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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Am Nachmittage des in der Geschichte Schleswig-Holsteins ewig denkwürdigen 6. Juni 1848 brach die muthige Schaar, von den Segenswünschen ihrer Cameraden begleitet, von Uck auf, der Straße nach Hadersleben zu. Spät am Nachmittage stieß von der Tann’s Cavallerie auf eine dänische Patrouille von sechs Dragonern; die vier deutschen Freischärler griffen sie muthig an und jagten fünf in die Flucht, den sechsten brachten sie gefangen ihrem Führer. Nachdem diese kleine Waffenthat geglückt war, entsandte von der Tann seine Cavallerie nach dem Westen, damit die Dänen glauben möchten, daß ein deutsches Corps diese Richtung einschlagen und somit den rechten Flügel des Juel’schen Detachements umgehen wolle. Diese List gelang vollkommen. Von allen Seiten erhielt der dänische Commandeur Meldungen von dem Anrücken starker Cavallerie-Abtheilungen und Munitionscolonnen, denn für letzteres hatten sie den Wagenzug gehalten; und als die Meldungen im dänischen Lager sich immer häuften, entsandte der consternirte Befehlshaber in der Meinung, daß die ganze Reichsarmee über ihn herfallen werde, an seine vorgeschickten Posten Ordres, sich nach Hadersleben zurückzuziehen. In richtiger Berechnung dieser Eventualitäten setzte von der Tann seinen Zickzackmarsch fort und brach in der Nacht zwischen Hadersleben und dem südlich belegenen Dorfe Hoptrup in das Centrum der Dänen ein. Die Dänen, die nicht wußten, wie ihnen geschah, griffen mit Gardehusaren die Freischaaren an – wurden aber mit großem Verluste auseinander gesprengt und zur eiligen Flucht gezwungen. Dänischen Jägern, welche den Husaren gefolgt waren, erging es nicht besser; die Freischaaren warfen sich mit Ungestüm auf den weit überlegenen Feind und brachten ihn nach kurzem Widerstande zum Weichen. Es war indessen Tag geworden, und zu ihrem Erstaunen sahen die Dänen, daß sie es nur mit einem Häuflein „deutscher Räuber“ zu thun hatten; sie ließen ihre Artillerie auffahren und begrüßten die muthige Schaar mit einer Lage Kartätschen. Nur eine Lage konnten sie geben – im nächsten Augenblick stürzten sich die todesmuthigen Jünglinge auf die Kanonen und eroberten sie im Sturme.

Aber noch war das Werk nicht vollbracht. Dänische Jäger, in dichten Tirailleurketten, griffen von Neuem an, es bedurfte aller Anstrengungen, um den überlegenen Feind zurückzuwerfen, und nur eine Abtheilung von fünfundzwanzig Mann konnte zum Schutze der eroberten Kanonen zurückgelassen werden. Kaum gewahrt der dänische Feldherr, daß die Kanonen ohne Bedeckung sind, als er eine Schwadron Husaren zu ihrer Wiedereroberung entsendet. In gestreckter Carriere rast die Schwadron heran, die geschwungenen Säbel funkeln im Morgensonnenschein, die Trompeten schmettern zum Angriffe – aber fünfundzwanzig deutsche Jünglinge halten Wache bei den theuer erkauften Geschützen und erwarten muthigen Herzens den Angriff. Da heben sie ihre Büchsen, eine tödtliche Salve erfolgt, die Schwadron ist gesprengt und jagt in wilder Flucht von dannen; sie muß die Reihen der Freischaaren durchbrechen, die mit den Jägern im Kampfe stehen. „Pardon!“ rufen die Deutschen, und da keine Antwort erfolgt, strecken sie die fliehenden Reiter zu Boden. Entsetzen erfaßt jetzt die dänischen Jäger, und in wilder, schmählicher Flucht eilen sie aus dem Bereiche der kleinen Heldenschaar, die glühend vor Kampflust ihren geliebten Führer umgiebt und ihn zu weiterem Vordringen auffordert.

Eine Verfolgung der Dänen wäre aber geradezu Thorheit gewesen; denn wenn auch Artilleristen, Jäger, Infanteristen und Reiter in wilder Flucht bis zur Ostsee liefen und sich dort auf die dänischen Schiffe retteten, so stand doch noch bei Hadersleben ein starkes Corps, das bisher nicht im Gefechte gewesen war, von der Tann daher leicht die Lorbeeren seines Sieges entreißen konnte.

