Seite:Die Gartenlaube (1862) 308.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1862)

„Wir müssen ihm helfen,“ rief Dolorida, zu sich kommend.

„Sicher sind Leute in der Nähe!“

„Dort auf der Wiese? Kein Mensch!“

„Mir werden Andere zuvorkommen.“

„Um so besser. Zögere nicht, sei barmherzig, wie Du es immer bist ich bitte Dich! Vielleicht ist er todt! – Ich rufe Elias, daß er Dich begleite.“

Sicher würde Oliver sich nicht haben nöthigen lassen, aber er mußte vorsichtig sein. Durfte er auch ohne Gefahr in der Gegend umherziehen und den Kranken Hülfe bringen, so war es doch etwas ganz Anderes, einen Patienten in sein Haus nehmen. Allein was halfen diese Betrachtungen jetzt! Er konnte Dolorida’s Augen nicht widerstehen.

Auf ihren Ruf war Elias, ein kurdischer Diener, herbeigeeilt.

„Darf ich nicht mit Euch gehen?“ fragte Dolorida schüchtern.

„O nicht doch,“ sagte Oliver bestimmt, – „er könnte arg verletzt, ja verstümmelt sein, Deine Nerven sind zu zart für solchen Anblick. Geh auf Dein Zimmer, die Sonne ist unter, der Thau fällt naß. Ueberlaß mir jede weitere Sorge.“

Dolorida senkte schweigend den Kopf und kehrte traurig durch den Garten in die Villa zurück. Sie hatte nie gewagt, Oliver’s Befehlen auch nur den leisesten Widerspruch entgegen zu setzen. Die Negerin aber war entschlossener als ihre Herrin und neugieriger. Als nach zehn Minuten Stimmen und Schritte im Garten hörbar wurden, flog Messaouda hinab, um, wie sie sagte, ihrer Dame Bericht zu erstatten.

Oliver und Elias trugen einen ohnmächtigen jungen Mann an ihr vorüber; kaum ward Oliver der Dienerin ansichtig, als er ihr mit bedeutendem Blick zuflüsterte: „Messaouda, bereite diesem Fremden, der den Arm gebrochen hat, im Erkerzimmer ein Lager.

Hafte mir mit Deiner Seele dafür, daß Deine Gebieterin ihn nicht sieht; sein Anblick würde ihr schaden. Du weißt, wie bedenklich ihr Zustand ist; – bewache sie sorgfältig.“

Die Schwarze küßte Oliver´s Mantelsaum mit Unterwürfigkeit und folgte auf den Zehen beiden Männern, die den Bewußtlosen in das Haus, die gewundenen Stiegen hinan trugen. Seltsame Gedanken gingen ihr wie ein Fieberstrom durch den Kopf.

Oliver befand sich in einer kritischen Lage; ein Fremder plötzlich unter seinem Dache; – wie sollte er Dolorida’s Fragen nach dem Kranken ausweichen? Ihr Wunsch, ihn zu sehen und zu pflegen, konnte nicht ausbleiben. Eifersucht, Furcht und Ungewißheit trieben ihn wie mit Geißelhieben vom Bette des Patienten, bei welchem er die Nacht durchwachte. Den Kranken schon am andern Morgen wieder fortzuschaffen, wäre zwar möglich, aber grausam und auffallend gewesen und hätte der Geliebten Abscheu, wohl gar Haß gegen Oliver eingeflößt. Er schauderte aber selber um so mehr vor einem solchen Schritt zurück, da tausend Stimmen in seiner Brust für den blassen jungen Mann sprachen. Vom ersten Augenblick an, wo er den Verunglückten auf der Wiese gefunden, und Jener, noch bei Besinnung, ihm dankbar lächelnd die Hand gedrückt hatte, fühlte der Arzt sich wunderbar ergriffen, ja hingerissen. Er bequemte sich daher, seine Rolle geduldig bis zu Ende zu führen.

Wohl erkannte er in dem Patienten einen Europäer, doch diese Entdeckung erhöhte seine Sympathie und besiegte endlich das Widerstreben, mit welchem er den Fremden in seine unzugängliche Häuslichkeit aufgenommen hatte.

Nach mehreren Stunden – um Mitternacht – kam der junge Mann zu sich, richtete sich in den Kissen auf und zeigte eine klare Besinnung, obgleich eine sichtliche Erregung ihm das Blut in die Wangen trieb und sein Athem sehr kurz ging. Er dankte seinem Pfleger in sehr gutem Französisch mit der rührendsten Erkenntlichkeit; Oliver, der seinen Arm untersucht hatte, gab ihm die Versicherung, der Bruch sei ungefährlich und empfahl ihm die größte Ruhe.

Der Kranke, voller Geduld und Hingebung, bat Oliver, sich schlafen zu legen, denn er wollte selbst noch einige Stunden vor Sonnenaufgang der Ruhe genießen.

Oliver ging in ein Nebengemach und warf sich angekleidet auf das Bett. Nach kurzer Zeit aber vernahm er in dem Krankenzimmer ein heftiges Stöhnen, ein tiefes, schmerzliches Seufzen; es klang, als beschwöre eine verzweifelnde Seele im Todeskampf eine andere ewig Verlorne, unversöhnliche Seele.

