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verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

Das Thal der guten Leute!“ murmelt Landner leise vor sich hin.

Raimund schlägt beide Hände vor das schmerzbewegte Antlitz und stürzt lautlos, wie vom bösen Gewissen gejagt, seinem Hause zu. Als Landner zurückkam, hatte sich Raimund in seine Stube eingeschlossen, und alle Versuche, ihm eine Antwort zu entlocken oder zu ihm zu dringen, waren fruchtlos. Erst nach vierundzwanzig Stunden kam er zum Vorschein, machte Anstalten nach Wien zurück zu reisen, ohne des Vorfalls auch nur mit einer Sylbe zu gedenken. Still und verschlossen, wie er stets war, wenn nicht Außergewöhnliches die scheinbare Eisrinde um das warme Künstlergemüth schmolz, erwähnte er auch später nie mehr „das Thal der guten Leute“.


Menagerie-Bilder.
Nr. 3. Ein gebildeter Orang-Utang.

Wenn diese Zeilen als Menageriebild überschrieben sind, so ist dies eigentlich nicht ganz richtig, wenigstens in einer deutschen Menagerie oder „Freßgesellschaft“, d. h. einer wandernden, wird man wohl noch nie einen solchen Affen gesehen haben, obgleich mancher andere Affe dafür ausgegeben wird. Einerseits ist dieses Thier, abgesehen von seiner Seltenheit, schon so sehr durch seine vielbesprochene Menschenähnlichkeit berühmt, daß sein alleiniger Besitz vollkommen hinreicht, ein großes Publicum anzuziehen, andererseits würden seine in Europa ohnehin gezählten Tage durch die kaum zu vermeidende nachlässigere Behandlung in einer größeren Menagerie nur noch mehr verkürzt werden. Der Orang-Utang z. B., von welchem ich hier sprechen will, wurde jeden Abend von seinen Besitzern auf dem Arme in deren Wohnung getragen, um da im Bett zu schlafen, und erst des Morgens wieder in die zur Schau bestimmte Breterbude gebracht, und seine Eigenthümer ließen ihn überhaupt nie aus den Augen. Das ist aber bei dem Mitbesitz zahlreicher anderer Thiere nicht gut möglich.

Wer nur einmal einen lebendigen Orang-Utang gesehen hat, wird ihn nicht wieder vergessen und kaum im Stande sein, ihn mit anderen Affen verwechseln zu können. Am ehesten könnte dies vielleicht dem nicht scharf Beobachtenden mit dem Schimpanse passiren, diesem eigentlich noch seltneren afrikanischen Orang-Utang. Der Schimpanse, den ich einst lebend sah, zeigt dasselbe ruhige Gebahren wie sein Vetter, und auch die Form des Kopfes bot, abgesehen von den viel größeren Ohren, im Ganzen nur wenig Abweichendes. Leider litt dieser Schimpanse schon an der unvermeidlichen Schwindsucht, ein trockener Husten quälte ihn sehr, und das wollene Kleid, welches ihm sein Besitzer angezogen, konnte ihm nicht sein heimisches Klima, am wenigsten die feuchtwarme Luft seiner Wälder ersetzen. Auch war der Affe selbst sehr besorgt um seine Decken und Kleider. Hing man sie ihm auf eine in der Nähe befindliche Leiter, so stieg er schleunig hinauf, um sie wieder zu holen, und als es ihm ein Besucher damit zu bunt machte, so sprang er wüthend von seinem Tische herunter und versuchte seinen Feind in die Füße zu beißen. Trotzdem sein Besitzer den Affen jede Nacht in einen wohlverwahrten Kasten schloß, so starb er doch in Kurzem, und ich sah ihn als Leiche auf dem Paradebett. Rings umgeben von einer Masse blühender Topfpflanzen lag auf einem schneeweißen Bett die kleine schwarzhaarige Gestalt, die Hände auf der Brust gekreuzt, so daß man sich unwillkürlich nach dem noch fehlenden Crucifix umsah.

