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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

werden, als Beweis, daß selbst Czechen für Schleswig-Holsteins Rechte zu kämpfen herbeigeeilt wären.

Wir trafen uns in Prag; ein Blick in die Augen, ein Handschlag genügte, um uns zu Brüdern zu machen. Die Begeisterung, welche damals jedes deutsche Herz bewegte, hatte auch uns mächtig ergriffen; der böhmische Löwe und die deutschen Farben wehten lustig über uns, scheue Frauen und Mädchen warfen von den Balcons der alten Königsstadt Blumen und Kränze herab, Männer und Jünglinge jauchzten uns entgegen, stumm reichten wir uns die Hände zum treuen Bunde für Freiheit und Recht.

Mir ist es wie ein Traum, wenn ich an die Reise nach Dresden zurückdenke. Ueberall an den Ufern der Elbe hatte sich das Volk versammelt, um die junge Schaar aus ihrem Zuge nach Norden zu begrüßen. Bei Pirna standen die Zöglinge einer nahen Militäranstalt in Reihe und Glied aufmarschirt und präsentirten ihre kleinen hölzernen Gewehre, und je näher wir Dresden kamen, desto zahlreicher wurden die Beweise des herzlichen Willkommens. Als wir aber bei Dresden anlegten, als die 6000 Mann zählende Communalgarde mit geschultertem Gewehre dastand und die jungen Czechen begrüßte, als der Commandant der Dresdener Bürgerwehr im Namen Deutschlands die Streiter für Schleswig-Holstein willkommen hieß, und als die jungen Männer ihr Haupt entblößten und schwuren, treu und tapfer zu kämpfen – da ergriff mich ein namenloses Entzücken über die Theilnahme, die meine Heimath in so weiter Ferne bei Jung und Alt, Vornehm und Gering hervorrief, daß heiße Thränen meinem Herzen entquollen. Der Redner, der uns willkommen geheißen, begriff den Sturm, der mein Inneres bewegte, er drückte mich an seine Brust und küßte mich auf den Mund. Wie er heißt und wer er ist?– ich weiß es nicht, aber sein Kuß brennt noch auf meinen Lippen, mein Herz schlägt noch an das seinige, und oft, wenn ich fern von der Heimath die Hoffnungen meiner Jugend, das Ziel meines männlichen Strebens und Kämpfens unrettbar verloren erachtete, trat mir sein Schatten vor die Seele, mein Herz schlug rascher, und die Thränen, die mein Auge füllten, sprachen laut: „Wir sind ein Volk von Brüdern, Schleswig-Holstein wird nimmer untergehen!“

Die Bürger Dresdens geleiteten uns in die „Stadt Rom“, wo ich eine Scene erlebte, die für das Wesen der Freischaaren, den Geist, der Deutschlands Jugend beseelte, zu bezeichnend ist, als daß ich es unterlassen könnte, sie zu erzählen. Wir hatten kaum das Gasthaus betreten, und ich stand noch tiefergriffen in einer Fensternische, als einer meiner Gefährten mich auf einen Menschen aufmerksam machte, der einen so verzweiflungsvollen Ausdruck hatte, daß ich ihn nur mit Entsetzen betrachten konnte. „Was fehlt Ihnen?“ fragte ich unwillkürlich. Der Gefragte blickte mich, wie aus einem tiefen Traume aufgeschreckt, an und erwiderte mit klangloser Stimme: „Ich bin aus Flensburg.“

„Dann sind wir Landsleute,“ entgegnete ich, „ich bin aus Schleswig.“

„Landsmann!“ rief der Flensburger, indem er mir schluchzend in die Arme fiel, „nimm mich mit! Ich habe sieben Brüder im Felde, eine alte Mutter wartet stündlich auf mein Kommen, damit ich mit meinen Brüdern fechte. Landsmann, nimm mich mit! Alle Tage ziehen junge Leute nach Norden, um für Schleswig-Holstein zu streiten, und ich – ein Flensburger Kind – kann nicht mit!“

Der gute Mensch stöhnte vor Schmerz und barg sein weinendes Gesicht an meiner Brust. Als ich ihm aber die Wange streichelte und sagte, daß er mit solle, daß ich ihn mitnehmen wolle, da klammerte er sich an mich und sagte, indem er durch seine Thränen zu lächeln versuchte: „Aber nicht wahr, Landsmann, Du gehst keinen Schritt und keinen Tritt von mir, bis wir zu Hause sind?“

Wie mein Schatten folgte er mir am folgenden Tage, als ich in Dresden Waffen für ihn und mich – kaufte? nein, geschenkt erhielt, denn der brave Büchsenschmied wollte auch „nach seinen Kräften für Schleswig-Holstein beitragen“.

Im Triumphzug erreichten wir Hamburg. Noch in Hamburg wurden wir mit Blumen beschenkt, von Mädchen und Frauen begrüßt; in Altona aber lautete der Befehl des Generals Wrangel, daß keine Freischaaren in’s Land dürften! Nur durch Vermittlung der Herren Arnemann und Goveffroy gelang es uns, nach Holstein zu kommen. Als ich aber das Schlachtfeld von Schleswig betrat, wo die Leichen noch unbeerdigt lagen, als ich die Stätte wiedersah, wo ich als Kind gespielt, und die ich jetzt wieder betrat, um für ihre Freiheit zu kämpfen, da befahl ein preußischer Officier der preußischen Wache, mich zu arretiren.