Olivern ging es durch Mark und Bein; er sprang auf und eilte zu seinem Gast. Er fand ihn anscheinend ruhig schlummernd; nur seine Hände lagen convulsivisch geballt auf seiner Brust.

Kopfschüttelnd stand Oliver neben ihm.

„Ihn quälen nicht physische Schmerzen,“ sagte er beim Anblick des Schlafenden; „ein böser Traum scheint ihn zu ängstigen. Ich kenne solche Leiden!“ setzte er leise hinzu. „Doch werden sie den meinigen nicht gleich kommen. Aber eine so reine, faltenlose Stirn verbirgt keine lichtscheuen Gedanken; – sein Kummer ist milderer Art, vielleicht „sanft wie Erinnerung an begrabne Liebe“?“

Und mit Rührung im Auge blickte Oliver in das Antlitz des jungen Mannes, der wie schlaftrunken vor ihm lag.

„Wie schön er ist! – Nie darf Dolorida ihn erblicken, niemals!“ so flammte die Leidenschaft tödtlicher Eifersucht in ihm auf.

Wie aber ward ihm am nächsten Morgen, als sein Patient, der sich der schmerzlichen Einrenkung des Arms, ohne nur eine Miene zu verziehen, unterworfen hatte, ihn plötzlich im reinsten Englisch anredete, mit dem Bemerken, Oliver sei ihm in Damaskus als der weise, englische Arzt Mac Johnson bezeichnet worden. Glücklicherweise verlor Oliver nicht seine Geistesgegenwart; außerdem legte sich sein Mißtrauen nach den ersten Gesprächen mit Lord Douglas, der zwar seiner Aussage nach in London geboren war, seit seinem sechsten Jahre jedoch in Ceylon gelebt hatte. Ohnehin gewann Oliver aus dem liebreichen Wesen des Lord die feste Ueberzeugung, dieser könne sein böser Engel nicht sein und ihn niemals verrathen.


(Schluß folgt.)



Ein Bildermann der Kinderwelt.

Der Maler Hubert Salentin in Düsseldorf ist einer von den lieben Bildermännern, die das Spielleben der Kleinen darstellen zur innigen Herzensfreude aller Großen. Betrachten wir den beistehenden Holzschnitt. Wie wirklich stolz steigt der kleine Bräutigam mit dem Strauß im Knopfloch der Jacke daher neben dem größeren Mädchen, zu dem er lächelnd emporschaut! Das Mädchen aber gar ist ein Muster von Schalkhaftigkeit. Wie sie das Köpfchen so steif hält, damit der Brautkranz nicht herabfällt, und wie sie die Augen niederschlägt, ganz so, wie sie’s bei allen Bräuten gesehen! Wie hält sie das Schürzchen fein mit angeborener weiblicher Grazie! Und nun gar die übrige Gesellschaft, der kleine Hemdläuter mit seiner Trichtertrompete, der andächtig singende Stürzenschläger, der fröhliche Geiger mit dem urthümlichen Instrument, das tanzlustige Pärchen etc. Würdig eröffnen ein Paar vor dem Brautpaar daherfliehende Hennen den Festzug, auf den die junge Magd von der Thür herschaut. Wir Alle aber setzen uns im Geiste zu dem Großmütterchen, das mit dem milden Lächeln, wie es nur von einer schönen Erinnerung hervorgerufen wird, einen Blick, wie ihn der Künstler nicht feiner ablauschen, nicht schöner als einen in stiller Freude segnenden darstellen konnte, aus der kindlichen Braut ruhen läßt.

Der Maler Hubert Salentin wurde geboren am 16. Jan. 1822 zu Zülpich in der preußischen Rheinprovinz. Die Spuren seines Talents zeigten sich außerordentlich früh und wurden von der sinnigen Mutter ebenso bald erkannt uns freudig gepflegt. Als aber Hubert in seinem achten Lebensjahre den Vater verloren hatte, machten die Vormünder den Lieblingswunsch der Mutter und des Kindes mit dem Einwürfe zunichte, daß ja in der ganzen Gegend Niemand etwas malen lasse und man davon also nicht leben könne. Da entschloß Hubert sich, das Schmiedehandwerk, und zwar in Köln, zu erlernen, und schon im Frühjahr 1836 zog er wohlgemut in Begleitung seiner Mutter dorthin, die Kleider in einem Bettkissenüberzuge, und dabei ein großes Weißbrod, welches die Mutter selbst gebacken, als Willkomm für den Meister.[1]

Was Hubert hauptsächlich bewog, seine Lehrjahre in Köln zu bestehen, war die Hoffnung, in der großen Stadt schöne Bilder zu sehen und die Freistunden zur Malerei zu benutzen. Allein in seinen ganzen drei harten Lehrjahren war an keine Zeit für die Malerei zu denken. Um so größer war die Freude, als endlich

  1. Salentin hat diesen Eintritt in die Lehre in dem schönen Bilde „der neue Schmiedelehrling“ wiedergegeben.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1862). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1862, Seite 308. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1862)_308.jpg&oldid=- (Version vom 8.10.2021)