Viel größer als dieser noch sehr kleine und junge Schimpanse war der erste Orang-Utang, welchen ich sah. Er wurde gleichzeitig mit einigen andern kleinen Affen in einem geräumigen Saale gezeigt, und bewegte sich ganz frei in demselben herum. Manchmal lag oder saß er bis über die Ohren in seine Decken gewickelt auf seinem Tische, oder er unternahm auch wohl einen Spaziergang im Saale. Dann zog er den Schwarm des Publicums immer hinter sich von einer Stelle zur andern, in zwar ziemlich aufrechtem Halten des Körpers, aber immer sich auf die geballten Hände der langen Arme stützend. Kein Philosoph kann ein ernsteres Gesicht machen, als das seinige war, wenn er dann mit Kennermiene sich vor den Ofen setzte, die Thür öffnete und die Asche herausnehmend dieselbe aufmerksam besah, wobei er, wie in träumerische Gedanken versunken, den Blick lange nicht wegwandte. Einen merkwürdigen Gegensatz bot es aber, wenn er das für ihn und seine Genossen errichtete, mit Seilen versehene Turngerüst erkletterte. Gleich einer ungeheuern Spinne streckten sich die langen Arme aus, um nach Erfassen eines neuen Haltpunktes den Körper nachzuziehen, eine ganz andere Bewegungsart als die der andern stets springenden Affen. Im Gegensatz zu diesen kleinen, überaus muntern, immer lärmenden Affen, welche seine Gesellschaft bildeten, geschahen die Bewegungen des Orang immer langsam, gemessen und schweigend, ja selbst wenn er auf seinem Lager sitzend vielleicht geneckt wurde und plötzlich die Hand nach dem Störenfried ausstreckte, so geschah dies immer noch mit einer gewissen ernsten Ruhe. Auch dieser Affe starb übrigens kurz nachher.

Diese beiden angeführten Affen, der Schimpanse sowohl als der Orang-Utang, hatten Nichts gelernt und Nichts vergessen, man hatte sie aus Rücksicht auf ihre Gesundheit nicht mit Erlernen von Künsten und dergleichen geplagt, und so bewegten sie sich nur in ihrer ungenirten Affenweise. Daher wurden dieselben auch in dieser Beziehung durch einen zweiten Orang-Utang, welchen ich sah, bedeutend in Schatten gestellt, denn derselbe war in der That ein gebildeter Orang-Utang. Es war ein Weibchen, und wenn ihm eine vom Schneider gefertigte Kleidung fehlte, die ja ohnedies den Anblick des Thieres beeinträchtigt hätte, so war es von der Natur selbst wie mit einer Jacke bekleidet. Langes, braunes, starkes Haar bekleidete nämlich die langen Arme und die obere Hälfte des Körpers, während die untere nebst den Beinen fast kahl war. Ein schwacher, wie nach vorn gekämmter Backenbart umgab das grauschwarze Gesicht, aus welchem den Beschauer ein Paar braune, so menschenähnliche Augen ansahen, daß man über diesen Augen die häßliche Gesichtsform gänzlich vergessen konnte. Der Gedanke an Seelenwanderung scheint beim Anblick solcher Augen gar nicht mehr so phantastisch.

Diesem Orang-Utang war nun gelehrt worden, Alles auf möglichst menschliche Weise zu thun. War es Essenszeit, so wurde ihm sein gekochter Reis auf einem Teller gereicht und ein Löffel dazu. Er aß mit demselben ziemlich geschickt, und nur manchmal passirte es ihm, daß er den Löffel verkehrt, d. h. mit der unteren Seite nach oben in den Reis steckte und daher nichts in das Maul brachte. Dann wurde er wohl ärgerlich und bückte sich auf den Teller, um mit den Lippen schnell eine Portion zu fassen, aber ein Wort seines Herrn brachte ihn sofort wieder zum Bewußtsein seines höheren Standpunktes. Beim Trinken aus einem Glase zog er es allerdings vor, wenn die Flüssigkeit zur Neige ging, lieber durch Verlängerung der Lippe das weniger Gewordene zu erreichen, als durch einfaches Höherhalten des Glases.

Gab man dem Orang-Utang einen Hut, eine Mütze, so setzte er diese sofort richtig, den Schirm nach vorn, auf den Kopf und gefiel sich offenbar nicht wenig in diesem Schmuck, und ich kann den lächerlichen Moment nicht vergessen, als ich dies zum ersten Male sah. Gerade in dem sich fortwährend gleichbleibenden, ernsten Gesichtsausdruck bei solchen Handlungen lag das ungeheuer Komische derselben. Gleichwohl kann ich nicht leugnen, daß gerade dieses lautlose, ernste Vornehmen menschlicher Handlungen bei einer so menschenähnlichen, behaarten Gestalt auf mich immer den Eindruck des Dämonischen gemacht hat. Besonders wenn das Thier herumging, so konnte man sich beim Anblick der gekrümmten Gestalt mit der Glatze und dem Backenbart des Gedankens an einen der Erde entstiegenen Gnomen kaum erwehren.

Die meisten Affen suchen bekanntlich Alles dessen sie habhaft werden können, zu zerbeißen und nur im Zerstören ihre Lust zu haben, unser Orang-Utang hingegen war offenbar auf die weise Anwendung der ihm überlassenen Dinge bedacht. Zu meiner großen Verwunderung versuchte er z. B. ein Paar Handschuhe sofort anzuziehen, und obwohl es ihm nicht gelang und er den rechten und linken verwechselte, so war er sich doch offenbar über den Zweck derselben vollkommen klar. Ein dünnes Spazierstöckchen nahm er

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verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 300. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_300.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)