Ich trennte mich von meinen österreichischen Freunden, die sich dem Tann’schen Corps anschlossen, während ich zum regulären Militär überging. Nur einmal habe ich zwei meiner Freunde wiedergesehen; es war nach dem Gefechte bei Hoptrup. Der Flensburger hatte einen Schuß in’s Bein bekommen, ein Böhme trug eine Schramme am Kopfe, Beide aber waren auf dem Wege der Besserung, Beide erwarteten mit Ungeduld den Augenblick, wo sie aufs Neue in den Kampf ziehen könnten.

So waren die Freischaaren! Von einem Geiste beseelt – von der Liebe zu Deutschland vorwärts getrieben, reichten sie sich die Bruderhand, ohne erst zu fragen: „Wie heißt Du? und wer bist Du?“ Der kecke Kossuthhut mit der wallenden Feder, die Büchse und der Hirschfänger waren ihre Uniform, Tapferkeit und Treue war ihre Losung und „Vorwärts in den Kampf“ war ihr Feldgeschrei. Deß ist ganz Schleswig-Holstein und Jütland Zeuge, daß trotz der verschiedenen Elemente, trotz der losen Disciplin der bunt durcheinander geworfenen Jünglinge, welche sich im Tann’schen sowohl, wie in den andern Freicorps zusammengefunden hatten, ein edler, herrlicher Geist unter ihnen herrschte, der sie den Herzen der Schleswig-Holsteiner ewig unvergeßlich macht. Als Beweis dafür aber, daß sie ihre Ehre bewahrt und wie Helden gefochten haben, möge die nachfolgende Schilderung des Gefechtes bei Hoptrup dienen, in welchem jeder Einzelne sich mit Ruhm bedeckte.

Der preußische General der Cavallerie und Commandeur des Danebrog-Ordens halte sich aus Jütland zurückgezogen und den Norden Schleswigs den dänischen Truppen preisgegeben, die fünftausend Mann stark unter Commando des Oberst von Juel dem Reichsheere auf dem Fuße folgten, damit die Dänen – und mit ihnen die ganze übrige Welt – glauben möchten, daß die deutschen Truppen, von den dänischen verfolgt, sich zurückzögen.

Laut ertönten die Klagen der Nordschleswiger über die Bedrückungen der dänischen Einquartierung, laut forderten die Südschleswiger, die Holsteiner und alle anderen Stämme des deutschen Volkes, daß die Reichsarmee das Land vom Feinde säubern solle; täglich kamen Flüchtlinge aus Hadersleben und Apenrade im Hauptquartiere Wrangel’s an und schilderten in beweglicher Sprache die Leiden der Deutschen in Nordschleswig – aber die Klagen und Bitten verhallten ungehört, Wrangel blieb in Flensburg und ließ die Dänen schalten und walten, wie es ihnen gut dünkte.

Was der preußische General, ohne Mitleid zu empfinden, anhören konnte, bewegte das Herz des kühnen Freischaarenführers Freiherrn von der Tann; er, der sich aus Begeisterung für Deutschlands Größe und Ehre der Sache der Herzogthümer gewidmet hatte, faßte den Entschluß, mit seiner gleichgesinnten Heldenschaar die Ehre der deutschen Waffen, die durch den Rückzug aus Jütland verpfändet war, wieder einzulösen und den bedrängten Brüdern im Norden Hülfe zu bringen.

Kaum war sein Corps in Rendsburg neu organisirt, als er in drei ermüdenden Tagesmärschen über Schleswig, Flensburg und Uck dem Feinde entgegen eilte. Vor ihm standen, in Hoptrup, Mastrup und Hadersleben vertheilt, sieben dänische Infanterie-Bataillone, sechzehn Schwadronen Cavallerie und zweiunddreißig Geschütze. Der Feind hatte eine durch das Defilé von Hoptrup und den Fjord von Hadersleben geschützte Stellung inne, in welcher er den Angriff einer bedeutend überlegenen Streitkraft hätte blutig zurückweisen können.

Dies war von der Tann sowohl, wie jedem Einzelnen seines Corps bekannt, und wenn er dennoch vierhundert junge Männer bereit fand, ihm auf seinem kühnen Zuge zu folgen, und wenn der in Uck zurückgelassene Rest seiner Heldenschaar mit neidischem Auge die Auserwählten betrachtete, welche sich dem fast sichern Untergänge weihen durften, so fühlen wir uns gedrungen, den Führer, welcher auf seine Untergebenen so mächtigen Einfluß ausübte, als eine seltene militiärische Persönlichkeit zu verehren.

Vierhundert Mann hatte von der Tann ausgesucht, um fünftausend Dänen zu überfallen! Im offenen Kampfe hätte seine Schaar erliegen müssen, mit List und Klugheit mußte die Tapferkeit sich paaren, wenn das Unternehmen einige Aussicht auf Erfolg haben sollte. Von der Tann requirirte vier Bauernpferde, mit welchen er vier Freischärler beritten machte, die als „Cavallerie“ die Téte seines Zuges bildeten. Ihnen folgten in einiger Entfernung fünfzig Wagen, auf denen seine Streitkräfte vertheilt waren.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 182. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_182.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)