie fragen, weshalb die dänische Regierung Sie auf dies armselige Eiland schickte, auf dessen Wiesen die Meereswellen alle Tage spazieren gehen und das die nächste große Springfluth in die Tiefe reißen kann?“

Der Märtyrer von Oland sah mich mit einem langen und traurigen Blicke an. „Die nordfriesischen Inseln kämpften bis jetzt nur mit dem Sturme und mit dem Meere,“ sagte er; „vor Kürzern hat der Kampf um ihre nationale Selbstständigkeit mit dem

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 168. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_168.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)