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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

dumpfen Studirzimmer in ein freundlicheres Nebengemach. Hier beobachtet er, beim Schein des anbrechenden Tages, wie sie sich ferner erholt. Eine unendliche Seligkeit strahlt aus seinen Blicken.

„Wag’ es Einer,“ bebten seine brennenden Lippen, „Dich mir wieder zu entreißen! Für mich haben sie Dich aus der kalten Erde geholt, – einzig mir bist Du bestimmt. Mögen sie, die Dich verloren, um Dich trauern, ich kann Dich ihnen nicht zurückgeben. Ich begehe ein Verbrechen, doch müßte ich die Kraft eines Gottes besitzen, um hier zu widerstehen! Ich bin nur ein Mensch, – ich kann, ich will nicht größer sein! – Der Scheintod, wie die Erfahrung uns lehrt, vernichtet das Gedächtniß; o laß es ganz erloschen sein. Du Himmlische! Laß nur mich fortan in Deinem Herzen leben! – London, fahr wohl! Ruhm und Wissenschaft, fahrt hin! Ich flüchte mich in ein Blumenparadies und wünsche nichts mehr auf Erden, als selige Verschollenheit!“ - - -

Als das purpurne Frühroth das Gemach mit einer Strahlenglorie übergoß und ein warmes Rosenlicht auf die Wangen der in’s Leben Zurückgekehrten hauchte, richtete diese sich empor und sank in die offenen Arme Oliver’s, lächelnd, verklärt, als wäre sie seit lange ihm zu eigen gewesen.


2.

„Schönes Damaskus! Wie ein Smaragd aus der Einfassung gelber Topase hebst du dich mit deinen grünen Palmen, deinen Federn und Maulbeerbäumen aus dem goldnen Sand der syrischen Ebene empor! Weithin erschimmern deine Paläste, deiner Moscheen funkelnde Minarets, und mit silbernen Armen umschließt der Baradâ deine rosenduftigen Gefilde, du Stadt der Khalifen und Fatimiden, du Stadt der bunten Bazare, der üppigen Bäder, der glänzenden Waffen – schönes Damaskus, welches Abulseda für das erste der vier irdischen Paradiese erklärt! –

„Selig, wer durch deine Thore einzog! Selig, wer el Guta gesehen, den meilenweiten Garten, der deine Mauern umgrenzt, worin das Getreide reift unter dem Schatten der Bäume! Selig, wer in den Wallnußalleen, am fluthenden Quell die Königin der Früchte, die Aprikose von Damaskus genossen, wer in den Weinbergen die Traube gepflückt, die Zeni-Traube, die während sieben Monden am sengenden Kusse der Sonne reift! – O Allgütiger, o Allwissender, segne unser schönes Damaskus, Allah!“

Diese Strophen recitirte ein singender Bettler zu Damaskus vor einer eleganten Kaffeehalle unweit der Paulus-Krypte, wo sich zur Zeit des Nachmittaggebetes Hunderte von Menschen versammeln, die kühlere Tageszeit, jeder auf seine Weise, zu genießen. Ein buntes, wüstes Treiben, aber pittoresk und farbenblendend! Dichter gedrängt, als auf dem Toledo zu Neapel, hastiger und mannigfacher, als in den Straßen Constantinopels, wälzt sich der unabsehbare, engverstrickte Menschenknäuel über die Märkte und Gassen der syrischen Hauptstadt an dem Zuschauer vorüber. Die phantastischen Bilder einer Laterna magica sind nicht so überraschend, wie die wechselnden Gruppen jenes wirbelnden Straßengewühls, durch welches der gelbe Aegypter sich mit der Elasticität einer Schlange windet, während er seine schlagfertigen Witzworte rechts und links an die ambulirenden Krämer vertheilt, die ihre Esel mühsam vorwärts ziehen, den „Markt der Sattler“ zu erreichen.

Dazwischen klappert der Limonadenverkäufer mit seinen metallenen Tassen, deren ihm fünf Stück an den Fingern seiner rechten Hand herabhängen, und ruft oder singt dazu in langtremulirendem Tone: „Erfrische dein Herz! Lösche die Hitze!“ bis ein verdursteter Neger oder ein bestaubter Pilger aus Mekka von dem Fruchtsaft begehrt. Noch lauter preisen die Brod- und Obstverkäufer ihre Waare an, die unterwegs an die Diener und Dienerinnen der Vornehmen das Meiste absetzen und mit dem Rest einen Platz unter den Hallen der Khans einnehmen, inmitten der Topfstricker, Zigeuner und Wasserträger. Durch diese lebendige, gesticulirende, schreiende Menge zieht der edle Beduine von Palmyra stumm und stolz seinen Pfad; ernst und gemessen wie ein Bibelkönig schreitet der herrliche Sohn der Wüste in stiller Majestät einher, und manch ein Damascener Stutzer in hochrothem Burnus blickt mit Neid auf die hohe, gebietende Erscheinung des Steppenbewohners, während der Türke in Kaftan und Tarbusch und der Kurde im gestickten Kleide mißtrauische Blicke auf den Schweigsamen werfen, der langsam den Kameeltreibern, den bewaffneten Bauern, den schlanken Maroniten folgt, bis ein Trupp musicirender Soldaten die Aufmerksamkeit von ihm ablenkt.