Die Beute dieses ruhmreichen Treffens bestand in zwei Kanonen, von denen die eine wegen mangelnder Bespannung nicht fortgeschleppt werden konnte, drei Munitionswagen, einer Menge Waffen, achtzehn Pferden und fünfunddreißig Gefangenen. Die Freischaaren hatten ihren Liebling und Tann’s Busenfreund, den königlich bairischen Hauptmann Corneli, als Todten und fünfundzwanzig Schützen als Verwundete zu beklagen; der Verlust der Dänen belief sich im Ganzen auf dreiundsiebzig Mann. Der Schrecken aber, den die „deutschen Räuber“ den Dänen eingejagt hatten, war ein so heilloser, daß Oberst Juel mit seinem ganzen Corps schleunigst nach Jütland retirirte und seine Geschütze nach Fühnen transportiren ließ.

So endete der kühne Zug des in den dankbaren Herzen der Schleswig-Holsteiner ewig fortlebenden Freiherrn von der Tann und seiner Heldenschaar, die, alle Gaue Deutschlands vertretend, den Beweis lieferte, was ein begeistertes Volksheer, das für Deutschlands Recht in den Kampf zieht, zu leisten vermag.

Preußische Gardeofficiere tadelten den Mangel an Taktik, den von der Tann bei seinem Unternehmen an den Tag gelegt; wir aber loben die Taktik, welche zum Siege führte, und seufzen schwer unter den Folgen jener Taktik, die einen deutschen Volksstamm unsäglichem Elende preisgab.

Als von der Tann in seine Heimath zurückkehrte, war manches Auge thränenfeucht, und die Segenswünsche eines Volkes begleiteten ihn; als Wrangel Schleswig-Holstein verließ, fragte er bei der Statthalterschaft an, „ob es rathsam für ihn sei, auf der Kieler Eisenbahn zu fahren!“ –




Der Letzte seines Stammes.

Novelle von Fanny Lewald.
(Fortsetzung und Schluß.)

Die Feierlichkeit des Grafen erschütterte die Seinen; aber die Freifrau wollte das bange Ahnen, das sich ihrer plötzlich bemächtigte, nicht in sich aufkommen lassen, und in den Ton gewöhnlicher Bewegung einlenkend, sprach sie: „Und Du wunderst Dich nicht, mich hier zu finden, Du fragst nicht, was mich hieher geführt?“

Aber es gelang ihr nicht, die Stimmung ihres Bruders umzuwandeln. „Was Dich auch hergebracht hat,“ sagte er mit demselben ruhigen Ernste, „ich danke es Dir, daß Du hier bist, daß Ihr Beide hier seid! Ihr nehmt eine schwere Sorge von mir und befreit mir das Herz!“

Er hatte dabei stets die Hand Veronika’s, die bleich und angstvoll zu ihm emporschaute, in der seinen behalten. Jetzt rief sie, sich mit ihrer Stirne an seine Schulter lehnend: „O, sprich nicht so! sprich nicht also, Joseph! Du redest wie Einer, der – –“ Sie schauderte zusammen, ihre Lippen sträubten sich es auszusprecheu, was sie dachte.

Der Graf drückte ihr die Hand und leitete sie zu einem Sessel. „Erinnerst Du Dich,“ sagte er zu Ulrich, „wie ich Dich einst tadelte, als Du an jenem Morgen, welcher dem Chevalier von Lagnac das Leben kostete, mich an meine Pflichten gegen meine Ueberlebenden erinnertest? Heute habe ich selbst daran gedacht.“

„Mein Bruder,“ sagte Conradine, und auch von ihrem Antlitz war die Farbe entwichen, „ist denn der Gang so ernst, den Du zu gehen hast? Ist die Gefahr so groß, die Dich bedroht?“

Der Graf antwortete nicht gleich, er mochte überlegen, ob es gerathen sei, den Seinen die ganze Wahrheit mitzutheilen, aber die dringende Bitte der Frauen bestimmte seinen Entschluß.

„Ja!“ sagte er, „uns steht morgen ein ernster, ein schwerer Tag bevor, und doppelt schwer, weil das weiche Herz des edelsten der Könige zurückschrickt vor der Nothwendigkeit, die Macht, welche noch in seinen Händen ist, gegen die verruchte Rotte der Empörer zu gebrauchen.“ – Er hielt inne, zog ein Pack Papiere aus seinem Busen und reichte sie Ulrich hin. „Die Zeit drängt, ich muß in einer halben Stunde auf meinem Posten sein!“ sprach er.

„Was mir, was Jedem von uns in dieser Nacht oder an dem morgenden Tage begegnen mag, kann man nicht wissen. Für alle Fälle –“

Veronika ließ ihn nicht zu Ende sprechen, sie war außer sich vor Aufregung, und sich ihm zu Füßen werfend, rief sie mit flehender Bitte: „Joseph! gehe nicht fort, geh’ jetzt nicht fort von mir, da ich endlich, endlich wieder den wahren, den alten Ton Deiner Stimme vernehme!“

Sie konnte vor Schmerz nicht weiter reden, er hob sie sanft empor. „Weine nicht, Veronika!“ sagte er mit trübem Lächeln,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_183.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)