Und mitten in diesem brausenden Geschwirr singt der Bettler an jedem Nachmittag das Loblied auf seine Stadt: „Schönes Damaskus! Wie ein Smaragd aus der Einfassung gelber Topase hebst du dich aus dem goldnen Sand der syrischen Ebene empor!“ – –

Auf eben dieses Lied lauschte an eben diesem Orte eine Anzahl rauchender oder Mocca schlürfender Turbanträger und Europäer, die sich an einem Novembertage, wie gewöhnlich, unter der großen Kaffeehalle versammelt hatten.

Ein November in Damaskus ist heißer, als ein nordischer Juli; führen auch die Nächte Regenschauer und Stürme herbei, die Bäume der Landschaft grünen und blühen um so frischer und paradiesischer, und zahllose Sträuße, gewunden aus Rosen, Myrthenbeeren und Epheudolden, werden von den Negrillos und abyssinischen Knaben feilgeboten.

Die ernsten Patrizier und bronzefarbenen Scheiks bekümmerten sich wenig um die Blumen, sie wendeten ihre Aufmerksamkeit und ihre Kupfermünzen eher dem Sänger zu. Asad, der Kranzwinder, hatte jedoch seit einiger Zeit einen fremden Sidi (Herr) unter der Halle des Khans bemerkt, der ihm jeder Zeit einen Strauß abkaufte. Diesen guten Kunden zu erreichen, bemühte sich der junge Abyssinier an jenem Novembernachmittage, und schlug sich zu diesem Zweck tapfer durch das Gedränge bis an das Kaffeehaus.

Seinen Henkelkorb aus Weidengeflecht auf dem krausen Lockenkopfe balancirend, trat er bald vor einen jungen Mann, der vereinzelt, ohne aus dem Nargileh zu rauchen, auf dem persischen Teppich saß. Der Fremde trug einen halb orientalischen, halb europäischen Sommeranzug, den schwarzen, weißgefütterten Burnus um die Schultern geschlagen und den Tarbusch (Fez) auf das lichtbraune Haar gedrückt. In seiner ganzen Erscheinung sprach sich deutlich aus, daß er ein Abendländer sei, obgleich seine sanften, regelmäßigen Züge, sein melancholischer Blick an den Beduinen der syrischen Wüste erinnerten.

„Rosenspende aus den Dörfern des Wiesenlandes, o lieber Herr,“ bat Asad mit lieblicher, einschmeichelnder Stimme, indem er vor dem schweigsamen jungen Manne niederkniete und ihm seinen schönsten Strauß darbot; „sieh, Rosen, weiß wie der Schnee der Gebirgskluft Menin – und rothe, purpurn wie Hennah auf den Nägeln der Sultana Ibrahim Paschas!“

Während dieser pomphaften Anrede ließ der schwermüthige Gast des heitern Khans eine Geldmünze in die braune Hand Asad’s gleiten, ohne weder den Knaben, noch seine Blumen anzusehen. Dem abyssinischen Kinde glänzten die Augen vor Lust und Gier; seine aufgeworfenen Lippen stammelten auf italienisch einige Dankesworte, worauf er in die Höhe sprang, seinen Korb schwenkte und in wilden Sätzen wie eine Tigerkatze von dannen lief, unterwegs mit der Zunge schnalzend.

So, in ununterbrochenem, athemlosem Laufe erreichte er das Thor, welches aus Damaskus nach der Guta führt. Außerhalb des Gitters hielt eine junge Negerin auf einem milchweißen kräftigen Esel. Auf diese und den Esel kam Asad nickend und winkend zugestürzt und rief frohlockend schon von Weitem: „Beim Leben unsers Herrn Jehjâ, heut ist es mir geglückt, er hat meine Rosen!“

Bedenklich blickten die sengenden Augen der Schwarzen durch den rothblumigen Gesichtsschleier, indem der redselige Knabe fortfuhr: „Gieb Acht, Tochter des weißen Nils, in zwei Stunden ist er an Ort und Stelle, – und dann regnet es uns Beiden für jedes italienische Wort einen Fransâwîje (ein Napoleond’or). Wetze den Pfeil deines Züngleins!“

„Sohn des Dämons,“ rief die dunkle Haremszofe, ihrem Begleiter die Zügel des Esels zuwerfend, „nimmer will ich zur Betrügerin an meinem Brodherrn werden. Vergissest Du, daß Schweigen die erste unserer Pflichten ist? Reden ist Silber, doch Schweigen ist Gold!“

„Doch wenn Dir Silber mit Gold belohnt wird, wie dann?“ warf der Knabe hin, in welchem die Geldgier kochte.

„Dann schlag’ ich die Augen nieder, verstopfe die Ohren und bezwinge mein Herz,“ ermahnte die Sclavin, während der Esel sehr langsam unter der Last der Wohlbeleibten und zweier überladener Marktkörbe vorwärts zu schreiten begann.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_291.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)